SuE-Aufwertungsrunde 2022: Ist das Glas halb voll oder halb leer?

HLZ 9-10/2022: Soziale Arbeit

Die Aufwertungsrunde zum Sozial- und Erziehungsdienst ist am 19. Mai 2022 mit einer Einigung in den Tarifverhandlungen zu Ende gegangen. Dabei ging es nicht um die üblichen Erhöhungen der Tabellenentgelte, sondern um berufsgruppenspezifische Fragen der Eingruppierung. Der Abschluss ist sicher nicht der große Wurf, mit dem die Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst abgeschlossen wäre, und er stellt sicher nicht alle zufrieden. Trotzdem verbessert der Abschluss die Arbeitsbedingungen der Kolleg:innen, die tarifgebunden im Sozial- und Erziehungsdienst beschäftigt sind, in spürbarer Weise. Er hat auch Auswirkungen auf die Beschäftigten, die in diesem Bereich ohne Tarifbindung arbeiten, da er den Bezugsrahmen verschiebt und auch die Arbeitgeber freier Träger zu Anpassungen zwingt (HLZ S.10).


Die Aufwertungsrunde wurde erneut unter schwierigen äußeren Umständen verhandelt. Nach zwei Jahren Coronapandemie und angesichts des Überfalls auf die Ukraine war es nicht einfach, die notwendige öffentliche Aufmerksamkeit für diese Auseinandersetzung zu erreichen. Dass trotzdem dieser Abschluss zustande kam, liegt maßgeblich am Einsatz der Beschäftigten, ihrer Beteiligung an Streiks und Demonstrationen und ihrem vielfältigen Eintreten für bessere Arbeitsbedingungen!


Verbesserungen im Sozial- und Erziehungsdienst

An mehreren Streiktagen waren GEW-Mitglieder gemeinsam mit den Kolleg:innen von ver.di für die Aufwertung auf der Straße. Eine länderübergreifende Streikaktion mit GEW-Mitgliedern aus Rheinland-Pfalz auf der Rheinbrücke in Mainz-Kastel am 31. März 2022 setzte ein starkes, öffentlichkeitswirksames Zeichen (siehe Foto). Aber auch die vielen Gespräche im persönlichen Umfeld trugen und tragen dazu bei, dass die Forderungen nach Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe in der Gesellschaft verankert werden. Und dies wird weiterhin notwendig sein. Die Aufwertung ist noch lange nicht abgeschlossen und auch der Fachkräftemangel erfordert zusätzliche Anstrengungen für qualitativ gute Arbeit und entsprechende Arbeitsbedingungen. Hier braucht es starke und aktive GEWerkschaften, die ohne aktive und engagierte Gewerkschaftsmitglieder nicht denkbar sind! Und nicht zuletzt sind wir in diesem Kampf auf die solidarische Unterstützung aus der Gesellschaft, insbesondere auch der Eltern, angewiesen!


Bei Redaktionsschluss dieser HLZ waren die Redaktionsverhandlungen der Tarifparteien zu Details der Tarifeinigung noch nicht abgeschlossen. Das gilt unter anderem für die konkreten Regelungen zur Umwandlung von Entgeltanteilen in Entlastungstage. Hier die wesentliche Ergebnisse:

  • Entgelt: Erzieher:innenberufe (S 2 bis S 11a) bekommen eine Zulage von 130 Euro monatlich ab 1.7.2022, Sozialpädagog:innen u.a. bekommen 180 Euro mehr im Monat. Kita-Leitungen gehen bei der Zulage leer aus. Das ist sehr bedauerlich, allerdings sind Kita-Leitungen im Jahr 2015 durchweg um eine Gruppe höhergruppiert worden und die Arbeitgeberseite ließ sich zu keinen Verbesserungen bewegen. Wird die vereinbarte Zulage zu den Tabellenwerten der S 8a addiert, dann ist mehr als die Hälfte des Weges einer Aufwertung der S 8a (Erzieher:in) in Richtung der derzeitigen S 8b (Erzieher:in mit schwieriger Tätigkeit) zurückgelegt. Für die Kolleg:innen in Frankfurt und Umgebung ist die Regelung des Tarifvertrags bedeutsam, dass die Erzieher:innen in der S8b ebenfalls die Zulage bekommen, denn hier wird aufgrund des Fachkraftmangels flächendeckend nach S 8b bezahlt. Positiv ist gleichfalls, dass die Sozialpädagog:innen etc. in S 11b, S 12, S 14 und S 15 deutlich besser bedacht wurden als im Jahr 2015.
  • Stufenlaufzeiten: Ab Herbst 2024 fallen die gegenüber der normalen TVöD-Tabelle verlängerten Stufenlaufzeiten in der S-Tabelle weg. Die Vereinbarung macht hinsichtlich der strukturellen Wertebenen einiges aus und führt über die gesamten sechs Stufen gerechnet zu einem spürbar höheren Lebenseinkommen. Davon profitieren vor allem neue und dienstjüngere Kolleg:innen, die die Stufe 6 der Tabelle noch nicht erreicht haben. Erzieher:innen mit schwierigen Tätigkeiten, die die längsten Stufenlaufzeiten bis Stufe 6 haben, profitieren in besonderer Weise von der Streichung der besonderen Laufzeiten. Neueinsteiger:innen erreichen dadurch die höchste Stufe der S 8b sieben Jahre früher als bisher.
  • Regenerationstage: Ab 2022 gibt es zwei zusätzliche Regenerationstage als ersten Schritt zu möglichen weiteren bereichsspezifischen Arbeitszeitverkürzungen bzw. Entlastungen. Hier sind sinnvolle Wege zur Umsetzung zu finden, beispielsweise durch zusätzliche Schließtage. Zudem besteht die Option, die vereinbarten Zulagen in bis zu zwei weitere Regenerationstage umzuwandeln.
     

Die nächste reguläre Tarifrunde steht vor der Tür

Den tarifgebundenen Beschäftigten steht die erhöhte Zulage ab 1. Juli 2022 zu. In der Vergangenheit haben sich einzelne kommunale Arbeitgeber jedoch dagegen gesperrt, Entgelterhöhungen vor Abschluss der Redaktionsverhandlungen zu überweisen. Dieses Verhalten ist gegenüber den Beschäftigten wenig fürsorglich, aber rechtlich leider nicht zu beanstanden. Möglich wäre aber auch, die Zahlung „unter Vorbehalt“ vor der letzten Unterschrift unter den Tarifvertrag auszuzahlen.


Anfang 2023 geht es dann aber schon wieder in einer neuen Tarifrunde um die Entgelttabellen für alle 2,6 Millionen Beschäftigten bei den Kommunen und beim Bund, von denen rund 330.000 im Sozial- und Erziehungsdienst beschäftigt sind. Im Juni hat die GEW ebenso wie die anderen Gewerkschaften in diesem Bereich die Forderungsdiskussion eröffnet. Angesichts einer Preissteigerungsrate, die über Jahrzehnte unbekannte Höhen erreicht, wird dies keine einfache Debatte! Der Verhandlungsauftakt ist derzeit für Ende Januar 2023 terminiert.

Rüdiger Bröhling, Tarifreferent der GEW Hessen,

Andreas Werther, Referent für Sozialpädagogik