Wir brauchen mehr Qualität!

Qualifizierungsoffensive statt weiterer befristeter Beschäftigung

HLZ 9-10/2019: Die Schule beginnt

Auch in diesem Schuljahr können viele Stellen an Grundschulen, Förderschulen und beruflichen Schulen nicht besetzt werden, die Ranglisten sind leer. Die Verantwortung dafür trägt die schwarz-grüne Landesregierung, die von einer „demografischen Rendite“ durch einen Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler redete und die deutlichen Warnzeichen ignorierte.

Die zögerlichen Reaktionen des Kultusministeriums und des Wissenschaftsministeriums auf die steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern kommen zu spät: Nach der jetzt vollzogenen Ausweitung der Zahl der Studienplätze für die Lehrämter Grundschule und Förderschule wird es noch mehrere Jahre dauern, bis die dringend benötigten ausgebildeten Lehrkräfte zur Verfügung stehen.

Wie sieht die Einstellungspraxis aus?

Zurzeit erhalten alle ausgebildeten Lehrkräfte mit zwei Staatsexamina für die Lehrämter an Grundschulen, Beruflichen Schulen und Förderschulen in Hessen in der Regel eine Planstelle. Im Bereich des Lehramts an Gymnasien gilt das nur für die sogenannten „Mangelfächer“ wie Physik.

Trotzdem können viele Stellen nicht besetzt werden. Deshalb werden in Hessen in großer Zahl auch Personen eingestellt, die kein Lehramt haben, das mit einem ersten und einem zweiten Staatsexamen nach erfolgreichem Vorbereitungsdienst erworben wird. Diese Kolleginnen und Kollegen können nach dem Einstellungserlass in der Regel nur befristet beschäftigt werden. Deshalb hatten am 1.1.2019 in Hessen 5.761 Personen nur einen befristeten Vertrag.

Bezogen auf Vollzeitstellen entspricht dies einer Befristungsquote von 6,6 Prozent. Mit einer „Unterrichtserlaubnis“ dürfen sie rechtlich für fast alle Aufgaben von Lehrkräften eingesetzt werden.

Ihre Eingruppierung richtet sich nach einem Erlass des Hessischen Innenministeriums (Amtsblatt 11/2008). Grundlagen der Eingruppierung sind die Schulform und die individuelle Qualifikation (HLZ S.10-11). Es ist sehr auffällig, dass in den letzten Jahren die Eingruppierung in den Entgeltgruppen 5 und 6 des Tarifvertrags Hessen (TV-H) deutlich zugenommen hat. Diese Eingruppierung gilt für Beschäftigte ohne abgeschlossenes Hochschulstudium und für Studierende, die möglicherweise gerade erst mit einem Studium begonnen haben.

Außerdem ermöglicht das Hessische Schulgesetz nach § 15b auch den Einsatz von Personaldienstleistern, wenn „eine vollständige Unterrichtsversorgung (…) aufgrund besonderer Umstände der Schule nicht gewährleistet werden“ kann. Auf diesem Weg kommen Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichen Qualifikationen im Rahmen von „Leiharbeit“ an die Schulen.

Wir alle müssen uns darauf einstellen, dass dies in den nächsten Jahren zum Schulalltag gehören wird. Deshalb kommt es jetzt darauf an, die Situation für alle an der Schule Beschäftigten konkret zu verbessern.

Prekäre Beschäftigung reduzieren

Studierende, die auf TV-H-Stellen an den Schulen arbeiten, haben sicherlich weiterhin das Ziel, ihr Studium abzuschließen. Es gibt aber auch eine größere Anzahl von Kolleginnen und Kollegen, die bereits jahrelang auf befristeten Stellen an den Schulen arbeiten. Sie lassen sich auf eine Befristungspraxis ein, die geprägt ist von häufigen, auch kurzfristigen Verträgen. Sie leben über viele Jahre mit der Bedrohung, keinen weiteren Vertrag zu bekommen. Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse sind ein Skandal. Zu einem menschenwürdigen Umgang mit Beschäftigten gehören konkrete Unterstützungsmaßnahmen und die Perspektive, durch Qualifizierungsangebote die Chance auf eine unbefristete Stelle und eine angemessene Bezahlung zu erwerben. Auch für die Bewältigung des Schulalltags benötigen sie Unterstützung an den Schulen, weil sie für diese Aufgabe (noch) nicht ausgebildet worden sind.

Unterstützende Lehrkräfte entlasten!

All diese Kolleginnen und Kollegen werden dringend gebraucht, um die größten Lücken zu schließen. Gleichzeitig werden ausgebildete Lehrkräfte mit der Einarbeitung und Unterstützung dieser Kolleginnen und Kollegen zusätzlich belastet, ohne dass es dafür irgendeinen Ausgleich gibt. Die Arbeitsbelastung der „Stammkollegien“ wächst auch deshalb, weil die neuen Kolleginnen und Kollegen für bestimmte Aufgaben nicht eingesetzt werden können. Dazu ein Beispiel: Befristet Beschäftigte, die an einem Beratungs- und Förderzentrum (BFZ) eine ausgebildete Lehrkraft ersetzen sollen, können nicht für die Erstellung förderdiagnostischer Gutachten eingesetzt werden. Die Folge ist eine Konzentration der aufwändigen Arbeiten auf immer weniger Kolleginnen und Kollegen und damit eine deutliche Mehrbelastung. Hierfür müssen sie entlastet werden. Sicher reißt auch das wieder Lücken. Trotzdem ist es unerlässlich. Eine weitere Überforderung bewusst in Kauf zu nehmen, das geht gar nicht!

Weiterbildungsmaßnahmen

Um dem Mangel im Grundschullehramt und Förderschullehramt zu begegnen, wurden Maßnahmen aufgelegt, für die sich Lehrkräfte mit einem zweiten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien oder an Haupt- und Realschulen bewerben können. Die Lehrkräfte werden unbefristet eingestellt und erfüllen ihre Qualifizierungsauflagen begleitend zum Unterrichtseinsatz. Solche Weiterbildungen sind ein richtiger Weg. Die Rückmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der bisherigen Maßnahmen zeigen aber auch Probleme auf: hohe Fahrtkosten, Überschneidungen mit Unterricht, großer Prüfungsstress oder Praxisferne. Aus Sicht der GEW wäre eine einjährige Weiterbildung bei voller Freistellung mit einer Abschlussprüfung nach wie vor der richtige Weg. Außerdem wird Kolleginnen und Kollegen mit einem ersten Staatsexamen für die Lehrämter an Haupt- und Realschulen bzw. Gymnasien angeboten, ihr Referendariat im Bereich der Grundschule zu absolvieren, um dann auch dauerhaft dort zu unterrichten. Insbesondere beim Lehramt für Haupt- und Realschulen zeichnet sich aber schon jetzt aufgrund der geringen Studierendenzahlen der nächste große Mangel ab (HLZ 5/2019).

Was sind Quereinsteigerprogramme?

Ein grundsätzlich sinnvoller Ansatz ist es, fachlich qualifizierte Kolleginnen und Kollegen für den „Quereinstieg in Schulen“ zu gewinnen und pädagogisch und didaktisch zu qualifizieren. Das QuiS-Programm von 2009 für Kolleginnen und Kollegen mit einem Hochschulabschluss, aus dem sich ein Einsatz in Mangelfächern ableiten lässt, sieht eine umfassende Qualifizierung vor und führt nach bestandener Prüfung zu einer Gleichstellung mit dem Lehramt und damit zu einer unbefristeten Einstellung und zu gleicher Bezahlung. Diese sinnvolle Maßnahme wurde jedoch 2012 trotz guter Erfahrungen wieder gestoppt. Weiter praktiziert wird der Quereinstieg mit einer umfassenden Qualifizierung für die Lehrertätigkeit und der Gleichstellung mit einem Lehramt in den Beruflichen Schulen. Trotzdem finden sich insbesondere in den Berufsfeldern Metall- und Elektrotechnik kaum geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Deshalb hat das Kultusministerium vor einigen Jahren eine Maßnahme für FH-Ingenieure im Bereich der Metall- und Elektrotechnik zum Erwerb des Lehramts Berufsbildende Schulen (QuEM) aufgelegt. Diese berufsbegleitende Maßnahme dauert etwas über drei Jahre. Wie bei den QuiS-Absolventinnen und -Absolventen steht am Ende eine Abschlussprüfung mit der Gleichstellung. Auch hier läuft nicht alles bestens, aber immerhin ermöglicht QuEM eine pädagogische Ausbildung nach pädagogischen Standards.
Die aktuelle Arbeitslosenquote unter Akademikerinnen und Akademikern von 1,8 % (1), die Arbeitsbedingungen in Schulen und die Verdienstmöglichkeiten in der Privatwirtschaft erklären die geringe Zahl potenzieller Bewerberinnen und Bewerber. Fachspezifisch gibt es aber auch in den für die Schule interessanten Fächern wie Physik mit 2,4 %, Chemie mit 2,6 % und Politikwissenschaft mit 3,4 % höhere Arbeitslosenquoten. In den für den Einsatz in Grundschulen und Förderschulen näherliegenden Abschlüssen in Erziehungswissenschaften oder Sozialarbeit und Sozialpädagogik liegt die Arbeitslosenquote mit 1,4 % bzw. 1,7 % noch niedriger. Um Personen, die bereits erwerbstätig sind, für einen Quereinstieg und eine berufliche Veränderung zu motivieren, wäre es vor allem dringend erforderlich, die Arbeitsbedingungen an den Schulen zu verbessern. Und da gibt es bekanntlich viel zu tun!

Qualifizierung mit Qualität

Um den Lehrkräftebedarf in den nächsten Jahren zu decken, brauchen wir eine umfassende Kraftanstrengung in den folgenden Bereichen:
Wir brauchen Weiterbildungsmaßnahmen für das Grundschul- und das Förderschullehramt für Lehrkräfte mit einem anderen Lehramt. Für diese Weiterbildung müssen sie für ein Jahr vom Unterricht freigestellt werden. Die Weiterbildung schließt mit einer Prüfung ab, mit der man das andere Lehramt erwirbt.

Wir brauchen Qualifizierungsmaßnahmen für Personen, die bereits an den Schulen tätig sind. Für Fachlehrerinnen und Fachlehrer für arbeitstechnische Fächer kann dies der berufsbegleitende Erwerb des Lehramts sein, für sozialpädagogische Fachkräfte mit heilpädagogischer Zusatzbildung die Möglichkeit, berufsbegleitend das Lehramt für Förderschulen zu erwerben. Berufsbegleitende Qualifizierungen funktionieren jedoch nur unter realistischen Rahmenbedingungen.

Wir brauchen Programme für Personen ohne Lehramtsstudium. Hierfür brauchen wir konkrete Kriterien. Der Maßstab kann nur die pädagogische Qualität nach der Quereinstiegsregelung von 2009 sein.

Wir brauchen dringend Entlastungen für ausgebildete Lehrkräfte, damit sie die Kolleginnen und Kollegen, die in Maßnahmen ausgebildet werden oder befristet beschäftigt sind, auch im notwendigen Maße unterstützen können.

Diese Maßnahmen sind Bestandteil eines Positionspapiers, das die Gewerkschaften GEW und ver.di in eine Arbeitsgruppe eingebracht haben, die mit dem Land Hessen im Rahmen der letzten Tarifrunden vereinbart wurde, um die hohe Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse zu reduzieren.
Es muss aber allen klar sein, dass alle Maßnahmen ohne eine Aufwertung pädagogischer Berufe ins Leere laufen werden: Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen, vertretbare Arbeitszeiten und eine gerechte Bezahlung. Nur so kann der Beruf des Lehrer oder der Lehrerin auch wieder für viele junge Menschen attraktiver werden.

Maike Wiedwald, GEW-Landesvorsitzende

(1) https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Berufe/generische-Publikationen/Broschuere-Akademiker.pdf