Ganztagsschulen

2019: Zum Koalitionsvertrag in Hessen

„Beim Ausbau von Ganztagsschulen darf es nicht nur um Betreuung gehen.“

Für die GEW Hessen ist klar: Beim Ausbau von Ganztagsschulen geht es nicht nur um die Abdeckung des Betreuungsbedarfs, sondern es geht um Bildung, psychosoziale Entwicklung, Sozialverhalten und Bildungsgerechtigkeit. Gerade im Hinblick auf den Zerfall klassischer Familienstrukturen kommt der Schule ein deutlich gestiegener Erziehungsauftrag zu. Die Koalitionäre bekennen sich zum weiteren Ausbau des „vielfältigen Angebots ganztägig arbeitender Schulen“. Konkrete Aussagen zur materiellen Unterstützung der Schulen bei Personal, Räumen und Materialien sucht man jedoch vergebens.

Grundschulen sollen vermehrt gebunden oder teilgebunden arbeiten und klassische Hausaufgaben sollen als Lern- und Übungszeiten in ein rhythmisiertes Konzept der Ganztagsschule integriert werden können. Die Koalitionäre wollen außerdem „ausreichende Ressourcen“ zur Verfügung stellen, so dass „pro Schuljahr bis zu 50 Grund- oder weiterführende Schulen in das Profil 3 des Ganztagsschulprogramms neu aufgenommen werden können“. Das Profil 3 entspricht am ehesten dem einer echten Ganztagsschule. Die GEW begrüßt diese Absicht und stellt zugleich erneut klar: Es gibt keinen verantwortungsvollen Ausbau von Ganztagsschulen ohne zusätzliche Ressourcen, die Kindern, Jugendlichen und allen Beschäftigten gute Lern- und Arbeitsbedingungen ermöglichen.

Hessen hat Nachholbedarf: Die Betreuungsquote für Kinder im Grundschulalter liegt in Hessen mit 43 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Lediglich 36 allgemeine Schulen arbeiten im Profil 3. Damit hat Hessen mit nicht einmal fünf Prozent den geringsten Anteil von Schülerinnen und Schülern, die eine gebundene Ganztagsschule besuchen.

Der auf Bundesebene beschlossene Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter soll nach dem Willen der Koalition durch eine Weiterentwicklung des „Pakts für den Nachmittag“ zu einem „Pakt für den Ganztag“ mit einem „verlässlichen Bildungs- und Betreuungsangebot von 7.30 bis 17.00 Uhr“ umgesetzt werden. Für die Grundschulen soll es zukünftig somit nur „zwei gleichberechtigte Varianten“ geben, nämlich den „Pakt für den Ganztag“ oder die „echte“ Ganztagsschule mit rhythmisiertem Unterricht in teilgebundener oder gebundener Form entsprechend dem Profil 3 der Ganztagsrichtlinie. Für alle Angebote bis 14.30 Uhr dürfen keine Elternbeiträge erhoben werden. Die Finanzierung der weiteren Angebote bis 17.00 Uhr liegt hingegen weiter in der Verantwortung der Kommune.

Skeptisch stimmt der Hinweis auf die Fortsetzung eines „erfolgreichen Prinzips“ der Zusammenarbeit von Land und Kommunen. Denn tatsächlich war der bisherige „Pakt für den Nachmittag“ vor allem ein Pakt zur Senkung der Kosten für die ganztägige Betreuung von Kindern im Grundschulalter gegenüber der bewährten „Hortpädagogik“ mit definierten Mindeststandards für das Fachkräfteangebot, für Gruppengrößen und Räumlichkeiten.

Damit ganztägig arbeitende Angebote mit guter pädagogischer Qualität umgesetzt werden können, müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Hierzu steht nichts im Koalitionsvertrag. Das Kultusministerium geht bisher davon aus, dass die bisherige Zuweisung ausreicht, um der Hälfte der Grundschülerinnen und Grundschüler ein ausreichendes Angebot zu machen. Nach den Rückmeldungen reicht dieser Schlüssel jedoch nicht aus, zumal der Ganztag oft von deutlich mehr als der Hälfte genutzt wird. Zudem erheben zahlreiche Kommunen Elternbeiträge, die bis zu 200 Euro betragen.

Um die Zuweisung zu strecken, greifen viele Schulen zur Umwandlung von Stellen in Mittel, mit denen Fördervereine oder andere Träger ganztägige Angebote organisieren. Dieses Verfahren hat in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Mini-Jobs und befristeten Arbeits- oder Honorarverträgen geführt. Die GEW geht weiterhin davon aus, dass für ein qualitativ hochwertiges Ganztagsangebots ein Zuschlag von 60 Prozent zur Grundunterrichtsversorgung erforderlich ist. Für die Kooperation mit Fördervereinen und anderen Trägern muss Tariftreue gelten und die Refinanzierung von Tariferhöhungen sichergestellt werden.

Ganztagsschule braucht Raum, Raum zum Spielen, Toben und für kleine Gruppenarbeiten, Ruheräume, Arbeitsräume für Beschäftigte und nicht zuletzt Räume für das Mittagessen. Dazu findet man im Koalitionsvertrag kein Wort. Auch beim geplanten Kommunalen Investitionsprogramms (KIP 3) wird der Ganztag nicht erwähnt. Angesichts der Finanznot der Kommunen, die durch die Schuldenbremse und kommunale Rettungsschirme zur Kürzung vieler freiwilliger Leistungen gezwungen wurden, ist das Land auch hier in der Pflicht.

Die notwendigen pädagogischen Konzepte für eine rhythmisierte Ganztagsschule müssen von allen Beschäftigten in Schule und Jugendhilfe, in Unterricht und Schulkindbetreuung gemeinsam entwickelt werden. Das geht nur auf Augenhöhe und es erfordert Zeit. Die demokratische Mitgestaltung dieses Prozesses durch alle in Schule Beschäftigten muss sicher gestellt werden.

Der Koalitionsvertrag enthält zweifellos einzelne positive Aspekte, so die Möglichkeit, Hausaufgaben durch Lernzeiten zu ersetzen. Jetzt gilt es, Klarheit über die Ressourcen zu gewinnen, mit denen die verschiedenen Vorhaben unterlegt werden. Sonst wird es nichts mit dem versprochenen Aufbruch.

Maike Wiedwald

Maike Wiedwald ist Landesvorsitzende der GEW Hessen. Sie unterrichtet an der Carl-von-Weinberg-Schule, einer Schule mit Ganztagsangebot (Profil 2) in Frankfurt.