Beharren statt nachgeben

Strategien gegen Rechts | HLZ März 2024

 

Zwei zentrale Ereignisse haben in den vergangenen Wochen den Kampf gegen Rechts entscheidend verändert: Im Dezember 2023 rief ein breites Bündnis zu einer Solidaritätsveranstaltung gegen Antisemitismus, Hass und Fremdenfeindlichkeit auf („Nie wieder ist jetzt“). Die Schirmherrschaft hatte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) übernommen. Zu dem Bündnis gehörten sehr unterschiedliche Akteure wie Unternehmen, Verbände, Stiftungen und Gedenkstätten, Clubs und Vereine, öffentliche und religiöse Institutionen sowie prominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Medien. Wenige Woche später  veröffentlichten investigative Journalist:innen von Correctiv die Recherchen zu einem geheimen Treffen von Rechtsextremist:innen, das am 25. November 2023 in Potsdam in der Villa Adlon stattfand und an dem unter anderem Vertreter:innen der Identitären Bewegung, der AfD, der CDU und der Werteunion über einen so genannten „Masterplan zur Remigration“ diskutierten.
 

Seither gibt es in ganz Deutschland zahlreiche Demonstrationen. Auch in Hessen waren in Frankfurt, Gießen, Kassel, Limburg, Offenbach, Darmstadt, Wiesbaden, Geisenheim, Marburg, Oberursel, Rodgau, Rüsselsheim, Butzbach, Eschwege, Frankenberg, Gelnhausen, Großgerau, Hochheim, Hofheim, Korbach, Michelstadt, Wehrheim, Heppenheim, Fulda, Hanau, Kelkheim, Bickenbach, Seeheim, Bebra, Groß-Umstadt, Friedewald, Bad Hersfeld, Bad Nauheim, Nidderau und Wächtersbach Tausende, zuweilen sogar wiederholt auf den Straßen. Eine vergleichbare Mobilisierung haben die Rechtspopulistischen in Deutschland nie zustande gebracht. Damit wächst nicht nur der Druck auf die AfD und andere Player am rechten Rand, sondern auch auf die bürgerlichen Parteien in Regierungsverantwortung. In den vergangenen Monaten haben sich die Parteien der Regierung und Opposition allzu oft von der AfD treiben lassen. Die Großdemonstrationen werden nun jenen demokratischen Kräften den Rücken stärken, die im Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus eine progressive Strategie verfolgen.
 

Eine neue soziale Bewegung?

Diese „Demos gegen Rechts“ sind nicht einfach nur ein „Zeichen“ gegen rechten Hass und Rassismus, sondern ein partizipativer Akt der bürgerlichen Mehrheit gegen jene antipluralistischen Tendenzen, die das demokratische Fundament auszuhöhlen drohen. Angesichts rechter Provokationen, wachsender Zustimmung für die AfD und wachsender Gewalt am rechten Rand ist es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis es zu dieser Massenmobilisierung kam. Auch wenn derzeit noch unklar ist, ob aus diesen lose organisierten Protesten in Groß- und Kleinstädten eine neue soziale Bewegung hervorgehen wird, so verleihen die demonstrierenden Bürger:innen dennoch jenen zwei Drittel der deutschen Gesellschaft, die sich ein stärkeres Engagement für eine offene und vielfältige Gesellschaft wünschen, eine kraftvolle Stimme (1). In den vergangenen Monaten ist es den Rechtspopulist:innen auch in Deutschland gelungen, sich in den Mittelpunkt politischer Debatten zu stellen. Durch die Bilder und Stimmen der Proteste gegen Rechts ist es gelungen, diese rechtspopulistische Diskurshoheit zu durchbrechen.
 

Die Demonstrationen verweisen zunächst auf die vermutlich wesentlichste Strategie gegen Rechtspopulismus: Der Kampf gegen Rechts ist nichts, was die Bürger:innen bequem an Regierungsverantwortliche und staatliche Institutionen delegieren dürfen. Vielmehr ist es die Verantwortung und Aufgabe aller, überall und jederzeit, Antidemokrat:innen entschieden entgegenzutreten. Dieses Engagement bedarf eines demokratischen Miteinanders und Schulterschlusses der Bürger:innen mit den Verfassungsorganen, den Amts- und Funktionsträger:innen, der Zivilgesellschaft, den bürgerlichen und progressiven Parteien, der Verwaltung, den Bildungseinrichtungen, den Medien und den Unternehmen.
 

Hessen nach der Wahl

Ein Charakteristikum des Rechtspopulismus ist es, eine diskriminierende Unterscheidung zwischen Teilen der Gesellschaft zu etablieren beziehungsweise zu verstärken (2). Es geht um einen vermeintlichen Antagonismus zwischen „uns“ und „denen“, dem „wir“ und den „anderen“, dem „Volk“ und „denen da oben“ beziehungsweise „denen in Wiesbaden, Berlin oder Brüssel“, den „Fleißigen“ und den „Faulen“, dem „Christentum“ und dem „Islam“, den „Normalen“ und den „Homo- oder Transsexuellen“ etc. Diese Weltsicht bemühen Rechtspopulisten, um demokratische Grundprinzipien auszuhebeln. Dies betrifft insbesondere den Gleichheitsgrundsatz sowie Teilhabe- und Partizipationsrechte. Derlei Anwandlungen gilt es strategisch mit dem Verweis auf die verfassten Normen des Grundgesetzes (Gleichheitsgrundsatz, bürgerliche und politische Grundrechte) zu kontern, die keine Relativierung zulassen. Dies gilt übrigens auch für das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte (Art. 16a GG). Zugleich bedarf es im politischen Wettstreit eines Bewusstseins dafür, dass rechtspopulistische diskriminierende Stigmatisierungen von Schutzsuchenden als „Illegale“ und die Rede von „Migrationswellen“ nicht reproduziert und verstärkt werden.


Diese Antagonismen und konstruierten Feindbilder sind zugleich die Basis des rechtspopulistischen Kulturkampfes gegen die pluralistische Gesellschaft. In der hessischen Landespolitik manifestiert sich dies etwa in der Forderung der Rechten, das Gendern zu verbieten. Dabei ist allzu offensichtlich, dass es nicht um eine sprachpolitische Auseinandersetzung im engeren Sinne, als vielmehr um einen Kulturkampf gegen eine inklusive und diverse Gesellschaft geht. Das Ergebnis der Landtagswahl hat die Notwendigkeit für einen grundlegenden Strategiewechsel im Umgang mit radikal konservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen mit aller Deutlichkeit ins Bewusstsein gerückt. Die Entwicklungen nach der Wahl lassen erwarten, dass die AfD ihren politischen Herrschaftsanspruch reklamieren und ihre politischen Spielräume im Parlament ausreizen wird. Dies gilt ebenso für die außerparlamentarische Opposition, die etwa das Instrument der Volksbegehren nutzt, um den Kulturkampf gegen eine inklusive und diverse Gesellschaft weiter zu forcieren (3).
 

Strategien gegen Rechtspopulismus

Mit Blick auf die Ergebnisse politikwissenschaftlicher Forschung einerseits, und die praktischen Erfahrungen im Umgang mit Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern andererseits, lässt sich Folgendes festhalten: Erstens scheitern sämtliche Versuche, die Erfolge der Rechtspopulisten zu schmälern, indem deren Themensetzungen übernommen oder in die eigene Programmatik und Strategie integriert werden.  Zweitens sind auch Umarmungsstrategien, die Rechtspopulisten in einer Zusammenarbeit zu entzaubern oder zu domestizieren suchen, nicht von Erfolg gekrönt. Drittens besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Demokratien und autoritären Regimen mitunter darin, wie das politische System mit seinen politischen Gegnern umgeht. Auch wenn Versuche, rechtsextreme Konkurrenten etwa durch Veränderungen von Verfahren oder Parteiverbote in die Enge zu treiben, auch in Demokratien formal legal sind, sind sie letztlich risikobehaftet und im Kampf gegen Rechts nicht nachhaltig.


Die erwiesenermaßen einzige erfolgversprechende Strategie im Kampf gegen Rechtspopulismus ist die hold-Strategie, wie etwa jüngst die Wahlen in Polen gezeigt haben. Kern dieser Strategie ist es, dass progressive politische Akteure der Zivilgesellschaft und Parteien auf ihren historischen und ideologischen Werten beharren. Den Wettstreit mit der rechten Konkurrenz versuchen sie mit politischen Argumenten zu gewinnen, die sie ungeachtet der Anfeindungen von rechts beharrlich vermitteln und wiederholen. Dabei geht es im Prozess der Besinnung auf die eigenen Werte erstens darum, auf deren Überzeugungskraft (selbst) zu vertrauen, und zweitens darauf zu bauen, Einfluss auf die Präferenzen der Bürger:innen haben zu wollen und zu können (ebd.). Die hold-Strategie manifestiert sich erstens inhaltlich im Beharren auf eigene Werte, Normen und Positionen, zweitens strategisch am Festhalten an den eigenen Themensetzungen, Präferenzen und demokratischen Verfahren sowie drittens symbolisch in der Repräsentation und Sichtbarmachung eigener Prinzipien der sozialen, bildlichen und sprachlichen Vielfalt.
 

Das hier genannte strategische Handlungsrepertoire erfordert einen dreifachen Kompass: tief verinnerlichte demokratische Haltungen, rhetorisches und taktisches Kalkül sowie Zivilcourage. Nur so gelingt es, das Bröckeln der Brandmauer durch eine falsch verstandene Offenheit aufzuhalten und die demokratischen Grenzen unmissverständlich zu markieren.


 

Literatur:

(1) Küpper, Beate/Hellmann, Jens 2023: Willkommen in Deutschland? Einstellungen zur Nachrangigkeit Neuhinzukommender, in: Zick, Andreas/Küpper, Beate/Mokros, Nico (Hg.): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

(2) Krell, Christian/Möllers, Henri 2019: Fazit – Was macht eine erfolgreiche Strategie aus? Und was ist eigentlich Erfolg?, in: Krell, Christian/Möllers, Henri/Ferch, Niklas (Hg.): Reclaiming action – Strategien progressiver Parteien in Zeiten des wachsenden Rechtspopulismus in Dänemark, Norwegen, Schweden und Deutschland. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

(3) de Nève, Dorothée 2023: Hessen hat gewählt. Kurzanalyse zur hessischen Landtagswahl 2023.

* Prof. Dr. Dorothée de Nève ist Politikwissenschaftlerin an der Justus-Liebig-Universität Gießen.