Erste Woche digitaler Hochschullehre

„Der entscheidende Lerneffekt kann nicht hergestellt werden“

Pressemitteilung 27. April 2020

In einem Marathon unzähliger Überstunden haben die Beschäftigten in den Hochschulrechenzentren und die Verantwortlichen für die Digitalisierung der hessischen Hochschulen den Start in die digitale Lehre realisiert. Das Land Hessen unterstützt zukünftig die Bemühungen mit einem Digitalpakt in Höhe von 112 Millionen. Dieses Geld wird dringend gebraucht, wie es die erste digitale Vorlesungswoche in Hessen zeigt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stellte an allen hessischen Hochschulen Probleme fest, insbesondere im Bereich der Arbeitszeit und von Videokonferenzen.

„Viele Beschäftigte klagen über die enorm gestiegene Arbeitszeit zur Vorbereitung digitaler Lehre“, so Maike Wiedwald, Vorsitzende der GEW Hessen. „Besonders Eltern mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter kommen an ihre Belastungsgrenze, wenn sie Lehre, Forschung und Kinderbetreuung gleichzeitig vereinbaren müssen. Vor allem für diese Gruppe muss es unbedingt zeitnah eine Lösung geben“, fordert Maike Wiedwald von der Wissenschaftsministerin Angela Dorn. Bei allem technologischen Fortschritt geben die Gewerkschafter zu bedenken, dass die Präsenzlehre und Lehrpersonal nicht ersetzbar sind. So bringt Sebastian Garbe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gießen die Bedenken auf den Punkt: „Der entscheidende Lerneffekt lässt sich nur online nicht herstellen. Egal wie sehr wir uns anstrengen, auch mittel- und langfristig braucht eine gute Pädagogik kollektive Präsenz im Seminarraum, direkten Austausch und die gemeinsame Erfahrung außerhalb digitaler Medien."

In der praktischen Umsetzung nutzen die Hochschulen unterschiedliche technische Werkzeuge. „Unabhängig vom Werkzeug war die digitale Infrastruktur der Hochschulen der hohen Nachfrage von Studierenden streckenweise nicht gewachsen. Viele konnten sich in der ersten Woche nicht mal die aufgezeichneten Vorlesungen anschauen. Es gab immer wieder technische Probleme“, berichtet Henning Tauche, Student an der Universität Gießen und im dortigen AStA aktiv. Nathalie Schäfer, Studentin an der Goethe-Universität Frankfurt und Sprecherin der Studierenden in der GEW pflichtet dem bei und unterstreicht: „Unsere Lehrenden und die Verwaltung bemühen sich, aber gerade zu bestimmten Hauptzeiten sind die Server einfach überlastet.“

„Ordentliche Lehre können wir nur mit ordentlichen Werkzeugen machen“, mahnt Wolfgang Form, Mitarbeiter am Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse an der Universität Marburg. Mit Privatlaptops sind die technischen Anforderungen eines Seminars nicht immer zu bewältigen, denn dafür braucht es mehrere Bildschirme, Headset und gute Kameras - bisher tragen die Lehrenden die Kosten der Anschaffung, dass darf eigentlich nicht sein“, so Form weiter. Neben der Ausstattung des heimischen Arbeitsplatzes und der Funktionalität von Programmen diskutieren die Beschäftigten kontrovers über den Datenschutz und die Kosten digitaler Lösungen.

„Die Kollegen gehen mit großer Motivation an die Herausforderung der digitalen Lehre heran, aber sie werden aufgrund von Überlastung der bisherigen Dienste und offener Datenschutzfragen teilweise von den Dienststellen alleine gelassen. Es braucht eine bessere digitale Intrastruktur, deren Ausbau in die öffentliche Hand gehört“, so Dr. Simone Claar, Forschungsgruppenleiterin an der Universität Kassel und Leiterin des Referats Hochschule und Forschung der GEW Hessen.

Foto: bet noire, digital istock