Bundeswehr und Schule

HLZ 3 | 2018

Immer mehr minderjährige Rekrutinnen und Rekruten

Die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Hessischen Kultusministerium (HKM) und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr vom 4.11.2010 blieb auch nach dem Regierungseintritt der Grünen Ende 2013 unverändert in Kraft. Sie soll ausdrücklich nicht der Nachwuchswerbung dienen, vielmehr sollen Jugendoffiziere in der Schule „transparente und nachvollziehbare Informationen zur globalen Krisenverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen“ vermitteln. Auch nach dem amtlichen Handbuch der Jugendoffiziere sollen sie „keine Personalwerbung oder Personalgewinnung“ betreiben, sondern interessierte Jugendliche „an die zuständigen Karriereberater bzw. Karriereberaterinnen (…) verweisen“ (1).

Der Auftrag der Jugendoffiziere

Auftrag der Jugendoffiziere ist es, „in der Öffentlichkeit zu militärischen und sicherheitspolitischen Grundsatzfragen im Sinn der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik Deutschland Stellung zu nehmen“. Sie sind somit keine „neutralen Experten“, sondern haben den Standpunkt der jeweiligen Regierung zu vertreten. Anders die Aufgabe der Schule, die auch nach dem Wortlaut der Kooperationsvereinbarung „die Verantwortung für die sachgerechte Information, die Vermittlung pluraler Standpunkte“ trägt. Die „Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit Jugendoffizieren“ und für die „Wahl der geeigneten Veranstaltungsformen“ liegt somit in Hessen allein bei der jeweiligen Schule.

Mit der Bundeswehr auf Reisen

Sicherheitspolitik ist sowohl in der Sekundarstufe I als auch in der gymnasialen Oberstufe Bestandteil des Unterrichts im Fach Politik und Wirtschaft. Die Kooperation mit den Jugendoffizieren ist aber vor allem auch den subventionierten Ausflügen nach Bonn, Berlin, Wien oder Brüssel mit Vorträgen zur Sicherheitspolitik geschuldet, „Rundum-Sorglos-Pakete“ für Lehrkräfte inklusive. Im unterrichtlichen Alltag bleibt oft nur wenig Zeit, den parteilich agierenden Jugendoffizieren das friedenspolitische Pendant ohne üppige Etats für Werbung und Öffentlichkeitsarbeitsetat entgegenzusetzen.

Eltern können für ihre Kinder Ersatzunterricht beantragen, wenn Bundeswehrsoldaten in die Klasse kommen und die Eltern dies nicht wünschen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Schule den Schülerinnen und Schülern überhaupt mitteilt, dass ein Jugendoffizier in die Schule kommt oder dass das Angebot, nach Bonn oder Berlin zu fahren, durch die Bundeswehr gesponsert ist. Hierzu bedarf es der Sensibilisierung und des kritischen Austausches in den Schulen.

Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte können sich zudem in Gesamt- und Schulkonferenzen den Schulgemeinden anschließen, die sich gegen Auftritte der Bundeswehr in Schule und Unterricht ausgesprochen haben.

Auch wenn die Kooperationsvereinbarung Werbung nicht vorsieht, hinterlassen Jugendoffiziere ihre Spuren: Collegeblöcke mit Bundeswehr-Logo in Lehrerzimmern, Einladungen zu Seminaren, die sich über die Lehrkräfte direkt an Schülerinnen und Schüler richten, und Plakate mit der Werbung für soldatische Kameradschaft und der Aufforderung: „Mach, was wirklich zählt!“

„Mach, was wirklich zählt“

Jugendoffiziere in der Schule, die durch Angebote der Bundeswehr bei öffentlichen Veranstaltungen wie dem Hessentag, im Internet und in den sozialen Medien begleitet werden, haben Türöffnerfunktion. Die Karriereberater der Bundeswehr treten regelmäßig bei Informationsveranstaltungen der Schulen zur Berufsorientierung auf und sind dann besonders gut mit Werbematerial und „Give-Aways“ ausgestattet.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Antwort des Staatlichen Schulamts für den Rheingau-Taunus-Kreis und die Stadt Wiesbaden auf eine Anfrage, ob die Kontaktaufnahme der Bundeswehr zu Schulen in Kooperation mit der Young-Leaders-Akademie (2) überhaupt zulässig ist: Zunächst stellte das Schulamt in seiner Verfügung vom 22. 2. 2017 fest, Informationen der Bundeswehr seien keine Werbung, da es sich nicht um „geschäftliche Werbung“ im Sinne von § 10 Absatz 2 der Dienstordnung handele. Der ergänzende Erlass des HKM vom November 2016, der die Verteilung von Werbematerial generell verbietet, wird vom Schulamt nicht herangezogen (3).

Auch Hinweise auf Seminare oder Akademien der Bundeswehr und der sie unterstützenden Young Leaders GmbH seien keine Werbung, wenn und soweit sie der Studienvorbereitung dienten.

Einschränkend weist die Amtsleitung darauf hin, dass Angebote der Bundeswehr und der mit ihr kooperierenden Young-Leaders-Akademie über die Schulleitungen zu gehen haben. Diese Informationen könnten dann in geeigneten Konferenzen mit den Lehrkräften besprochen werden. Eine direkte Ansprache von Lehrerinnen und Lehrern wäre damit unzulässig.

Privilegierter Zugang

Die Abschaffung der Wehrpflicht und der eklatante Nachwuchsmangel setzten die Bundeswehr unter Druck. Und die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen spielt mit. Wenn sie es anders wollte, müsste sie von der Politik des privilegierten Zugangs der Bundeswehr in die Schulen abrücken. Stattdessen wurden 2017 alle hessischen Schulämter angewiesen, Schulleiterdienstversammlungen zur Kooperation mit der Bundeswehr durchzuführen. Widerspruch war auch dort nur wenig zu vermelden. Die Bundeswehr gilt auch in den Schulen als nicht zu hinterfragende Parlamentsarmee, das Auftreten der Jugendoffiziere als durch die Kooperationsvereinbarung und das Kultusministerium gedeckt. Und schließlich sei sie doch eine gute Sache für unser Land und das berufliche Fortkommen junger Menschen…
Die GEW setzt sich dafür ein, dass Schule wieder ein Ort des differenzierten Nachdenkens über die Welt wird und die gezielte Werbung von Kindern und Jugendlichen für die Bundeswehr beendet wird. Das Bündnis Kindersoldaten, das federführend von GEW und Terre des Hommes Deutschland betrieben wird, übergab im September 2017 um Abschluss der Kampagne „Unter 18 Nie“ über 30.000 Unterschriften gegen die Rekrutierung von Minderjährigen bei der Bundeswehr. Sie forderten im Gespräch mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die nach der UN-Konvention über die Rechte von Kindern unzulässige Rekrutierung und Werbung von minderjährigen Jungen und Mädchen als Soldaten zu stoppen.
Zu einer solchen Gegenbewegung gehört es auch, den privilegierten Zugang der Bundeswehr zur Schule abzuschaffen und auch andere Quellen, Zeitzeugen und Vertreterinnen und Vertreter der Friedensbewegung zuzulassen, um Pluralität zu sichern und deutlich zu machen, was es wirklich heißt, Soldat zu werden.


(1) Handbuch: Der Jugendoffizier; im Internet publizierte Entwurfsfassung, Stand 31. 8. 2016, S.13

(2) Die young leaders GmbH präsentiert sich auf ihrer Homepage www.young-leaders.net als „Unternehmen, das in Deutschland und Europa überparteilich und überkonfessionell Bildungsveranstaltungen für junge Multiplikatoren durchführt. Ziel ist die Förderung junger Menschen, die sich im Alter von 15 bis 22 Jahren ehrenamtlich für andere engagieren und dabei schon erste Führungsverantwortung übernehmen. (…) Dabei arbeitet die young leaders GmbH in Deutschland zusammen mit Ministerien der Bundesregierung, Unternehmen und Verbänden aus der Wirtschaft sowie gemeinnützigen Stiftungen.“

(3) Erlass des Hessischen Kultusministeriums betr. Verteilen von Schriften, Aushänge und Sammlungen in den Schulen vom 3. November 2016

Nach einer Anfang 2018 veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag hat die Zahl minderjähriger Rekrutinnen und Rekruten in der Bundeswehr im Jahr 2017 einen neuen Höchststand erreicht. Die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren, die freiwillig den Dienst bei der Bundeswehr antraten beziehungsweise eine militärische Ausbildung bei der Bundeswehr aufgenommen haben, stieg von 689 im Jahr 2011 auf 2.128. Die Tatsache, dass 90 Jugendliche selbst nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit immer noch minderjährig waren, weist nach Auffassung der Bundestagsabgeordneten Helin Evrim Sommer darauf hin, „dass einige von ihnen beim Diensteintritt vermutlich sogar erst 16 Jahre alt gewesen sein dürften“. Das Verteidigungsministerium verwies darauf, dass Abiturientinnen und Abiturienten jünger seien als früher. Die jungen Rekruten bräuchten eine Einverständniserklärung ihrer Eltern und dürften nicht ins Ausland entsandt oder für Wachdienste eingeteilt werden, würden allerdings sehr wohl an der Waffe ausgebildet. Mit der Youtube-Serie „Mali“, die sich an junge Menschen richtet, habe man die „Trendwende“ geschafft und verzeichne 60 Prozent mehr Zugriffe auf die Karriereseiten der Bundeswehr im Internet. Der folgende Beitrag von Manon Tuckfeld basiert auf ihrem Artikel in der Zeitschrift WLZ des GEW-Kreisverbands Wiesbaden-Rheingau vom November 2017.