„Suchen Sie Lehrer? Wir sind welche."

Grundschullehrkräfte aus der Türkei in Deutschland

| HLZ Juli/August 2023: 75 Jahre GEW & HLZ

Einerseits werden in Deutschland Lehrkräfte dringend gesucht. Quereinsteiger-Programme und Werbekampagnen für den Lehrerberuf wurden geschaffen, pensionierte Lehrkräfte werden angeschrieben mit der Bitte, in den hessischen Schuldienst zurückzukehren. Der hessische Kultusminister prophezeit in einem solchen Bittschreiben:

„Die besonderen Herausforderungen der letzten Jahre bei der Versorgung mit Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen bestehen voraussichtlich noch einige Jahre weiter und bedürfen weiterhin unseres gemeinsamen Einsatzes zur Bewältigung dieser Aufgabe.“


Andererseits stoßen Lehrkräfte aus dem Ausland, die in Deutschland leben und hier auch in ihrem Beruf arbeiten möchten, auf große bürokratische Hürden, deren Überwindung enorm viel Optimismus und Durchhaltevermögen erfordert.


Belkiz (42) und Kamil Duman (43) sind vor vier Jahren aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. In der Türkei hatte Belkiz auf Grundschullehramt studiert und zwölf Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Ihr Mann Kamil hatte Geschichte studiert und war als Quereinsteiger zum Grundschullehrerberuf gekommen. Nach acht Jahren Lehrtätigkeit folgten sechs Jahre als stellvertretender Schulleiter.
 

„Anerkennung nicht möglich“

In Deutschland angekommen wurden Belkiz und Kamil Duman sehr bald als Geflüchtete anerkannt. Seitdem besuchen sie Integrations- und Sprachkurse. Einmal wöchentlich arbeiten sie ehrenamtlich in einem Oxfam-Laden, auch das hilft beim Deutschlernen.

Belkiz Duman ist sich sicher, es wäre noch besser für den Spracherwerb und auch für den Wiedereinstieg in den alten Beruf, wenn sie ihren Sprachkurs nur noch nachmittags besuchen und vormittags stattdessen in einer Grundschule hospitieren würden: „So könnten wir das deutsche Schulsystem kennen lernen und die nötigen Fachbegriffe für den Berufsalltag auch.“


Kamil Duman stieß bei seinen Recherchen im Internet auf das Quereinsteiger-Programm für Grundschullehrkräfte - das schien ihm genau das Richtige zu sein. Kamil und Belkiz Duman bewarben sich. Vom Kultusministerium erhielten sie die Antwort, „dass Sie nicht zu diesem Verfahren zugelassen werden können, da Sie über einen lehrerbildenden Abschluss aus der Türkei (…) verfügen. Eine Zulassung zu diesem Verfahren setzt jedoch einen Abschluss voraus, der kein lehrerbildender Abschluss ist.“


Also Abschluss vorhanden, Quereinstieg nicht nötig, regulärer Einstieg möglich? So einfach ist das leider nicht. „Eine volle Anerkennung der in der Türkei erworbenen Ausbildung ist nicht möglich“, heißt es in der Antwort der Hessischen Lehrkräfteakademie, bei der Kamil und Belkiz Duman ihre übersetzten und beglaubigten Unterlagen eingereicht haben. Die Begründung: „Gemäß § 10 HLbG bezieht sich das Lehramt an Grundschulen auf mindestens drei Unterrichtsfächer.“


Deshalb könne Belkiz Duman zwar die Fächer Mathematik bis Klasse 6 und Sachkunde bis Klasse 4 unterrichten, aber nur, wenn sie zuvor ein weiteres Fach studiert und eine wissenschaftliche Hausarbeit verfasst habe. Im Alter von 42 Jahren möchte Belkiz Duman kein zweites Studium aufnehmen, um in ihrem  erlernten Beruf zu arbeiten: „Ich habe zwölf Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, ich verstehe das nicht. Ich würde gern wissen: Was mache ich in Zukunft? Lehrerin nicht. Sozialarbeiterin nicht. Wir bekommen gesagt: Zuerst müssen Sie Ihre Unterlagen vervollständigen, dann können Sie sich bewerben. Die Unterlagen sind oft sehr umfangreich, und es vergeht viel Zeit. Es ist manchmal schwer für uns, wenn wir immer wieder negative Antworten bekommen.“
 

Was mache ich in Zukunft?

Belkiz und Kamil Duman gehen auf eine Jobmesse. Am Stand des Schulamtes stellen sie sich vor. „Suchen Sie Lehrer?“, fragen sie. „Wir sind Lehrerin und Lehrer. Möchten Sie uns haben?“ Sie bekommen Tipps und weitere Adressen, an die sie sich wenden können. Sie gehen zu Beratungsstellen, telefonieren mit weiteren Fachleuten vom Schulamt und der Zentralstelle für Personalmanagement in Darmstadt. Sie erfahren: Eine Möglichkeit gibt es für sie, in den Lehrerberuf einzusteigen. Sie können sich direkt bei einer Frankfurter Schule vorstellen und eine befristete Einstellung für die Abdeckung von Vertretungsunterricht bekommen.


Belkiz und Kamil Duman sprechen mit einer Schulleiterin. Ja, es gebe Bedarf, sagt ihnen die Schulleiterin, weist aber darauf hin, dass eine solche befristete Einstellung nach fünf Jahren zwangsläufig zu Ende sei, da sich die Vertretungslehrkräfte sonst in ein unbefristetes Anstellungsverhältnis einklagen könnten. Auch das ist für die beiden keine Lösung mit Zukunft.


Kamil Duman hat gelesen, dass außer Lehrkräften auch Erzieher und Erzieherinnen dringend gesucht werden. Vielleicht wäre eine Umschulung zum Erzieher etwas für ihn? Er recherchiert und landet auf der Webseite einer beruflichen Schule. Lächelnde Gesichter sehen ihn an. „Schön, dass Sie da sind“, liest er. Aus Erfahrung weiß er, dass er auf solche Begeisterung lieber nicht allzu viel geben sollte.


Marion Scherpf