Bildung: Für viele Thema Nummer 1

Aber wahlentscheidend war die Bildungspolitik nicht | HLZ November 2023

Die CDU und ihr Spitzenkandidat Boris Rhein sind klar als Sieger aus der Landtagswahl am 8. Oktober hervorgegangen. Dass es zu einer Koalition unter ihrer Führung kommen wird, ist klar. Die CDU kann gestärkt in die Verhandlungen mit einem der beiden in Frage kommenden Koalitionspartner eintreten: Sowohl die Grünen als auch die SPD haben gegenüber der letzten Wahl deutlich verloren. Erschreckend ist das Ergebnis der AfD, die in Zukunft die zweitstärkste Fraktion im Hessischen Landtag stellen wird. Mit 18,4 Prozent erreichte sie ihr bestes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland.


Für die GEW als Bildungsgewerkschaft war diese Wahl von entscheidender Bedeutung, da die Bildungspolitik größtenteils in Landesverantwortung liegt. Hinzu kommt, dass angesichts der tarifpolitischen Eigenständigkeit Hessens die Landesebene auch für die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst maßgeblich ist.


Die GEW hat unter anderem mit ihren in der HLZ 9-10/2023 veröffentlichten Wahlprüfsteinen, mit mehreren Diskussionsveranstaltungen und mit dem landesweiten Aktionstag mit Kundgebungen und Demonstrationen in fünf hessischen Städten dafür gesorgt, dass Bildung im Wahlkampf eine maßgebliche Rolle gespielt hat.


Der hr-Hessentrend hatte bereits im Frühjahr aufgezeigt, dass von den Wahlberechtigten der Bereich „Bildung, Schule, Ausbildung“ als das wichtigste, vordringlich zu lösende Problem in Hessen eingeschätzt wurde. In der September-Erhebung ist dessen Bedeutung sogar noch gewachsen. Mit deutlichem Abstand folgten die Themen „Zuwanderung, Flucht“ sowie „Mobilität, Verkehr“. Die Bildungspolitik, insbesondere der Lehrkräftemangel, kam dann auch in allen wichtigen Diskussionsrunden vor.


Die inhaltlichen Positionen der demokratischen Parteien hat die GEW in ihren Wahlprüfsteinen dargestellt und bewertet (HLZ 9-10/2023), sie müssen hier  nicht noch einmal rekapituliert werden. Im Nachhinein aufschlussreich ist, welche Schwerpunkte sie mit ihren Wahlplakaten setzten. Wie bei keinem anderen Kommunikationskanal prägen die so in die Welt gesetzten Botschaften den öffentlichen Raum in den Wochen vor der Wahl.


Die CDU platzierte gleich zwei Plakate zum Thema Schule. Eines davon erklärte die „Schulbank“ zur „wichtigsten Bank Hessens“. Dagegen ist inhaltlich nichts einzuwenden. Allerdings stellt sich die Frage, warum sich dann nach inzwischen 24 Jahren CDU-geführter Landesregierungen der Investitionsstau an den hessischen Schulen auf fünf Milliarden Euro beläuft. Tief in die Mottenkiste griff die CDU hingegen mit einem Plakat, das „Chancen für alle statt Einheitsschule für alle“ forderte. Ines Claus erwiderte in der Spitzenrunde der Fraktionsvorsitzenden auf die Frage, warum die CDU es für nötig erachte, sich gegen eine von niemandem geforderte „Einheitsschule“ zu wenden, dass es zumindest Kräfte gebe, die die Querversetzung und die Ziffernnoten in Frage stellten. Dass Schwarz-Grün selbst zumindest einzelnen, pädagogisch selbständigen Schulen den Verzicht auf Ziffernnoten ermöglicht hat, blieb unerwähnt.


Die Grünen und die Linke stellten auf ihren Plakaten das Ziel der Bildungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt. Die grüne Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn zeigte sich zusammen mit einer Schülerin im Klassenraum. Darunter prangte der Slogan „Damit alle alles erreichen können.“ Die Linke forderte „Gute Bildung von Anfang an“. Die SPD nahm den Personalbedarf in den Fokus. Neben den Bereichen Pflege, Ärzte sowie Handwerk legte sie sich auch bezüglich der Lehrkräfte auf eine Zahl fest: „Zeit für 12.500 neue Lehrer.“ Auf anderen Plakaten verwendete sie jeweils die weibliche Form. Die FDP stieß in das populistische Horn, indem sie den Lehrkräftemangel in einen Satz mit dem Reizthema Gendersprache zwängte: „Vom Gendern kommen auch nicht mehr Lehrerinnen“, lautete die sprachlich wie inhaltlich fragwürdige Feststellung.


Wer hat wie gewählt?


Die Wahlentscheidung fiel je nach soziodemografischer Gruppe unterschiedlich aus: CDU und SPD fanden bei Älteren den größten Zuspruch, FDP und die Linke hingegen bei Jüngeren. Die AfD wurde in mittleren Altersgruppen am häufigsten gewählt. Der Anteil der Grünen variierte weniger als bei den anderen Parteien zwischen den Altersgruppen. Bei früheren Wahlen hatten sie allerdings noch überproportional viele Stimmen bei den Jüngeren gewonnen. Für die Verschiebungen im Endergebnis spielte neben der so genannten Wählerwanderung auch die rückläufige Wahlbeteiligung eine nicht zu unterschätzende Rolle: Insbesondere ehemalige Wählerinnen und Wähler der Linken, der Grünen und der SPD sind diesmal nicht wählen gegangen.


Gewerkschaftsmitglieder wählen traditionell deutlich anders. Das zeigte sich auch bei dieser Wahl. Wie bei anderen soziodemografischen Merkmalen werden diese Daten anhand der Selbstauskunft einer repräsentativen Stichprobe unmittelbar nach der Wahl gewonnen. Dabei sind bezüglich der Gewerkschaftsmitgliedschaft neben den DGB-Gewerkschaften auch der Beamtenbund und andere Arbeitnehmerorganisationen eingeschlossen. Die SPD und die Linke haben unter den Gewerkschaftsmitgliedern nach wie vor mehr Rückhalt, doch auch unter diesen wurde die CDU zur stärksten Kraft. Trotz ihrer dezidiert gegen Gewerkschafts- und Beschäftigtenrechte gerichteten Agenda erhielt die AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern überdurchschnittlich viele Stimmen.


Bundespolitik sticht Landespolitik aus


Der Wahlkampf wurde von den meisten Beobachterinnen und Beobachtern als vergleichsweise „lahm“ wahrgenommen. Große Kontroversen sind ausgeblieben, eine Wechselstimmung ist nicht entstanden. Vor diesem Hintergrund ging es am Ende eher um die Bundespolitik. Die Landtagswahl wurde von vielen als eine Gelegenheit verstanden, der Bundesregierung einen „Denkzettel“ zu verpassen. Dies sagte ausdrücklich die Hälfte der unmittelbar nach der Wahl Befragten. Alle drei Ampelparteien mussten so empfindliche Verluste hinnehmen, die FDP zog nur knapp wieder in den Landtag ein. Obwohl im Vorfeld der Wahl die Bildungspolitik als das wichtigste landespolitische Thema identifiziert wurde, zeigten die Nachwahlbefragungen, dass diese für die Wahlentscheidung nur eine untergeordnete Rolle spielte. An erster Stelle standen dezidiert bundespolitische Themen: Wirtschaft, Klima und Energie sowie Zuwanderung.


Der hessischen CDU kann man zu Gute halten, dass sie sich im Wahlkampf nicht auf eine Anbiederung an Rechtsaußen eingelassen hat, wie sie vom Bundesvorsitzenden Friedrich Merz offensiv verfolgt wird. Dieser Strategie dürfte die irrige Annahme zu Grunde liegen, dass man die Wählerinnen und Wähler der AfD einfach „zurückholen“ kann, indem man die Themen und die menschenverachtende Sprache dieser Partei übernimmt. Nach zehn Jahren schwarz-grüner Landesregierung wäre es freilich auch wenig glaubwürdig gewesen, nun in Hessen – wie Friedrich Merz auf Bundesebene – die Grünen zum Hauptgegner zu erklären. Boris Rhein hat sich – allerdings eher halbherzig - von problematischen Aussagen des Bundesvorsitzenden distanziert und die Brandmauer zwischen CDU und AfD in Hessen ausdrücklich bestärkt. Die CSU in Bayern hat unter Markus Söder deutlich stärker rechtspopulistische Töne angeschlagen – und damit im Gegensatz zur Hessen-CDU Stimmen eingebüßt.


Ein echter Verlust für die Landespolitik ist das Ausscheiden der Linken. Sie hat dem Landtag seit 2008 durchgehend angehört. Nicht zuletzt zur Bildungspolitik sind der Linken in diesen 15 Jahren zahlreiche parlamentarische Anfragen und Initiativen zu verdanken gewesen. Für die Gewerkschaften bleiben die Linken auch außerparlamentarisch ein wichtiger und verlässlicher Bündnispartner.


Die Analyse dieser Wahl erinnert frappierend an die der vorangegangenen: Auch damals zählte die Bildungspolitik vor der Wahl zu den wichtigsten Themen, sie wurde letztendlich aber zu einer Denkzettelwahl. 2018 traf es die GroKo auf Bundesebene mit großen Verlusten für die CDU und die SPD. Ähnlich ist es nun wieder gelaufen, nur dass diesmal die Ampelparteien abgestraft wurden. Für die wichtigen Politikfelder auf Landesebene, allen voran die Bildungspolitik, ist es betrüblich, dass sie im deutschen Föderalismus bei den Wahlentscheidungen allzu oft nicht zum Tragen kommen.


Bei Redaktionsschluss der HLZ hatte die CDU Sondierungsgespräche mit Grünen und SPD begonnen, eine finale Entscheidung war noch nicht bekannt.



Roman George