Landesdelegiertenversammlung 2023

Beratungen über Satzungsfragen, Strukturen und Personalratsarbeit

Thilo Hartmann, Heike Ackermann und Simone Claar begrüßten die Delegierten der außerordentlichen Landesdelgiertenversammlung (LDV) in Fulda mit einem Rückblick auf das letzte Jahr, von dem „Riesenerfolg“ auf dem Weg zu A13 für Grundschullehrkräfte über die Bildungsdemos am 20. September im Rahmen der Kampagne „Zeit für mehr Zeit“ bis zum Ergebnis der Landtagswahl, in die sich die GEW mit ihren Themen und Forderungen eingemischt hat, von der Dokumentation zum 75. Geburtstag der GEW Hessen und dem ersten Hessischen Inklusionspreis über die Entfristungskampagnen an den Hochschulen bis zur GEW-Veranstaltung zur Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933, die der GEW-Landesvorsitzende mit einem klaren Auftrag verband:

Die bestürzenden Erfolge der AfD zeigen die Folgen einer Geschichtsvergessenheit. Wehret den Anfängen ist ein Wegweiser für unser politisches Handeln.“
Bereits die Präliminarien bei der Einsetzung des Tagungspräsidiums und der Verabschiedung der Tagesordnung waren von der die LDV bestimmenden Frage überlagert, wie sich die GEW nach einer langen und intensiven Debatte organisatorisch für die Zukunft aufstellen wird: Die einen hofften auf eine Entscheidung der Strukturfrage nach einer als „lähmend“ empfundenen „Endlosdebatte“, die anderen sprachen von einer „oberflächlichen“ Debatte, in der „kein Wille zum Konsens“ erkennbar sei.


Viele Vorschläge für Änderungen der Satzung waren unstrittig. Dazu gehören unter anderem die Ergänzung der bestehenden Satzungsziele zur Vertretung der „beruflichen, sozialen und rechtlichen Interessen ihrer Mitglieder“, zum „Ausbau der Geschlechterdemokratie“ und zur „Förderung von Erziehung und Wissenschaft“ durch den Einsatz für „die Angleichung der Lehr-, Lern- und Arbeitsbedingungen in Hessen“ und für „Barrierefreiheit“. Aus der Bundessatzung wurde der Satz übernommen, dass sichergestellt werden soll, „dass in allen Organen und Gremien der GEW Hessen Delegierte bzw. Mitglieder entsprechend der Geschlechterverteilung vertreten sind“.


Neue Aufgaben und neue Strukturen


Doch sehr bald spitzte sich die zum Teil hoch emotionale Debatte auf die Frage der Zukunft der Bezirksverbände zu. Der Versuch der HLZ-Redaktion, die gegensätzlichen Positionen, die in Arbeitsgruppen und einer Strukturkommission seit fast zwei Jahren ausgetauscht werden, in wenigen Worten zusammenzufassen, dürfte vermutlich beiden Seiten nicht gerecht werden:
In der derzeitigen Struktur gibt es zwischen den Kreisverbänden und dem Landesverband die vier Bezirksverbände Nordhessen, Mittelhessen, Frankfurt und Südhessen. Seit der Auflösung der Schulabteilungen in den Regierungspräsidien und der danach folgenden Auflösung der Bezirkspersonalräte ist diese Struktur strittig. Dazu kamen in der letzten Zeit unter anderem Probleme im Bezirksverband Nordhessen, einen Vorstand zu bilden, und der Austritt von sieben Kreisverbänden aus dem Bezirksverband Südhessen. Zudem ist es immer schwieriger, Ehrenamtliche für die komplexen Strukturen und Gremien der GEW zu finden. Deshalb legte der GEW-Landesvorstand einen Vorschlag zur Änderung der Satzung vor, wonach die Zusammenarbeit von Kreisverbänden in Bezirksverbänden auf eine freiwillige Grundlage gestellt wird. Landesvorsitzender Thilo Hartmann sieht darin eine Chance, die GEW „für die Zukunft so aufzustellen, dass wir die Änderungen in der Gesellschaft und im Bildungsbereich berücksichtigen und die Interessen der Mitglieder vor Ort wirkungsvoll vertreten können“.


Die Kritiker dieses Entwurfs betonen die Bedeutung der Zusammenarbeit in einem Bezirksverband, der näher an der Basis ist als der Landesvorstand, gerade für kleinere Kreisverbände. Die Regelungen des Satzungsentwurfs zu freiwilligen Kooperationsverbünden erschienen ihnen nicht weitgehend, da diese – anders als die bisherigen Bezirksverbände – nicht mehr mit einem Stimmrecht im geschäftsführenden Landesvorstand verbunden sind und die bisherigen Beitragsanteile der Bezirksverbände auf alle Kreisverbände verteilt werden. Insbesondere verzichte die GEW auf eine in der Struktur verankerte Mittelebene, die für „Kreativität, Basisarbeit und konstruktiven Widerspruch“ gegenüber einer vermeintlichen Dominanz des Landesvorstands stehe. Mit dem Abbau funktionierender Strukturen sei letztlich „nichts gewonnen, aber vieles verloren“.


Vor dem Einstieg in die Sachdebatte begründete Jens Hormann einen gemeinsamen Antrag der Kreisverbände Dill und Wetzlar, dem sich zehn weitere Kreisverbände angeschlossen hatten, auch für die Satzungsdebatten müsse es „Zeit für mehr Zeit“ geben. Der Antrag, die Beschlussfassung über die Organisationsänderung „bis in den Herbst 2024“ zu vertagen, wurde mit großer Mehrheit von 174 zu 71 Stimmen abgelehnt. Dabei gingen die Wogen zum ersten Mal hoch.


Madlen Krawatzek (Junge GEW) stellte die Frage, wie sie die Debatte einem Mitglied erklären solle: „Dazu müsste ich unsere Strukturen erst einmal erklären und schon daran werde ich scheitern.“ Auch Hans Grote vom Regionalverband Hochschule und Forschung Nordhessen warb für eine Abkürzung der Debatte: „Wollen wir uns wirklich in dieser Ausführlichkeit über Jahre mit uns selbst beschäftigen?“ Schließlich stünden die nächste Tarifrunde und die Personalratswahlen vor der Tür. In jeweils mit großen Mehrheiten beschlossenen Anträgen auf Schluss der Redeliste oder Schluss der Debatte sah Angelika Lerch vom KV Odenwald einen „erbärmlichen Verstoß gegen die basisdemokratische Orientierung“. Thilo Hartmann beschrieb den Satzungsentwurf dagegen als „Kompromiss, der dem Mitglied in einer nordhessischen Kita genauso gute Möglichkeiten bietet sich zu engagieren wie einem Mitglied an einer Schule an der Bergstraße“.


Um eine gründliche Diskussion der strittigen Fragen zu ermöglichen, verlängerten die Delegierten ihre Beratung bis in die Abendstunden. Bei der abschließenden Abstimmung wurden alle Regelungen des Satzungsentwurfs, die die zukünftige veränderte Rolle von Bezirksverbänden betreffen, zusammengefasst: 173 Delegierten votierten für diese Änderung (71%), es gab 67 Gegenstimmen und acht Enthaltungen. Damit wurde die für eine Satzungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht.


Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage, ob die GEW Hessen in ihrer Satzung ein Team verankern soll, das bei Diskriminierung, übergriffigem Verhalten, sexualisierter Belästigung und Gewalt ansprechbar sein soll und auf den Abbau von diskriminierenden Strukturen hinwirken soll. Dieser Vorschlag erreichte die erforderliche Zweidrittelmehrheit denkbar knapp. Auch wenn nicht alle Delegierte davon überzeugt waren, dass das letztendlich beschlossene „Ansprechteam“ dafür den richtigen Weg darstellt, bestand doch Einigkeit im Ziel.
Engagiert gegen Berufsverbote


In den zweiten Tag startete die Versammlung, indem sie ihre Unterstützung des Kollegen Luca Schäfer zum Ausdruck brachte. Ihm wird aufgrund fragwürdiger Vorwürfe im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Demonstration die Einstellung in den Vorbereitungsdienst verweigert. Die GEW unterstützt Luca Schäfer „juristisch, politisch und mit Öffentlichkeitsarbeit gegen ein drohendes Ausbildungs- und damit Berufsverbot“. Zudem ruft der Landesverband zur Unterzeichnung der Petition „Luca muss Lehrer bleiben!“ auf der Plattform change.org auf. Ihre Solidarität untermauerten die Delegierten anschließend mit einer Solidaritätsaktion vor dem Kongresszentrum.


Phillip Loth stellte die von der Landes-ASten-Konferenz, der Landeschüler*innenvertretung und dem Fahrgastverband Pro Bahn gestartete Petition für ein bundesweit gültiges Bildungsticket vor, die viele Delegierte noch vor Ort mit ihrer Unterschrift unterstützten (HLZ S.5). Die ehemalige GEW-Bundesvorsitzende Marlis Tepe berichtete über die Arbeit von „Fair Childhood“. Die GEW-Stiftung setzt sich in verschiedenen Initiativen weltweit gegen Kinderarbeit ein, um Schulbildung zu ermöglichen. Die Delegierten spendeten unmittelbar einen großzügigen vierstelligen Betrag.
 

Personalratswahlen im Mai 2024 vorbereiten
 

Im Mai 2024 stehen die Personalratswahlen an. Daher entschieden die Delegierten auch über die GEW-Listen für die Hauptpersonalratswahlen. Als Spitzenkandidatin für die verbeamteten Lehrerinnen wählte die Versammlung Anna Held, Förderpädagogin aus Nordhessen. Auf Platz 2 folgte Christina Nickel, Ausbilderin am Studienseminar Wiesbaden. Beide gehören dem Hauptpersonalrat Schule (HPRS) bereits an. Sie möchten sich dort weiterhin für ihre Schwerpunktthemen engagieren, für Anna ist das etwa die Umsetzung der Inklusion, für Christina die Lehrkräfteausbildung. Auf Platz 3 wurde Dorit Schößer gewählt, Grundschullehrerin in Fulda. Umstritten war nur die Besetzung des zehnten Platzes. Im dritten Wahlgang wurde Tina Breidenich mit einfacher Mehrheit gewählt.


Für die GEW-Liste der Beamten wählten die Delegierten den derzeitigen Vorsitzenden des Hauptpersonalrats Schule Peter Zeichner erneut zum Spitzenkandidaten. Er war bis zu seiner vollen Freistellung für die Personalratsarbeit an einer Gesamtschule in der Wetterau tätig. Stefan Edelmann aus dem Landkreis Offenbach wurde auf Platz 2 gewählt. Er ist Gymnasiallehrer und derzeit stellvertretender Vorsitzender des HPRS. René Prokop aus Wiesbaden folgt auf Platz drei. Die Junge GEW hatte ihn als jungen Lehrer an einer berufsbildenden Schule vorgeschlagen.
Annette Karsten wird die Frauenliste der Angestellten anführen. Sie ist Sozialpädagogische Fachkraft an einer Förderschule in Nordhessen und gehört dem Hauptpersonalrat seit 2012 an. Sie wird sich besonders für die Belange der Tarifbeschäftigten einsetzen. Frank Engelhardt wurde auf Platz 1 der Männerliste bei den Angestellten gewählt. Er will sich mit der drohenden „weiteren Mangelverwaltung“ offensiv ausein­andersetzen und „Sand ins Getriebe streuen“.


Für die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Hauptpersonalrat Wissenschaft und Kunst wurde Dr. Michael Hoffmann von der Universität Gießen erneut auf Platz 1 gewählt. Der Kodex für gute Arbeit solle besser umgesetzt werden, der „Kampf gegen Befristungen“ stehe dabei für ihn im Mittelpunkt. Für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen wird derzeit noch eine Kandidatin für den ersten Platz gesucht, auf Platz zwei tritt Katja Richter von der Hochschule Fulda an. Die hohe Prekarität in diesem Bereich erschwert nicht zuletzt die Mitarbeit in den Personalratsgremien, die ohne ein Mindestmaß an Kontinuität nicht zu bewerkstelligen ist.


Aufgrund der gründlichen Diskussion konnten letztendlich trotz der abendlichen Verlängerung nicht alle vorliegenden Anträge behandelt werden. Die Delegierten überwiesen diese daher an den Landesvorstand, der sich auf seiner nächsten Sitzung mit ihnen befassen wird.


Thilo Hartmann dankte den Delegierten abschließend für die „intensive, sachliche und faire Debatte“. Nun gehe es darum, „die Tarifverhandlungen zum TV-H anzugehen“, die Kampagne „Zeit für mehr Zeit“ fortzusetzen und das Thema „Eine Schule für alle“ voranzubringen. Er zeigte sich überzeugt, dass die GEW Hessen einen erfolgreichen Personalratswahlkampf hinlegen und in allen Gremien die Mehrheit erreichen wird.