Privatisierung ist ungesund

Die Essensversorgung in Schulen und Kitas

HLZ 9-10/2021: Privatisierung

Mitte Juli veröffentlichte der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Studie, nach der die Armutsquote unter Minderjährigen erheblich gestiegen ist (1). Auch in Hessen gilt inzwischen jedes 5. Kind als arm. Den Zuwachs der Armutsquote bei Kindern und Jugendlichen in Hessen von 15,3 % im Jahr 2010 auf 21,9 % im Jahr 2019 bezeichnet die Studie als „dramatisch“. Mit einem Zuwachs von 6,6 Prozentpunkten liegt Hessen an der Spitze aller Bundesländer. Das (möglichst) kostenlose Mittagessen an den Schulen wird daher immer wichtiger. Für viele Kinder und Jugendliche wird das über das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) finanzierte Mittagessen in den Schulen zu einem zentralen Bestandteil der täglichen Ernährung.

Verändert hat sich aber auch die Situation in den Familien: Es wird weniger gekocht, es kommen immer mehr Fertiggerichte auf den Tisch, und die Kinder wissen oft nicht mehr, wo das Essen herkommt. Kenntnisse über die Herkunft und Produktion der einzelnen Nahrungsmittel, über Arbeitsschritte bei der Herstellung der einzelnen Speisen oder über die Arbeitsbedingungen, unter denen die Lebensmittel und Speisen hergestellt werden, lassen zu wünschen übrig.

Hier hat die Schule nicht nur eine wichtige Aufgabe bei der Vermittlung von Kenntnissen, sondern auch bei der Gewährleistung eines gesunden Mittagessens. Damit Schülerinnen und Schüler das Mittagessen in einer Schule aber auch annehmen, bedarf es eines guten Schulklimas. Das ist aber wiederum abhängig von guten Rahmenbedingungen und guten Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen in den Schulküchen und bei den Caterern.

Wird das Essen nicht direkt durch den Schulträger bereitgestellt, dann sind diese verpflichtet, zur Vergabe des Mittagessens ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen, das in Abstimmung mit der jeweiligen Schulgemeinde erfolgt. Die angebotenen Speisen müssen eine gesunde, ausgewogene und altersgerechte Ernährung gewährleisten, und auch die Preisgestaltung muss stimmen. Nach der Bewertung aller Kriterien wird dann eine Liste mit einer Reihenfolge erstellt. Der Betrieb, der die Kriterien am besten erfüllt, erhält den Zuschlag.

Die erläuterten Vergabeverfahren sind immer wieder in der Kritik. So verursachte die Vergabe des Mittagessens an den Großcaterer Sodexo schon vor rund fünfzehn Jahren in Frankfurt größere Aufregung. Damals schloss die Stadt Frankfurt im Zusammenhang mit der Privatisierung der städtischen Küchenbetriebe einen Zehnjahresvertrag mit dem Großcaterer Sodexo ab, der städtische Kitas beliefern sollte.

IGS Nordend: Eine Schule kämpft um ihre Mensa

Wie schwierig dieses Vergabeverfahren sich heute noch darstellt, zeigt das Beispiel der IGS Nordend in Frankfurt. 2018 hatte sich Sodexo um das Catering an der IGS Nordend beworben und bei der Ausschreibung durch die Stadt Frankfurt als Schulträger den Zuschlag erhalten. Das brachte die gesamte Schulgemeinde auf die Barrikaden, die ihren bisherigen Caterer, einen kleinen regionalen Betrieb, behalten wollte (HLZ 9/2018). Ein Ergebnis des Protestes der Schülerinnen und Schüler und der Eltern an der IGS Nordend war, dass die Stadt Frankfurt gemeinsam mit dem örtlichen Ernährungsrat, Eltern, Schulvertretungen und zuständigen Ämtern eine Diskussion über neue Vergabekriterien für das Mittagessen in städtischen Schulen initiierte.

Im November 2020 betonte die Frankfurter Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) im Rahmen eines digitalen Vernetzungsworkshops der bundesweiten Initiative BioBitte – Mehr Bio in öffentlichen Küchen, dass die erarbeiteten Kriterien dazu beitragen sollen, dass sich bei Ausschreibungen auch für die „kleineren, flexibel agierenden Cateringunternehmen aus der Region die Chance bietet, sich passgenau zu den Anforderungen von Schulen und Eltern zu bewerben.“ Doch auch die veränderten Ausschreibungskriterien führten bei der erneuten Ausschreibung nach drei Jahren an der IGS Nordend nicht dazu, dass ein lokales, kleines Cateringunternehmen die Ausschreibung gewonnen hätte. Der Auftrag ging an den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Damit gewann zum zweiten Mal hintereinander ein Großcaterer die Ausschreibung an der IGS Nordend für den Betrieb der Mensa, sehr zum Ärger der Schulgemeinde.

Der organisatorische Aufwand, der Zeitaufwand bei der Essensausgabe und die Kosten für Schutzausrüstungen und Tests sind bei allen Caterern während der Corona-Zeit gravierend gestiegen. Gleichzeitig nehmen viel weniger Kinder das Mittagsangebot wahr. Auch in hessischen Schulen war die Herstellung und Ausgabe eines warmen Mittagessens teilweise untersagt. So wurde zum Beispiel an den Frankfurter Schulen von den Caterern bis zu den Sommerferien 2020 nur ein Lunchpaket oder ein Imbiss ausgegeben.

Eine Befragung des Verbandes deutscher Schul- und Kitacaterer bei den Mitgliedsunternehmen ergab, dass im Mai 2021 die Betriebe im Durchschnitt nur etwa die Hälfte ihres Vor-Corona-Umsatzes erreicht hatten. Vor allem kleine Schul- und Kitacaterer werden nach Einschätzung des Verbands diese Situation nicht überstehen. Fast alle Betriebe wünschen sich prinzipiell flexiblere Konzepte für die Mittagessensversorgung an Schulen und eine Digitalisierung der Prozesse von Bestellung und Bezahlung. Mehr als ein Drittel der befragten Betriebe meinte, dass künftig auch „To-Go-Angebote“ einen höheren Stellenwert einnehmen werden.

Die letzten Monaten haben gezeigt, wie wichtig gute Rahmenbedingungen auch für die Mittagessenversorgung sind. Eine qualitativ hochwertige Schulverpflegung ist sicherlich nicht nur eine Frage des Preises. Eine gute Verpflegung muss nicht nur Lebensmittelauswahl, Speisenplanung und -herstellung berücksichtigen, sondern auch schulische Rahmenbedingungen und besondere Hygieneaspekte. Hierfür benötigt man ausreichendes, gut ausgebildetes und geschultes Personal in den Schulmensen, das selbstverständlich auch tariflich bezahlt werden muss.

Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie empfiehlt auch das Land Hessen in seinen Hygieneplänen, „gegebenenfalls mehr Personal einzusetzen, um das Eindecken der Tische mit Besteck, das Stoßlüften in den Pausen und die regelmäßige Reinigung der Oberflächen zu gewährleisten“. Das ist richtig, aber dann muss auch die Verantwortung für die Finanzierung dieser Anforderungen übernommen werden. Dies ist leider nicht erfolgt.

In vielen Betrieben war Kurzarbeit bestimmend. Einige Caterer haben das Kurzarbeitergeld aufgestockt, andere nicht. Frauen sind besonders betroffen, denn in den Betrieben, die das Schulmittagessen sicherstellen, arbeiten viele Frauen, häufig auf Basis eines Minijobs. Schließen die Caterer die Kantinen, fällt ihre Einnahmequelle weg, Kurzarbeitergeld wird für sie nicht gezahlt. Einige Schulträger haben hier zumindest unterstützend eingegriffen.

Beschäftigte nach Tarif bezahlen

Es gibt durchaus Vorteile für Beschäftigte bei größeren Trägern. Größere Betriebe schließen oft einen eigenen Tarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), der auch die Altersvorsorge tarifvertraglich regelt. Bei vielen kleinen Trägern, die in Schulen für die Essensversorgung zuständig sind, gibt es solche tariflichen Vereinbarungen nicht. Oft fehlen auch betriebliche Interessenvertretungsstrukturen – zum Nachteil der Beschäftigten. Im Ergebnis wird dann gerade einmal der Mindestlohn bezahlt und nicht der deutlich höhere Tariflohn.

Uns als GEW muss es aber auch darum gehen, kleine Einheiten, die in das schulische Leben einbezogen sind, zu unterstützen. Es geht dabei um den direkten Kontakt der Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte mit den Beschäftigten aus der Cafeteria, um die gemeinsame Gestaltung der Schulentwicklung und des Schulprogramms. Bei großen Caterern kommen wichtige Fragestellungen für die Schulentwicklung oft zu kurz.

Eine Rekommunalisierung der Essensversorgung von Bildungseinrichtungen ist aus Sicht der GEW deshalb der richtige Weg. Ein Zwischenschritt dorthin wäre es, die Tarifbindung der Caterer – auch bei kleineren Caterern – als Kriterium bei der Auswahl zu berücksichtigen. Damit wären sicherlich längst nicht alle angeschnittenen Probleme gelöst, aber es wäre ein erster Schritt. Das Land Hessen und auch die Schulträger haben einen staatlichen Bildungsauftrag zu erfüllen. Sie können gezielt steuern, was in ihren Räumen stattfinden soll und was nicht. Das betrifft auch die Gestaltung des Mittagessens und die Vergabe an Caterer. Sinnvoll wäre es, dass die Schulträger die Kinder und Jugendlichen entweder selbst versorgen, indem sie das Essen zum Beispiel in einer Stadtküche kochen lassen, oder an den einzelnen Schulen Produktionsküchen einrichten, die die Schülerinnen und Schüler vor Ort versorgen. Pädagogische Fragestellungen ließen sich so vor Ort viel leichter entwickeln. Auch Projekte wie „Schüler:innen kochen für Schüler:innen“ ließen sich umsetzen, Praktika wären auch in der eigenen Schulküche möglich. Eine kommunale Mittagessensversorgung bietet Vorteile für alle: Die Beschäftigten wären Beschäftigte im öffentlichen Dienst mit tarifvertraglichen Regelungen und betrieblicher Interessensvertretung, die Arbeitsbedingungen würden sich verbessern und damit auch die Situation und das Klima in den Cafeterien selbst.

Für Frankfurt deutet sich eine entsprechende Entwicklung an: Im Frühjahr 2021 äußerte Bildungsdezernentin Sylvia Weber, dass die Stadt Frankfurt die Essensversorgung selbst übernehmen wolle, etwa durch eine Schulküche, die sich als kommunaler Eigenbetrieb organisieren ließe. Frankfurt könnte und sollte damit zum Vorbild auch für andere Schulträger in Hessen werden.

Maike Wiedwald


(1) https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/expertise-kinderarmut-2021.pdf