Entzaubern und distanzieren!

Die AfD als zweitstärkste Fraktion im Hessischen Landtag | HLZ März 2024

Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine lange Tradition von antiliberalen, demokratie- und menschenfeindlichen Mentalitäten und Tendenzen. Dazu gehören auch parteipolitische Erfolge und parlamentarische Repräsentanz – zu erinnern ist an die Schill-Partei in Hamburg, die NPD und Republikaner, die zeitweise in Landesparlamenten und vielen kommunalen Parlamenten vertreten waren. So war die NPD Mitte der 1960er Jahre eine Legislaturperiode im Hessischen Landtag. Diese Wahlerfolge waren ein Hinweis auf das Einstellungspotential in der Gesellschaft, aber parlamentarisch blieben sie vorübergehende Phänomene. Sie wurden in den Parlamenten von den demokratischen Parteien weitgehend ignoriert und ausgegrenzt – verbunden mit der Hoffnung, dass sie bald wieder von der parlamentarischen Bühne verschwinden werden.
 

AfD – eine „normale“ Partei in Hessen?!

Mit der antidemokratischen und teilweise als gesichert rechtsextrem geltenden AfD ist die Situation anders, sie ist im Bundestag, in fast allen Landesparlamenten und vielen kommunalen Parlamenten vertreten. Prognosen zeigen wiederholt, dass sie bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen wahrscheinlich über 30 Prozent erhält. Dabei sind die Wahlmotive vielschichtig und wiederholt untersucht worden. Sie reichen von überzeugtem Gesinnungswahlverhalten und Bekenntnisbereitschaft bis hin zum diffusen Protest und Misstrauen in politische Institutionen, dann Gefühlen der Enttäuschung, des Benachteiligt- und Abgehängtseins, der Frustration, fehlender Anerkennung und des Nichtgehörtwerdens.
 

Bei der Landtagswahl in Hessen vom 8. Oktober 2023 erzielte die AfD ein Wahlergebnis von 18,4 Prozent und kam damit auf 28 Abgeordnete. Gegenüber der Landtagswahl 2018 steigerte sie ihren Stimmenanteil um 5,3 Prozent und konnte neun Mandate hinzugewinnen. Damit ist sie auch in Hessen eine „normale“ Partei geworden, zweitstärkste Fraktion und vor den Grünen und der FDP stärkste Oppositionsfraktion. Sie hat mittlerweile ein Mitglied aus der Fraktion ausgeschlossen und ist – mit zwei weiblichen Abgeordneten – letztlich eine Männerfraktion.
 

Parlamentarische Strategien der AfD

Die Studien und Erfahrungen über die Strategien und Interventionen sowie das Verhalten der AfD in Landesparlamenten – so auch in Hessen – zeigen unterschiedliche Akzente. Hier sind vor allem fünf hervorzuheben.

1. Die AfD musste zunächst die Parlamentsarbeit lernen. In der ersten Phase war es weniger frischer Wind als unauffälliges Verhalten. Das änderte sich sukzessive, und sie wurde in ihrem Auftreten und ihrer Rhetorik aggressiver und ausfallender. Das Parlamentsgeschehen wurde durch die AfD rauer und ruppiger. Sie nutzt das Parlament als Bühne und geriert sich fundamentaloppositionell. Sie lehnt die liberale und plurale demokratische Verfasstheit und die ganze Richtung der politischen Entscheidungen ab.
 

2. Auf der einen Seite versucht die AfD seriös und fleißig zu wirken, und sie gibt sich einen staatstragenden Anstrich. Das zeigen ihre Präsenz im Plenum und die große Zahl von Kleinen Anfragen und Anträgen zu allen möglichen Themen. Auf der anderen Seite ist ihre wiederkehrende Argumentation durchzogen von Stimmungsmache gegen bestimmte soziale Gruppen und hier vor allem gegen unbegleitete minderjährige Geflüchtete, dann gegen die Geschlechterforschung und engagierte menschenrechtliche, demokratische und kulturelle Initiativen. Weiter wird versucht, sich im Parlament als „Kümmererpartei“ und als Anwalt von Sicherheit und Ordnung, der heimischen Wirtschaft und des Handwerks zu präsentieren.
 

3. Mit Begriffen wie „Altparteien“, „Staatsversagen“ oder „Gender-Unfug“ sowie einer skandalisierenden und provozierenden Rhetorik wird der Untergang der Republik beziehungsweise des Landes an die Wand gemalt. Dann zeigen die Wortbeiträge und Formulierungen in den Anfragen zwei Merkmale: Mal wird mehr technisch, verdeckt und subtil, mal offen, direkt und aggressiv deutlich, was die AfD will. Es tritt zu Tage, was man rechtlich verändern und förderpolitisch abschaffen will und bekämpft. Dabei werden immer auch Vermutungen und Unterstellungen formuliert, politische und gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen ethnisiert und kulturalisiert. Es wird versucht, gesellschaftliche Spielräume, die politische Kultur und Förderpolitik einzuschränken und nach rechts zu verschieben. So sieht sie zum Bespiel eine „Frühsexualisierung“ in der Schule und eine linksextreme Bildungswelt oder sie leugnet den Klimawandel und bewertet Investitionen in den Klimaschutz als Verschwendung von Steuermitteln.
 

4. Die AfD nimmt alle möglichen Landesthemen auf, aber ihre typischen Themenzentren dominieren. Das sind Asyl, Migration und Einwanderung, innere Sicherheit, Schule und Bildung, Linksextremismus, Gender und Kritik an der liberalen und pluralistischen Demokratie. Die Forderungen nach Mittelkürzungen oder Streichungen im Landeshaushalt beziehen sich vor allem auf die Arbeit mit Geflüchteten, Migration und Integration.
 

5. Sie versucht, bisher ohne Erfolg, sich anderen Parteien – hier vor allem der CDU und FDP – anzubiedern, und arbeitet an ihrer Normalisierung, indem sie sich selbst als bürgerlich, freiheitlich, konservativ und national charakterisiert. Dabei bietet sie wiederholt eine Opfererzählung an und hofft auf einen Mitleidseffekt, weil sie von den anderen Parteien ausgegrenzt würde.

Diese Richtung ihrer parlamentarischen Aktivitäten und ihres Verhaltens wird die neue, jetzt stärkere Fraktion weiterverfolgen – und dies als „Kulturkampf“ mit mehr Ressourcen und Möglichkeiten, mit mehr Selbstbewusstsein, Aggressivität und möglicherweise auch mit mehr Professionalität. Man wird sehen, mit wem die ausgeschriebenen Stellen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion besetzt werden. Das generelle Ziel ist, das Land – und die Republik – autoritär und völkisch umzugestalten.
 

Zum Umgang mit der AfD

Mit einer neuen Partei im Parlament mussten die demokratischen Parteien zunächst lernen umzugehen. Dabei war beziehungsweise wurde sukzessive klar, dass man es mit einer im Kern nationalistischen und völkischen Partei zu tun hat. Herausgebildet haben sich fünf differenzierte Umgangsformen, die als Mix angewandt ihre jeweilige Begründung haben: Keine Zusammenarbeit, Auseinandersetzen und entzaubern, Ignorieren, Abgrenzen und distanzieren, Ausschließen.
 

Die Strategie Ausgrenzen, das heißt parlamentarische Nichtbeachtung, gab es bei kleineren Fraktionen und in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte vor allem gegenüber der NPD und auch der ersten AfD-Repräsentanz. Dies wird bei der Stärke der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag kaum mehr gelingen und würde den von ihr gepflegten Opfermythos bedienen. Und zu beachten ist: Die parlamentarische Auseinandersetzung erfolgt zwar direkt mit der AfD-Fraktion beziehungsweise einzelnen Abgeordneten, aber sie richtet sich nicht an sie, sondern an die Öffentlichkeit.
 

Gute Politik gegen Stimmungsmache

Als Oppositionspartei hat die AfD keine Gestaltungsoption, ihre Merkmale sind Fundamentalkritik, aggressive Stimmungsmache und sich gegen die Anderen zu positionieren. Sie wird versuchen, die liberale und rechtsstaatlich verfasste Demokratie und ihre Verfahren – die sie verachtet – weiter zu delegitimieren. Dabei sind ihre Muster: skandalisieren, denunzieren, personalisieren und emotionalisieren. In den parlamentarischen Debatten ist – wie auch schon in der Vergangenheit – weiterhin und wiederholt mit Eklats zu rechnen.
 

Die AfD ist eine demokratisch legitimierte Partei – aber keine demokratische, sondern ein völkisch-nationalistische Partei mit Einbindungen und Kontakten in das weitere rechtsextreme Lager. Daher sollte immer auch ein Verbotsverfahren – das sich mit offenem Ausgang lange hinziehen würde – sorgfältig geprüft werden. Aber dies ersetzt keine überzeugende und gut kommunizierte Politik von Regierung und den demokratischen Parteien; verbunden mit einem „Dialog mit den Verunsicherten“ (Steffen Mau), um dem Vertrauensverlust in die Politik und Demokratie in Zeiten von Polykrisen, komplexen Transformationsprozessen und Ungewissheiten entgegenzuwirken. Weiter geht es – um Vertrauen zurück- zugewinnen – um die Zusammenarbeit in breiten Bündnissen der demokratischen Zivilgesellschaft und auch neue Formen der Beteiligung.

Prof. Dr. Benno Hafeneger ist Erziehungswissenschaftler an der Philipps-Universität Marburg im Ruhestand.