Investitionsstau trotz Einnahmesegens

Bilanz der hessischen Landesfinanzen unter Schwarz-Grün

HLZ 9/2018: Fünf Jahre Schwarz-Grün

Der kurz vor Weihnachten 2013 von CDU und Bündnis 90/Die Grünen unterzeichnete Koalitionsvertrag für die Jahre 2014 bis 2019 trug den Titel „Verlässlich gestal­ten – Perspektiven eröffnen“; er war aufgrund der Schul­denbremse in der Hessischen Landesverfassung und dem dazugehörigen Ausführungsgesetz durch einen hohen Kon­solidierungsdruck gekennzeichnet. Da das strukturelle De­fizit im Landeshaushalt bis zum Ende des laufenden Jahr­zehnts abgebaut werden muss, fielen die vorgesehenen Spar- und Kürzungsbeschlüsse entsprechend umfangreich aus. Die Hauptlast sollten dabei die Landesbeschäftigten tragen, und zwar durch Stellenkürzungen und insbesonde­re eine extrem schwache Entwicklung der Beamtenbesol­dung (HLZ S. 16f.). Zusätzlich zu den in der Mittelfristigen Finanzplanung sowieso schon vorgesehenen Stellenkürzun­gen in Höhe von 1.900 Stellen sollten laut Koalitionsver­trag weitere 1.800 Stellen entfallen.

Die tatsächliche Finanzpolitik in der Legislaturperiode wurde stark von einigen sehr bedeutenden unerwarteten Ent­wicklungen geprägt. Auf der Einnahmenseite kam es zu ei­nem konjunkturbedingt unerwarteten Einnahmesegen; auf der Ausgabenseite wurden erhebliche Mehrausgaben auf­grund der hohen Zahl von nach Deutschland geflohenen Menschen notwendig.

Der für Deutschland und für Hessen äußerst glückliche Einnahmesegen ermöglichte der Landesregierung, ihre Kon­solidierungsziele ohne zusätzliche schmerzhafte Einsparun­gen überzuerfüllen und die finanziellen Herausforderungen auf der Ausgabenseite zu bewältigen. Die zusätzlichen Spiel­räume für eine gestaltende Finanzpolitik wurden jedoch nicht ausreichend genutzt, um den Investitionsstau bei Land und Kommunen zu reduzieren und eine notwendige Investitionsoffensive mittelfristig finanziell abzusichern.

Finanzminister im Glück

Zu Beginn der ersten schwarz-grünen Koalition in Hessen war die Haushaltspolitik insbesondere durch die verfassungs­rechtliche Bestimmung geprägt, den Landeshaushalt gemäß den Vorgaben der Schuldenbremse aufzustellen und bis zum Jahr 2020 strukturell auszugleichen. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hatte das Defizit im hessischen Landeshaus­halt auf 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2009 und 1,9 Milliarden Euro 2010 stark ansteigen lassen, und der Landeshaushalt be­fand sich in einer Phase kräftiger Haushaltskonsolidierung. Letztlich gelang die Konsolidierung überraschend schnell; schon 2016 und 2017 wies der Landeshaushalt einen Über­schuss von 500 bzw. 200 Millionen Euro auf.

Wesentlichen Anteil an der zügigen Konsolidierung hat­te der unerwartet starke Anstieg der Steuereinnahmen, so dass der Haushaltsausgleich trotz recht kräftig expandieren­der Ausgaben gelang. Auch die kommunalen Kernhaushal­te verzeichneten 2016 erstmals seit 2008 wieder einen posi­tiven Finanzierungssaldo von 100 Millionen Euro und von 800 Millionen Euro im Jahr 2017.

Trotz dieser positiven Entwicklung ist die Finanzlage vie­ler hessischer Kommunen als angespannt zu bewerten – ein Indiz dafür ist der im Bundesländervergleich relativ hohe Be­stand an Kassenkrediten in Hessen. Daneben ist die schwa­che kommunale Investitionsentwicklung ein weiteres Indiz für die als problematisch zu bewertende Finanzsituation der hessischen Kommunen.

Der erste Mittelfristige Finanzplan der Anfang des Jah­res 2014 ins Amt gekommenen Landesregierung nennt als Ausgangswert für den Abbaupfad der strukturellen Kredit­aufnahme im Landeshaushalt einen Wert von 545 Millionen Euro im Jahr 2015. Laut den gesetzlichen Bestimmungen zur Schuldenbremse muss dieser Wert in gleichmäßigen Schrit­ten bis zum Jahr 2019 auf Null reduziert werden.

Im Jahr 2017 gab die Landesregierung ihren eigentlich im Koalitionsvertrag festgelegten Kurs auf, die jährlichen Besol­dungserhöhungen während der laufenden Legislaturperiode auf ein Prozent zu deckeln. Das Anfang März 2017 erzielte Tarifergebnis, nach dem die angestellten Landesbeschäftigten in zwei Stufen 4,2 Prozent mehr Geld erhalten, wurde weit­gehend auf die Beamtinnen und Beamten übertragen. Dies erfolgte auf dem Hintergrund der bevorstehenden Landtags­wahlen, des Drucks der Beschäftigten und des drohenden Per­sonalmangels im öffentlichen Dienst, der gerade im Schulbe­reich schon auszumachen ist. In Folge der Sparmaßnahmen und Kürzungen bei den Personalausgaben hat sich der Ab­stand der Entwicklung der Beamtenbesoldung zur öffentli­chen Beschäftigung im weiteren Sinne auf inzwischen 9 Pro­zent, im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe auf fast 20 Prozent erhöht. Durch diese Maßnahmen hat das Land Hes­sen offensichtlich an Attraktivität als Arbeitgeber eingebüßt.

Die Abkehr von der eigentlich im Koalitionsvertrag ver­kündeten Deckelung der Beamtenbesoldung muss auch vor dem Hintergrund der insgesamt unerwartet guten Konjunk­turentwicklung in Deutschland in den Jahren nach der Welt­wirtschaftskrise interpretiert werden. Das stetige Wirtschafts­wachstum in Verbindung mit einer entsprechend positiven Beschäftigungsentwicklung hat zu einem kontinuierlichen Anstieg der Steuereinnahmen geführt. Dadurch hat sich die fiskalische Situation der öffentlichen Haushalte insgesamt deutlich entspannt. In den Mittelfristigen Finanzplänen der Landesregierung wurde diese Entwicklung der Steuerein­nahmen regelmäßig unterschätzt. Gegenüber dem Finanz­plan 2014, dem ersten der schwarz-grünen Landesregierung, lagen die tatsächlichen Einnahmen 2014 und 2015 jeweils knapp 1 Milliarde Euro über den veranschlagten Einnahmen. 2016 und 2017 waren es sogar 2,5 bzw. 2,2 Milliarden Euro.

Vor allem das Jahr 2016 sticht mit seiner selbst kurzfris­tig gegenüber dem Finanzplan 2016 überraschend positi­ven Entwicklung der Steuereinnahmen (+12,2 Prozent ge­genüber dem Vorjahr) und des Finanzierungssaldos heraus. Laut Pressemeldung des Hessischen Finanzministeriums vom 15.11.2016 sind hierfür – so Finanzminister Thomas Schä­fer – „vor allem wenige steuerliche Einzelfälle der Erbschaft-und Einkommensteuer, auf die allein Mehreinnahmen von gut 700 Millionen Euro entfallen“, verantwortlich. Die un­erwarteten Mehreinnahmen wurden nicht nur zur Haus­haltskonsolidierung genutzt, sondern auch für Mehrausga­ben im reinen Landeshaushalt und erhöhte Zuweisungen an die Kommunen gegenüber den Finanzplanungen von 2013 bis 2017 in Höhe von 200 Millionen bis 1,3 Milliarden Euro.

Investitionsentwicklung bedenklich

Als bedenklich – und als generelles Indiz für eine strukturel­le Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte – muss so­wohl die Entwicklung der Landesinvestitionen als auch die der kommunalen Sachinvestitionen angesehen werden. Eine Betrachtung der Investitionsentwicklung im Bereich des Neu­baus und der Sanierung von Schulen findet man in dieser HLZ auf Seite 26. Ursächlich für den Rückgang der Investi­tionstätigkeit der öffentlichen Hand sind vor allem Konsoli­dierungsmaßnahmen, die wiederum eine zu geringe Finanz­ausstattung der öffentlichen Hand und die Verankerung der Schuldenbremse zum Hintergrund haben. Während die „Gol­dene Regel“ eine Kreditfinanzierung von staatlichen Inves­titionen gerade auch aus Gründen der Generationengerech­tigkeit zulässt, schließt die Schuldenbremse dies explizit aus. Bedenklich ist zudem, dass die Investitionstätigkeit der hes­sischen Kommunen trotz der Programme zur Förderung der Kommunalen Investitionen (KIP) kaum zunimmt. Ein Grund dafür scheinen Engpässe im personellen Bereich zu sein: So ist die Zahl der mit Baufragen befassten Personen im Öf­fentlichen Dienst der Kommunen stark rückläufig. Zudem sind die Kapazitäten der Bauwirtschaft stark ausgelastet, so dass es bei der Inanspruchnahme der Investitionsprogram­me wohl zu erheblichen Mitnahmeeffekten kommt: Die För­dermittel werden vermutlich für Vorhaben in Anspruch ge­nommen, die auch ohne die finanziellen Investitionsanreize des Landes in Angriff genommen worden wären.

Um das beschriebene Problem zu lösen, müssen die Kom­munen deutlich und dauerhaft mehr finanzielle Mittel erhal­ten – auch, um das für den Baubereich zuständige Personal auf der kommunalen Ebene angemessen zu erhöhen. Kurz­fristig angelegte und gemessen an der Problemlage zu klein ausfallende Investitionsfördermaßnahmen werden den beste­henden Investitionsstau jedenfalls nicht beseitigen können.

Sofortprogramm für Bildung ist finanzierbar

In kleinerem Rahmen besteht im hessischen Landeshaushalt – bei ähnlich gut laufender Konjunktur wie in den vergan­genen Jahren – ein gewisser Spielraum für zusätzliche Aus­gaben. Die Planung des hessischen Finanzministers sieht für die Jahre 2018 bis 2021 Haushaltsüberschüsse und jeweils eine deutliche Übererfüllung der Kreditaufnahmegrenzen der Schuldenbremse vor. Zudem sind in der Planung für die Jah­re 2020 und 2021 vorsorglich „globale Mindereinnahmen“ in Höhe von 423 Millionen Euro bzw. 740 Millionen Euro ent­halten. Damit wollte die Landesregierung laut eigener Aus­sage Vorsorge für bestehende Haushaltsrisiken wie etwa die Auswirkungen einer möglichen Steuerreform nach der Bun­destagswahl 2017 treffen.

Die vom Jahr 2019 bis zum Jahr 2021 vorgesehenen spür­baren Haushaltsüberschüsse des Landes sollen laut Planung für die Tilgung von Landesschulden verwendet werden: 100 Millionen Euro im Jahr 2019 und jeweils 200 Millionen Euro in den Jahren 2020 und 2021. Angesichts der Tatsache, dass die Schuldenstandsquote – also das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt – ohnehin im Laufe der nächsten Jahre kontinuierlich sinken wird, ist dies vollkommen unnö­tig. Zudem stellt die aktuelle Steuerschätzung weitere Ein­nahmesteigerungen in Aussicht.

Auch bei Berücksichtigung der Mindereinnahmen des Landes durch die Pläne der Großen Koalition im Bund ist das von der GEW geforderte Sofortprogramm für Kitas, Schulen und Hochschulen in Höhe von 500 Millionen Euro finanzier­bar. Mittelfristig reicht es jedoch nicht aus, auf eine weiterhin günstig laufende Konjunktur zu setzen. Um den erheblichen Ausgabenbedarf etwa im Bereich der staatlichen Infrastruk­tur komplett zu bedienen, ist eine dauerhafte Verbesserung der Einnahmen durch die von den Gewerkschaften geforder­te Wiedererhebung der Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer überfällig.

Kai Eicker-Wolf und Achim Truger


Eine Langfassung dieses Artikels mit zahlreichen Schaubildern und Literaturverweisen erscheint in diesen Tagen in der Publikation: Verlässlich gestaltet – Perspektiven eröffnet? Bilanz und Aussicht der Landespolitik in Hessen. Herausgegeben von Kai Eicker-Wolf, Liv Dizinger und Michael Rudolph. Büchner Verlag 2018. 260 Seiten, 25 Euro