Sanktionen gegen Russland: Pro und Contra

HLZ Februar/März 2023 mit Leser:innenbriefen

Leser:innenbriefe
 

Stephan Schimmelpfennig, Kassel

Dr. Hans Otto Rößer, Guxhagen

Ursula Winkenjohann, Kassel

Ulrich J. Heinz, Marburg


 

Contra Sanktionen führen in die Sackgasse
 

Der Wirtschaftskrieg des Westens, der unter anderem mit Sanktionen geführt wird, hat lange vor dem Angriff auf die Ukraine begonnen. Sanktionen, wie sie jetzt gegen Russland praktiziert werden, verschärfen die sozialen Gegensätze - national wie international. Und sie sind sozial und ökologisch ein Desaster!
 

Die Gewerkschaften fordern, die Sanktionspolitik müsse „sozial abgefedert“ werden. Doch das wird nicht gelingen: Auch wenn wir in täglicher Kleinarbeit für jede noch so kleine Erleichterung kämpfen, werden die regierenden Parteien die erforderlichen Eingriffe in das Marktgeschehen verhindern. Deshalb muss die Sanktionspolitik selbst als die Ursache beendet werden.
 

Die Sanktionen treffen nicht wie vorgegeben die Oli­garchen im Osten, sondern die Bevölkerung. Für die Oligarchen gibt es unzählige Möglichkeiten, Sanktionen zu umgehen, solange die „Steueroasen“ nicht ausgeräuchert werden. Im Westen konnten die Öl- und Gasunternehmen in den Top 100 ihren Börsenwert um 19 Prozent steigern. Der saudische Ölkonzern Aramco führt das Ranking an und ist aktuell das wertvollste Unternehmen der Welt. In Ländern wie Bangladesch werden Millionen Menschen in die Dunkelheit gestürzt, denn die Energielieferanten versorgen lieber die Hochpreismärkte in Europa.  
 

Wirtschaftssanktionen verstärken national wie international das soziale Gefälle. Verknappungen, Preissteigerungen und Wirtschaftskrisen treffen den ärmeren Teil härter als den reicheren. Das lässt sich in allen Ländern beobachten und überall macht sich gerade ein neuer Sozialdarwinismus breit.
 

Es ist eine Illusion zu glauben, mit Sanktionen könnte ein Ende des Kriegs herbei gezwungen werden, weil die Finanzierung des Krieges erschwert und die Profiteure des Kreml-Regimes empfindlich getroffen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Der Rubel und Russlands Exportüberschüsse sind gestiegen. Für das russische Bruttoinlandsprodukt wird lediglich ein Minus von vier Prozent prognostiziert, die Lieferketten wurden Richtung China und Indien neu ausgerichtet und Ersatzstrategien werden ausgebaut. Die Politik, durch Sanktionen einen Regimewechsel durchzusetzen, ist nicht nur im Fall Kuba gescheitert. Der Krieg aber geht unvermindert weiter, denn Sanktionen stiften keinen Frieden.
 

Die Behauptung, der Überfall auf die Ukraine habe zu den immensen Preissteigerungen geführt, stellt eine absichtliche Irreführung der öffentlichen Meinung dar. Nicht die Russen haben uns das Gas und den Ölhahn abgedreht, sondern unsere Regierung hat mit der Sanktionspolitik die Lieferregeln und Verträge gebrochen. Auch die Beschädigung der Nordstream-Pipelines war nach ziemlich einhelliger Meinung ein von westlichen Akteuren zu verantwortendes Kommando-Unternehmen. Nicht der Krieg, sondern die  Sanktionspolitik führt zu den immensen Preissteigerungen und die Verknappung von Lebensmitteln und anderen existentiellen Gütern.
 

Sanktionen gegen Russland dienen in erster Linie nicht der Kriegsbeendigung, sondern sind Waffen in einem anderen Krieg, dem Wirtschaftskrieg, wie ihn die USA und andere schon seit längerer Zeit gegen die EU führen. Präsident Biden setzt, zuletzt mit dem „Inflation Reduction Act“, die unter dem Slogan „Amercia First“ lautstark vorgetragene Politik seines Vorgängers Trump noch wirksamer fort.
 

Die Grenzen zwischen Wirtschaftskrieg und militärischem Krieg sind fließend. Klaus von Dohnanyi befasst sich in seinem jüngst veröffentlichten Buch „Nationale Interessen“ ausführlich damit, dass die USA „in ihrer Geschichte (…) unzählige Schritte gewaltsamer ‚regime changes‘ unternommen und Kriege zu diesem Zweck mit verheerenden Folgen geführt“ haben und „dafür das Instrument der ‚Sanktionen‘ gegenüber Staaten entwickelt [haben], die sich der politischen Auffassung der USA nicht anpassen wollten“.
 

Ich halte auch das Narrativ vom „vorübergehenden Opfer“, das wir alle für Frieden und Freiheit bringen müssen, nicht für haltbar. Je länger Krieg und Wirtschaftskrieg dauern, desto mehr verfestigen sich die Feindbilder, desto größer werden die Schäden an Menschen, Gütern und Umwelt, die jetzt und vor allem später teuer bezahlt werden müssen.
 

Die Sanktionspolitik ist auch kein Ausdruck einer „von Werten geleiteten“ Außen- und Wirtschaftspolitik. Die Verbeugung des grünen Wirtschaftsministers vor der Regierung in Katar und ihrer Scharia-Rechtsordnung zeigt dies deutlich. Realiter folgt die Sanktionspolitik einer machtpolitischen und ökonomischen Logik, deren Strategen jenseits des großen Teichs sitzen.
 

Sanktionspolitik und Wirtschaftskrieg führen geradewegs in eine ökologische Katastrophe. Die ökologische Wende wird durch ein Revival der Energie aus Atomkraftwerken, Kohleverstromung und Frackinggas abgeschnürt. Kriegszerstörungen entziehen der ökologischen Wende die Mittel.

 

Es ist dringend notwendig, die gegenwärtige Sanktionspolitik als Teil eines bereits lange währenden und sich zuspitzenden Wirtschaftskrieges wahrzunehmen. Die damit verbundene soziale Not für Millionen bis hin zu Hungerkrisen sollten nachdenklich machen.

Herbert Storn, Frankfurt
Eine vertiefte Darstellung des Autors findet man in der Zeitschrift Makroskop 30/2022 (

https://bit.ly/3XjONve).


 

Pro Sanktionen sind notwendig!
 

Russland führt seit Februar 2022 einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser Krieg hat schon vor vielen Jahren begonnen, spätestens mit der ebenfalls völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014. Zur Legitimation beruft sich die russische Führung auf eine Bedrohung des Landes durch das „imperiale Handeln des Westens und der NATO“. Zudem fantasiert Putin ein Russland, das sich kulturell über eine durch ihn definierte russische Identität begründet und sich auch auf die Staatsgebiete der Ukraine, Weißrusslands, Moldawiens und Georgiens erstreckt. Der Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist der Versuch, die Ukraine als Staat von der Landkarte zu tilgen, und er ist eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte.


Wenn Russland mit dem Versuch Erfolg hat, völkerrechtlich anerkannte Grenzen zu verschieben und den Menschen anderer Länder das Selbstbestimmungsrecht abzuerkennen, werden demokratische, friedliche und plurale Gesellschaften marginalisiert. Europa hat der Ukraine, Moldawien und Georgien ein Versprechen auf eine Zukunft in der Familie des demokratischen Europa gegeben. Es muss jetzt dafür sorgen, dass dieses Versprechen eingehalten wird.


Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine kann nicht tatenlos hingenommen werden. Dass wirtschaftliche Sanktionen gegen ein Land, das einen verbrecherischen Angriffskrieg führt, legitim und begründet sind, ist für mich absolut nachvollziehbar.


Sanktionen sind ein Mittel staatlichen Handelns, doch müssen sie vor dem Hintergrund ihrer Intention und ihrer Wirksamkeit beurteilt werden. Die Frage der Wirksamkeit wurde in den Gewerkschaften im Frühjahr und Sommer diskutiert. Wie in der gesamten Gesellschaft gibt es auch in den Gewerkschaften eine deutliche Mehrheit für die Verhängung von Sanktionen. Insbesondere dürfen keine Güter nach Russland geliefert werden, mit deren Hilfe der Angriffskrieg fortgesetzt werden kann. Dafür müssen auch alle russischen Reaktionen, beispielsweise die Reduzierung von Gas- und Ölexporten in den Westen, in Kauf genommen werden. Ansonsten ist jeder Form der Erpressung Tür und Tor geöffnet.


Kontroverser war und ist die Diskussion über die Energielieferungen. Sie hat sich durch die Reduzierung russischer Gaslieferungen (bereits vor den Sabotageakten gegen die Pipelines) von selbst erledigt. Es wird auf absehbare Zeit keine Energielieferungen mehr aus Russland geben.


Die Verteuerung der Energie hat die Inflation auch in Europa deutlich weiter nach oben getrieben. Und es sind vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die darunter leiden. Doch es zeigt sich auch ein Jahr nach Beginn des Krieges: Deutschland und Europa bleiben handlungsfähig, wenn auch in Krisenzeiten eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben wird. „Investieren gegen die Krise“ - das würde ich mir auch an vielen anderen Stellen wünschen!
Wer sagt, der Westen führe einen „Wirtschaftskrieg gegen Russland“, wer Sanktionen mit Drohnen- und Raketenterror, mit Kriegsverbrechen in einen Topf wirft, argumentiert krude und ideologisch verbohrt. Solchen Positionen fehlt jede Empathie. Und wenn ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen und Freundinnen und Freunden aus den NATO-Ländern spreche, die früher dem Warschauer Pakt angehörten, treffen Diskussionen über die Schuld der NATO die aktuelle europäische Lebensrealität nicht wirklich. Nein, es sind nicht die NATO oder „der Westen“, die Krieg führen!


Wir sind uns sicherlich alle im Wunsch nach Frieden einig. Ich würde mir sehr wünschen, dass es Wege zu Verhandlungen geben kann. Die Positionen Russlands und der Ukraine sind jedoch sehr weit voneinander entfernt. Ich bin keine Expertin für Militär. Doch dass dieser Konflikt militärisch gelöst wird, ist für mich undenkbar oder mit so viel menschlichem Leid verbunden, dass ich es mir nicht vorstellen kann.


Als Gewerkschaften können wir die Entwicklung in unserem Land beeinflussen: Die Inflation scheint derzeit auf ihrem Höhepunkt angekommen zu sein und es ist davon auszugehen, dass die Preise auf einem sehr hohen Niveau einigermaßen konstant bleiben werden. Dann kostet der Liter Sprit 1,70 Euro. Dann sind die Lebensmittel teuer. Dann ist die Kaufkraft gesunken. Staatliche Hilfspakete sind wichtig und sie sind - das zeigen die letzten Wochen - wirksam. Gewerkschaften stehen für soziale Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich. Eine Verteilung mit der Gießkanne ohne Berücksichtigung der Frage, wer die Unterstützung wirklich braucht, ist der falsche Weg. Und die Gewerkschaften müssen dafür sorgen, dass die Reallöhne nicht weiter sinken. Lohnforderungen von 10,5 Prozent mit einem Mindestbetrag von 500 Euro, wie sie derzeit für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen gestellt werden, sind deshalb angemessen!


Wir stehen in einem Transformationsprozess zur Nutzung nachhaltiger Energien. Dieser Prozess wird massiv beschleunigt. Auch beim Thema sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Wirtschaft kommt uns als Gewerkschaft in der Diskussion eine Schlüsselrolle zu. Das europäische Versprechen muss auch hier gelten. Die Menschen und gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich auf Europa als Garant für Frieden, Freiheit und Solidarität verlassen können.

Nina Heidt-Sommer, Gießen