DGB für eine solidarische Flüchtlingspolitik

HLZ 12/2015: Flüchtlinge

Die HLZ dokumentiert die Erklärung des DGB-Bezirksvorstandes Hessen-Thüringen vom 15. Oktober 2015 in Auszügen.

Den vollen Wortlaut findet man auf der Homepage des DGB Hessen-Thüringen

Der Bezirksvorstand des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen hat sich intensiv mit der Flüchtlingsfrage auseinandergesetzt. Menschen, die vor Hunger, Krieg, Umweltkatastrophen und Armut flüchten, brauchen Hilfe und keine Anfeindungen, ganz gleich, aus welchem politischen Spektrum diese kommen. Sie brauchen Solidarität und Unterstützung dabei, eine Perspektive für sich und ihre Familien zu finden. Der DGB Hessen-Thüringen und seine Mitgliedsgewerkschaften verurteilen daher die Angriffe auf Flüchtlinge aufs Schärfste – sei es durch Worte, die Ressentiments schüren und Menschen gegeneinander ausspielen, sei es durch Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Stammtischparolen, populistische Äußerungen und das Schüren von Ängsten. (…)

Derzeit sind weltweit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Aus gewerkschaftlicher Sicht müssen dringend die Fluchtursachen bekämpft werden, etwa durch eine konsequente Friedenspolitik und durch eine Weltwirtschaftspolitik, die ökonomische Benachteiligung abbaut, statt sie durch Ausbeutung von Rohstoffen und durch Freihandelsabkommen noch zu verschärfen.

Die Hilfsbereitschaft vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer sowie der Hilfsorganisationen, die in den vergangenen Wochen Flüchtlinge bei ihrer Ankunft willkommen geheißen haben, die helfen und unterstützen, wo und wie es ihnen möglich ist, ist ein starkes Zeichen der Menschlichkeit und Solidarität. Ihnen danken der DGB Hessen-Thüringen und seine Mitgliedsgewerkschaften ausdrücklich. Dasselbe gilt für jene, die sich rechten und rechtspopulistischen Kräften entgegenstellen und klar machen, dass Gewalt und Hass gegen andere inakzeptabel ist. Übergriffe auf Flüchtlinge und Gewalt gegen Einrichtungen müssen konsequent verhindert werden. Straftaten müssen schnell und umfassend verfolgt werden. Das gilt auch für Angriffe auf Bürgerinnen und Bürger, Helferinnen und Helfer sowie Polizistinnen und Polizisten, die sich schützend vor die Unterkünfte stellen.

Länder und Kommunen unterstützen

Der DGB Hessen-Thüringen und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die Politik dazu auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und die Anstrengungen nicht alleine der Zivilgesellschaft zu überlassen. Viele Initiativen unterstützen Flüchtlinge bei der Unterbringung, Versorgung oder bei der Sprachförderung - eigentlich Aufgaben staatlicher Einrichtungen. Hier muss der Staat handeln und den Kommunen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

Schuldenbremsenpolitik und die mangelhafte Ausstattung öffentlicher Haushalte werden die Bewältigung der Herausforderungen, die die Flüchtlingsbewegung mit sich bringt, erheblich erschweren und teilweise unmöglich machen. Grundsätzlich gilt es, die öffentlichen Haushalte so auszustatten, dass sie ihren grundlegenden Aufgaben nachkommen können. Es ist höchste Zeit für eine Steuerpolitik, die durch eine stärkere Belastung großer Vermögen, Erbschaften und Unternehmensgewinne wieder für mehr Einnahmen in den öffentlichen Kassen sorgt. Gerade jetzt sollen sich die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter nicht die Frage stellen müssen, wem sie das Geld, das sie zur Gestaltung vor Ort haben, geben und wem nicht. Bedarfe müssen gedeckt werden können. Um dies gewährleisten zu können, muss das Instrument der sogenannten Schuldenbremse überdacht werden.

Insbesondere in den Kommunen, die schon seit Jahren darauf hinweisen, dass ihnen die notwenigen Mittel fehlen, etwa um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, besteht akuter Handlungsbedarf. Die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln in Höhe von 6 Milliarden Euro für das Jahr 2016 seitens des Bundes zur Versorgung der Flüchtlinge ist ein erster Schritt, wird aber bei weitem nicht ausreichen. (…)

Erhöhter Personalbedarf

Der erhöhte Personalbedarf in Schulen, der Jugend- und Sozialarbeit, bei der Polizei und der öffentlichen Verwaltung muss gedeckt werden. Dabei ist die kurzzeitige Rückholung von Pensionären in den Dienst keine Lösung. Der DGB-Bezirk und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich dafür aus, den Personalbestand in den verschiedenen Bereichen jetzt und dauerhaft zu erhöhen und die darüber hinaus reichenden notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Denn Kinder haben ein Recht auf Schule, sie und ihre Angehörigen brauchen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Beratung und Betreuung. Insbesondere fordern wir eine dauerhafte und individuelle Betreuung und Begleitung durch Sozialarbeiter und Psychologen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Betreuung und Unterbringung von unbegleiteten und minderjährigen Flüchtlingen zu legen. Hier darf es zu keiner Aufweichung von Standards, insbesondere des Fachkräftegebots, kommen. Sie bedürfen auch einer sicheren Unterkunft. Die Unterbringung in Zelten und anderen Provisorien muss schnellstens in feste Unterkünfte überführt werden. Hierzu müssen die Kommunen in die Lage versetzt werden. Der soziale Wohnungsbau muss wieder aktiv betrieben werden, so dass bezahlbarer Wohnraum für alle zur Verfügung steht. (…)

Die Medien haben mit ihrer Berichterstattung über den Umgang mit Flüchtlingen, durch die meinungsbildende Kraft von Bildern und Sprache, eine hohe Verantwortung. Sie haben Einfluss auf die Bereitschaft der Menschen, mit der gegenwärtigen Situation und den kommenden Herausforderungen umzugehen. Eine ausgewogene und differenzierte Berichterstattung trägt dazu bei, dass Ressentiments gegen Menschen in Notsituationen ein Gegengewicht bekommen.

Unterrichtsmaterial: www.gew.de/flucht-und-asyl

Auf der Homepage des GEW-Bundesverbands wurde jetzt ein neues Angebot zu den Themen Flucht und Asyl freigeschaltet. Dort findet man alle aktuellen Meldungen zum Thema „Flüchtlinge und ihr Recht auf Bildung“. Außerdem gibt es Tipps zu Materialien für die Praxis (z.B. Flüchtlinge als Unterrichtsthema). Dort findet man auch die grundsätzlichen Positionen und Forderungen der GEW, die Analyse des Lehrerbedarfs und umfassendes Datenmaterial. 

Recht auf Bildung auch für „papierlose Kinder“

Im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung der GEW ließen Dr. Dita Vogel und Prof. Dr. Yasemin Karakașoğlu von der Universität Bremen 100 zufällig ausgewählte Grundschulen in 22 Groß- und Landeshauptstädten befragen, ob „papierlose Kinder“ an öffentlichen Schulen in Deutschland tatsächlich angemeldet werden können. „Das Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder und Jugendlichen – ohne Ausnahme“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe bei der Vorstellung der Studie „Theorie und Praxis der Einschulung von papierlosen Kindern in Grundschulen“. Obwohl Schulen seit 2011 explizit von aufenthaltsrechtlichen Meldepflichten ausgenommen sind, sei dies in der Praxis „noch nicht überall angekommen“. In mehr als der Hälfte der befragten Schulen gehört das Anfordern einer Meldebestätigung zur Routine. Nur in sechs von 100 Fällen wurde darauf hingewiesen, dass eine Einschulung ohne Meldebestätigung möglich ist, auch wenn eine Adresse zur Feststellung des Schuleinzugsbezirks nötig ist. Die Autorinnen der Studie fordern deshalb „einen expliziten Zusatz in Landesschulgesetzen, dass alle Kinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus einen Anspruch auf Einschulung haben. Damit würde das Schulrecht von Kindern in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität unmissverständlich klar gestellt.“ (www.gew.de/flucht-und-asyl)

Universität Marburg: University Meets Refugees

Unter den Flüchtlingen gibt es viele, die in ihrem Heimatland eine Hochschulzugangsberechtigung erworben oder bereits ein Studium aufgenommen oder absolviert haben. Das Informationsportal „University Meets Refugees“ (UMR) der Philipps-Universität Marburg bietet sowohl Flüchtlingen als auch interessierten Hochschulmitgliedern die Möglichkeit, sich schnell und unkompliziert über aktuelle Unterstützungs- und Informationsangebote zu informieren und zu vernetzen (www.uni-marburg.de/international/aus/refugees). Ähnliche Initiativen und Unterstützungsangebote gibt es auch an allen anderen hessischen Hochschulen.

Der GEW-Kreisverband Lauterbach unterstützt den Unterricht in DaZ-Klassen der Region. In der Schule an der Wascherde unterrichtet Bettina Lorenz (Foto: 1.v.l.) seit Beginn dieses Schuljahres 21 Kinder und Jugendliche aus mehreren Krisenländern. In der Vogelsbergschule werden 16 Jugendliche unterrichtet, eine zweite Klasse ist für das kommende Schuljahr geplant. Die GEW-Kreisvorsitzenden Gerno Hanitsch (1.v.r.) und Norbert Roth (2.v.l.) überreichten Schulleiterin Tanja Karina Schwan-Brosig (Schule an der Wascherde) (3.v.r.) und Schulleiter Holger Arnold (Vogelsbergschule) (2.v.r.) eine Geldspende, mit der geplante Unterrichtsprojekte verwirklicht und Wörterbücher angeschafft werden können.

Themenheft „Flüchtlingskinder brauchen Schulen“

Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Lernende Schule“ (Heft 71/2015) befasst sich mit den Herausforderungen der Schulen durch die große Zahl von Flüchtlingen. Zwei Schulen, die sich seit längerem um Flüchtlingskinder und geflüchtete Jugendliche bemühen, berichten von ihren Erfahrungen. In der Praxisbeilage „Werkstatt“ haben diese Schulen ihre Konzepte zu konkreten Vorschlägen verdichtet, die andere Schulen ermutigen können, ähnlich vorzugehen. Weitere Artikel stammen von Erziehungswissenschaftlern und Nicht-Regierungsorganisationen wie UNICEF und PRO ASYL.

Das Heft kann online bestellt werden www.friedrich-verlag.de/shop/

Tunis, Lampedusa, Palermo

Janine Wissler und Willi van Ooyen, Vorsitzende der Fraktion der LINKEN im Hessischen Landtag, nahmen Anfang Oktober an einer Informationsreise der Rosa-Luxemburg-Stiftung an die EU-Außengrenze am Mittelmeer teil, um sich ein Bild von der Lage der Flüchtlinge und der Menschen, die ihnen helfen, zu machen. Die Reise fand zum zweiten Jahrestag der Schiffskatastrophe vor Lampedusa statt, bei der am 3. Oktober 2013 fast 400 Menschen im Mittelmeer ums Leben kamen. Auch wenn der Fokus der Öffentlichkeit derzeit auf Griechenland und dem Balkan liegt, bleibt die Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien die tödlichste. Weit mehr als 2.600 Menschen sind allein auf dieser Route in diesem Jahr ertrunken. Janine Wissler fasste für die HLZ einige ihrer Eindrücke zusammen:

In Tunis konnten wir mit Müttern bei der Mittelmeerüberfahrt verschwundener Flüchtlinge sprechen. Über 500 solcher Fälle sind bekannt. Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu 1.500 verschwundenen Menschen. Das betrifft insbesondere junge Tunesier, die im Frühjahr 2011 über das Mittelmeer flohen und von denen jede Spur fehlt. Einige Mütter berichten, dass sich ihre Söhne noch nach der Überfahrt aus Italien gemeldet hätten. Eine Untersuchung durch die tunesische Regierung hat bisher kaum Erkenntnisse gebracht.
Unterschiedliche Eindrücke bekam die deutsche Delegation in Sizilien. Besonders bedrückend war der Besuch eines Abschiebegefängnisses. Die jungen Männer dort erzählten, sie würden misshandelt und nicht ausreichend medizinisch versorgt. Es habe auch Selbstmordversuche gegeben. Andererseits haben wir auch ein Wohnprojekt in Palermo besucht, das in der Bevölkerung gut verankert ist. Die medizinischen und sozialen Angebote werden auch von einkommensschwachen Einwohnern Palermos genutzt.

Verzweifelte Menschen lassen sich nicht durch noch so hohe Zäune abschrecken. Statt Abschottung muss die EU endlich sichere und legale Einreisewege schaffen. Nicht die Flüchtlinge müssen bekämpft werden, sondern die Fluchtursachen: Krieg, politische Unterdrückung und Armut.

Janine Wissler