„Flucht, Migration und humanitäre Katastrophen“

Erfolgreiche Fachtagung von GEW, lea und KAV

Dokumentation auf youtube eingestellt

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Impressionen von der Fachtagung

Birgit Koch: Flüchtlinge und hessische Bildungspolitik

Bernd Kasparek: Perspektiven europäischer Migrationspolitik

Stephan Liebscher: Kartografie des Migrationsmanagements

Nevroz Duman: Watch the Med Alarmphone

Mostafa Farman: Flüchtlingsalltag in Hessen

 

Als „Signal“ und „Auftakt“ zu einer dringend notwendigen kritischen Auseinandersetzung um die europäische Migrationspolitik bezeichnete GEW-Landesvorsitzende Birgit Koch die gemeinsam mit der Kommunalen Ausländer- und Ausländer/innen-Vertretung Frankfurt (KAV) organisierte Fachtagung, die am 15. Februar 2016 mit rund 250 Kolleginnen und Kollegen im voll besetzten Plenarsaal des Frankfurter Römers stattfand.  

Mit Mostafa Farman (Gießener Ausländerbeirat) und Nevroz Duman (Jugendliche ohne Grenzen, Watch the Med) sprachen zwei Referenten/innen mit Flüchtlingsbiografie engagiert und leidenschaftlich zu den Teilnehmenden. Bernd Kasparek (bordermonitoring.eu e.V. / München) und Stephan Liebscher von der Universität Osnabrück steuerten informative Beiträge aus Sicht kritischer Wissenschaft bei.

Die Veranstaltung war nicht zuletzt eine Ermutigung für die praktische Bildungsarbeit mit Migrantinnen und Flüchtlingen, die die GEW im März 2016 mit weiteren Fachtagungen zur Arbeit in Intensivklassen und -kursen begleiten wird.

Migrationspolitik auf dem Prüfstand

An eine vergleichbare Zahl von Anmeldungen kann sich lea-Programmmacher Gerhard Walentowitz nicht erinnern. Trotz oder gerade wegen der hochpolitischen Thematik kamen am 15. Februar rund 250 Kolleginnen und Kollegen zu der lea-Fachtagung „Europäische Migrationspolitik auf dem Prüfstand“ in den Plenarsaal des Frankfurter Römers.

Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen, erinnerte daran, dass die GEW schon einmal gemeinsam mit der Kommunalen Ausländervertretung, der Diakonie Hessen und dem Landesausländerbeirat in den Römer eingeladen hatte, um im Mai 2014 die gemeinsamen bildungspolitischen Forderungen zur Förderung und Integration von Flüchtlingen und Quereinsteigern zu diskutieren. Die Landesregierung habe erst sehr spät reagiert und erst nach dem starken Anstieg der Zahl von Flüchtlingen im Herbst 2015 ein „ambitioniertes Integrationsprogramm“ aufgelegt. Für Birgit Koch ist es „ein erster Schritt in die richtige Richtung“, trotzdem müssten weitere konsequente Schritte folgen, unter anderem auch zur Verlängerung der Schulpflicht. Als Skandal bezeichnete Birgit Koch die Tatsache, dass gerade die reichen Länder besonders wenige Flüchtlinge aufnehmen, während Länder wie die Türkei, Jordanien oder der Libanon Millionen Menschen Zuflucht bieten.

Bernd Kasparek vom Verein Bordermonitoring betrachtete in seinem Auftaktreferat die Perspektiven der europäischen Migrationspolitik „zwischen repressiver Grenzüberwachung und humanitärem Anspruch“. Kasparek hält die gemeinsame europäische Asylpolitik für gescheitert. Um die Mobilität im Schengen-Raum aus ökonomischen Gründen zu erhalten, werde die Re­pression an den Außengrenzen ausge­baut. Zugleich solle der deutschen Bevölkerung so der Anblick „einer neuen Mauer“ und bewaffneter Grenztruppen erspart bleiben. Trotzdem sieht Kasparek auch Anlass für Optimismus, denn „Aufklärung hat Wirkung“. Die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer habe die Politik zum Handeln getrieben. Außerdem gebe es in Deutschland wieder eine Debatte über Verteilungspolitik, über sozialen Wohnungsbau und Bildung: „Deshalb muss Schluss sein mit der Rhetorik der Überforderung.“

Mostafa Farman (73) ist Sozialpädagoge und Vorsitzender des Gießener Ausländerbeirats und engagiert sich seit 25 Jahren in der Flüchtlingsarbeit. Ende 2015 übernahm er den Aufbau eines Wohnheims für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Lauterbach, und sein bewegender Bericht über die Arbeit mit 28 Jugendlichen aus Afghanistan schlug das Publikum in Bann. Ihre Angstschreie in der Nacht, ihre Tränen, als sie erstmals wieder Musik aus der Heimat hörten, ihre Wut über die Vorgänge in Köln und ihren Hunger nach Bildung beschrieb Farman einfühlsam und empathisch: „Diese Menschen sind kein Problem, sondern eine Bereicherung.“ Für den richtigen Umgang mit der großen Zahl von Schutzsuchenden, davon ist der Naturwissenschaftler Farman überzeugt, „gibt es keine mathematische Formel, sondern nur eine menschliche Formel“.

Der Titel des Referats von Stephan Liebscher vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück gab nicht nur dem Moderator der lea-Veranstaltung Jascha Habeck (hr-iNFO) zunächst Rätsel auf: Unter einer „Kartographie des Migrationsmanagements“ könne er sich nur wenig vorstellen. Doch die Beispiele machten sehr schnell deutlich, wie Landkarten mit aggressiven Pfeilen zur Darstellung von Flüchtlingsströmen Invasions- und Bedrohungsszenarien illustrieren, wie aber auch Karten kritische Inhalte transportieren können, wenn sie beispielsweise die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verorten oder Aktivisten der Zivilgesellschaft helfen können, Leben zu retten.

Dies dokumentierte Newroz Duman aus Hanau, die sich auch auf Grund ihrer eigenen Fluchterfahrung im Verein Jugendliche ohne Grenzen und seit der großen Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013 bei der Initiative Med Alarmphone engagiert. Über 100 vor allem junge Menschen aus 13 Ländern nehmen rund um die Uhr die Notrufe von Flüchtlingen entgegen, um sie umgehend an die Küstenwachen weiterzugeben und Druck zu machen (www.watchthemed.net). Newroz Duman ist überzeugt: „Zivilgesellschaftliches Engagement an den Grenzen schafft Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit und rettet Leben.“ Med Alarmphone informiert Flüchtlinge nicht nur über Notrufnummern, sondern versorgt sie auch mit rechtlichen Informationen und Kontaktadressen von Ärzten und Anwälten. Das Sterben im Mittelmeer werde man aber weder militärisch noch durch die Verfolgung von Schleusern beenden, sondern nur dann, „wenn endlich legale Wege für Flüchtlinge geschaffen werden, um nach Europa zu kommen“.

Harald Freiling, HLZ-Redakteur