Um angemessen auf die Corona-Krise zu reagieren, hatte die Hessische Landesregierung im Juli 2020 die Errichtung eines Sondervermögens in Höhe von 12 Milliarden Euro für den Zeitraum 2020 bis 2023 beschlossen. Ähnliche Maßnahmen hatten auch andere Bundesländer zur Bewältigung der Krise ergriffen. Mit dieser Summe sollten die Folgen der Corona-Krise ausgeglichen werden: Dazu gehören unter anderem Steuermindereinnahmen des Landes und der Kommunen, gegebenenfalls erforderliche Beteiligungen des Landes an Unternehmen, der Ausbau der IT-Infrastruktur insbesondere im Bildungsbereich oder Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Sicherung der sozialen sowie kulturellen Infrastruktur.
Insbesondere die Fraktionen von SPD und FDP lehnten die Errichtung des Sondervermögens und die entsprechende Kreditermächtigung ab. Da beide das Vorhaben der Landesregierung durch eine im Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse ursprünglich festgeschriebene Zweidrittelmehrheit blockieren konnten, änderten die Koalitionsparteien diese Vorschrift im Ausführungsgesetz. Hierfür reichte die einfache Mehrheit von CDU und Bündnis 90/Die Grünen aus.
Sowohl gegen das Sondervermögen als auch gegen die Änderung der Zweidrittelmehrheit im Schuldenbremsen-Ausführungsgesetz zogen SPD und FDP vor das hessische Verfassungsgericht, den Staatsgerichtshof. Die AfD folgte Monate später mit einer ähnlichen Klage. Die Landesregierung begründete die Einrichtung des Sondervermögens unter anderem mit der Planungssicherheit und Verlässlichkeit gegenüber den Kommunen, denen zugesagt wurde, dass die Zuweisungen im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs in den kommenden Jahren weiter moderat wachsen würden. Städte, Gemeinden und Landkreise begrüßten das Sondervermögen.
Klatsche des Staatsgerichtshofs
Bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu den Klagen gegen das Sondervermögen am 14. Juli deutete sich an, dass der Staatsgerichtshof das Sondervermögen kippen könnte. Mit dem Urteil am 27. Oktober ist dies dann tatsächlich erfolgt, für die schwarz-grüne Landesregierung eine herbe Niederlage, wobei SPD und FDP zwar in den entscheidenden, aber nicht in allen Punkten der Klage recht bekamen:
- Die Landtagsmehrheit war grundsätzlich berechtigt, die Corona-Hilfen zu beschließen. Der Staatsgerichtshof verwarf die Auffassung von SPD und FDP, hierzu sei wie ursprünglich im Schuldenbremsen-Ausführungsgesetz verankert eine Zweidrittelmehrheit erforderlich gewesen.
- Generell hält der Staatsgerichtshof die Einrichtung eines Sondervermögens für zulässig. Im konkreten Fall verstoße das Corona-Sondervermögen aber gegen die Hessische Landesverfassung.
- Als problematisch bewertet der Staatsgerichtshof das außergewöhnlich hohe Volumen von 12 Milliarden Euro und die mehrjährige Laufzeit. Das Budgetrecht des Landtags sowie die Haushaltsgrundsätze der Vollständigkeit und der Einheit würden verletzt, denn die Abgeordneten könnten keinen entscheidenden Einfluss auf die Verwendung der Mittel des Sondervermögens nehmen.
- In dem Gesetz zum Sondervermögen sei nicht ausreichend festgelegt, für welche Zwecke die Mittel des Sondervermögens verausgabt werden sollten.
- Außerdem konstatiert der Staatsgerichtshof einen Verstoß gegen die sogenannte Schuldenbremse in Artikel 141 der Hessischen Verfassung, die die Aufnahme neuer Schulden grundsätzlich verbietet. Die Ausnahmeregelung für besondere Notsituationen oder Naturkatastrophen sei mit einer mehrjährigen Kreditermächtigung „auf Vorrat“ nicht vereinbar. Die Landesregierung habe nicht nachvollziehbar begründet, warum sie nicht die allgemeine Rücklage des Landes aufgelöst hat, um die Kreditaufnahme im Rahmen des Sondervermögens zu verringern.
Keine kurzfristigen Folgen
Unmittelbare Folgen hat die Entscheidung des Staatsgerichtshofs zunächst nicht: Bereits ausbezahlte oder beschlossene Finanzhilfen müssen nicht zurückbezahlt oder einbehalten werden. Auch für den Vollzug des laufenden Landeshaushalts 2021 ergeben sich keine unmittelbaren Folgen. Der Staatsgerichtshof hat der Landesregierung vielmehr eine Frist bis Ende März 2022 gesetzt, um den bereits in den Landtag eingebrachten Haushalt 2022 an das Urteil anzupassen.
Dabei kann sich die Landesregierung auch im Jahr 2022 auf eine außergewöhnliche Notsituation nach Artikel 141 der Hessischen Verfassung berufen und die zur Krisenbewältigung erforderlichen Kredite im Kernhaushalt des Landes aufnehmen.
Dies entspricht auch der im Juni 2021 getroffenen Feststellung des Stabilitätsrats, der die Haushaltsführung von Bund und Ländern überwacht. Erlaubt sind im kommenden Jahr in diesem Kontext auch Nachtragshaushalte, mit denen nachträgliche Veränderungen an bereits verabschiedeten und im Vollzug befindlichen Haushaltsgesetzen vorgenommen werden, um auf Abweichungen oder unerwartete Entwicklungen zu reagieren. Die Landesregierung sagte in einer Sondersitzung des Landtags zu, das Sondervermögen aufzulösen und die notwendigen Ausgaben zur Bewältigung der Pandemie in Nachtragshaushalten und einem überarbeiteten Haushalt für 2022 abzubilden.
Noch offen ist, wie es ab dem Jahr 2023 weitergeht, denn auch für dieses Jahr waren Mittel aus dem Corona-Sondervermögen eingeplant. Die dann aufzulösenden Rücklagen sollten ab 2024 die Rückkehr zur „Schwarzen Null“ ermöglichen.
Ob die Landesregierung auch 2023 noch einmal den Notstand bzw. eine Naturkatastrophe ausruft, dürfte davon abhängen, ob sie aus ihrer Sicht eine solche wirtschaftliche Situation glaubwürdig meint begründen zu können. Auf jeden Fall droht sich der Ausgabenspielraum zu verengen.
Notlagen für Kommunen möglich
Auch die hessischen Kommunen könnten größere finanzielle Probleme bekommen, da die Einnahmen aufgrund der Corona-Krise in den kommenden Jahren deutlich hinter ihren Planungen aus der Vor-Corona-Zeit zurückbleiben werden. In dieser Situation werden sie auf den vom Land zugesagten Mitteln zur Stabilisierung ihrer Finanzlage auf Basis des Sondervermögens bestehen und können dabei zu recht auf ihren enormen Investitionsbedarf nicht zuletzt im Schul- und Kitabereich verweisen.
Da die Steuerpolitik im wesentlichen Bundessache ist, könnten auch rechtliche Änderungen auf Bundesebene für höhere Einnahmen sorgen. Das Veto der FDP in der sich abzeichnenden Ampel-Koalition dürfte jedoch notwendige steuerpolitische Maßnahmen wie etwa die höhere Besteuerung von Unternehmenserbschaften verhindern. Und auch wenn die Schuldenbremse immer stärker in Frage gestellt wird, so liegt ihre Abschaffung aufgrund der hohen verfassungsrechtlichen Hürden weder kurz- noch mittelfristig im Bereich des Möglichen.
Kreditfinanzierte Staatsausgaben
Um trotzdem in ausreichendem Umfang investieren zu können und zusätzlichen Spielraum in den öffentlichen Haushalten zu bekommen, wird zunehmend auch über kreditfinanzierte öffentliche Investitionen jenseits der staatlichen Haushalte diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit der erforderlichen sozial-ökologischen Transformation und dem Investitionsstau im Bereich der staatlichen Infrastruktur.
Eine im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellte Studie hält kreditfinanzierte Investitionen durch rechtlich selbständige Einrichtungen des Bundes für zulässig und realisierbar (1).
Solche Einrichtungen als juristische Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts dürfen jedoch nicht nur dem Zweck dienen, finanzielle Mittel weiterzuleiten bzw. auszugeben, ihnen muss vielmehr ebenfalls eine eigene Sachaufgabe zugewiesen werden. Außerdem sei für deren Errichtung ein Bundesgesetz erforderlich.
Besonders geeignet erscheinen Anstalten des öffentlichen Rechts, da der Gesetzgeber hier über eine große Entscheidungsfreiheit verfügt und ein hohes Maß an Transparenz, politischer Steuerung und Kontrolle gewährleistet werden kann.
Auch die Bundesländer könnten entsprechende Einrichtungen zur Kreditfinanzierung von Investitionen gründen (2), wobei immer die konkrete Umsetzung der Schuldenbremse durch den jeweiligen Landesgesetzgeber relevant ist (3).
Inzwischen befürwortet auch die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen solche Anstalten des öffentlichen Rechts, da diese „schuldenbremsen-konform (…) eine bedarfsorientierte Flexibilität bei der Finanzierung von Investitionen in die Infrastruktur“ erlauben (4). Die hessische CDU dürfte sich auf ein solches Modell zur Finanzierung öffentlicher Investitionen nicht einlassen. So bleibt nur die Hoffnung auf andere politische Mehrheiten nach der kommenden Landtagswahl.
Kai Eicker-Wolf
Dr. Kai Eicker-Wolf ist finanzpolitischer Referent der GEW Hessen.
(1) Georg Hermes, Lukas Vorwerk und Thorsten Beckers: Die Schuldenbremse des Bundes und die Möglichkeit der Kreditfinanzierung von Investitionen. Rechtslage, ökonomische Beurteilung und Handlungsempfehlungen, IM Study Nr. 70, Oktober 2020.
(2) ebenda, S. 51.
(3) Birger Scholz: Die grundgesetzliche Schuldenbremse und ihre Umsetzung durch Bund und Länder sowie die haushaltspolitische Umsetzung der Notlagenverschuldung in der Corona-Pandemie, Berlin 2021.
(4) Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag: Grün wirkt weiter. Nachhaltige Finanzwirtschaft, Konzepte für Hessen 12, Wiesbaden o.J.