Foto: Christoph Boeckheler
Diskussionen über die Mittagessensversorgung an Ganztagsschulen sind nicht neu. Die Vergabe des Mittagessens an den Großcaterer Sodexo verursachte schon vor mehr als zehn Jahren in Frankfurt größere Aufregung. Damals schloss die Stadt Frankfurt im Zusammenhang mit der Privatisierung der städtischen Küchenbetriebe einen 10-Jahres-Vertrag mit dem Großcaterer Sodexo, der städtische Kitas beliefern sollte. 2018 hatte sich Sodexo um das Catering an der IGS Nordend beworben und bei der Ausschreibung durch die Stadt Frankfurt als Schulträger den Zuschlag erhalten. Das brachte die gesamte Schulgemeinde auf die Barrikaden, die ihren bisherigen Caterer, die Cantina Buen Barrio, einen kleinen regionalen Betrieb, behalten wollte.
Wie läuft ein Vergabeverfahren?
Jeder Schulträger ist aus vergaberechtlichen Gründen verpflichtet, zur Vergabe des Mittagessens ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen, das in Abstimmung mit der jeweiligen Schulgemeinde erfolgt. Die angebotenen Speisen müssen eine gesunde, ausgewogene und altersgerechte Ernährung gewährleisten und auch die Preisgestaltung muss stimmen. Nach der Bewertung aller Kriterien wird dann eine Liste mit einer Reihenfolge erstellt. Der Betrieb, der die Kriterien am besten erfüllt, erhält den Zuschlag. Im Fall der IGS Nordend zog der von der Schulgemeinde gewünschte Caterer den Kürzeren.
Joaquín Célino Rio Antas, Schüler an der IGS Nordend, sprach seinen Klassenkameradinnen und -kameraden aus dem Herzen: „Wir alle sind mit dem Essen, das Frau Beimfohr und ihr Team für die IGS Nordend für uns zubereitet haben, völlig zufrieden gewesen. Unsere Verbesserungswünsche stießen immer auf offene Ohren.“
Nachdem die Schulleitung kurz vor den Osterferien 2018 von der Entscheidung der Stadt informiert worden war, organisierten Schülerinnen und Schüler und Eltern mehrere Protestaktionen: vor dem Stadtschulamt, bei der Sitzung des Schulausschusses und bei einem „schulischen Wandertag“ zur hessischen Sodexo-Zentrale in Rüsselsheim. Schließlich beschritt Joaquín Célino mit Unterstützung seiner Mutter auch den juristischen Weg: „Die Schülerinnen und Schüler der IGS sind von der Stadt nicht informiert worden und wir hatten kein Mitspracherecht. Wir sind doch schließlich die Betroffenen. Das fand ich undemokratisch und ungerecht.“
Die Klage des Schülers wurde vom Verwaltungsgericht Frankfurt abgewiesen, ebenso die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof Kassel. Das Gericht sah „keine rechtliche Grundlage dafür, dass ein Schüler an der Erstellung der Vergabekriterien für die Kantinenkonzession zu beteiligen sei“, so ein Gerichtssprecher gegenüber der Frankfurter Rundschau. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Mittagessen an Schulen
Allerdings hätte auch ein Rückzug von Sodexo nicht dazu geführt, dass das Team der Cantina Buen Barrio den Zuschlag erhalten hätte, da es in der Rangliste des Ausschreibungsverfahrens nur auf Platz 4 gelandet war: Offensichtlich spiegeln die Kriterien und die Art und Weise der Vergabe nicht das wider, was Eltern und Schülerinnen und Schülern wichtig ist. Je nach Gegebenheiten vor Ort wird das Mittagessen angeliefert oder durch einen Caterer in der Schulküche zubereitet. In vielen Schulen, die keine Produktionsküche haben, gibt es ein Mischsystem aus angeliefertem Essen und zusätzlichen Speisen wie Salate oder Nachtische, die vor Ort zubereitet werden. Für die Essenausgabe, die Aufsicht und die Abrechnung sind viele Schulen weiter auf ehrenamtlich tätige Eltern und auf Lehrerinnen und Lehrer angewiesen. Hier muss es Veränderungen geben. Das Beispiel der IGS Nordend zeigt aber auch, wie wichtig die Kommunikation aller Beteiligten ist. Schülerinnen und Schüler konnten beim bisherigen Caterer nachfragen, welche Lebensmittel verarbeitet wurden und welche Gewürze oder Konservierungsstoffe enthalten sind, und auch bestimmte Wünsche zur Zusammenstellung der Beilagen abgeben. Noch einmal Joaquín Célino:
„Wir konnten immer unserer Wünsche nennen, verschiedene Speisen miteinander kombinieren, also zum Beispiel das vegetarische Menü bekommen, auch wenn wir das andere Menü mit Fleisch vorbestellt hatten.“
Deshalb kann Joaquín Célino auch nicht verstehen, dass offensichtlich auch die fehlende E-Mail-Adresse für das „Beschwerdemanagement“ zur Abstufung der Cantina Buen Barrio geführt hat. Joaquim Cellino kann nur den Kopf schütteln: „Um mit Frau Beimfohr zu kommunizieren, brauchte ich doch keine Mailadresse. Ich bin einfach hin und habe mit ihr geredet. Und so haben das alle gemacht.“
Kultur des Essens
Bei der Mittagessensversorgung in Schulen geht es nicht nur um die Sicherstellung einer notwendige Aufnahme von Nahrung, es geht um Ernährungsbildung insgesamt. Die Situation in Familien hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Es wird weniger gekocht, es kommen immer mehr Fertiggerichte auf den Tisch, die Kinder wissen nicht mehr, wo das Essen herkommt. Jetzt kommen die Schulen ins Spiel: Die Schulen sollen bei der täglichen Essensversorgung diese Situation kompensieren. Sie sollen den Schülerinnen und Schülern die Lernerfahrungen zugänglich machen, die in den Familien nicht mehr gemacht werden.
Durch die ganztägigen Angebote steigt der Einfluss der Schulen auf die Verpflegung und die Essgewohnheiten der Kinder und Jugendlichen. Etwa jedes siebte Kind zwischen drei und 17 Jahren ist hierzulande übergewichtig, sechs Prozent gelten laut Robert-Koch-Institut sogar als adipös. Mädchen und Jungen greifen zu oft bei Limonade, Süß- und Fleischwaren zu, Obst, Gemüse, Kartoffeln und Brot stehen dagegen zu selten auf ihrem Speiseplan. Aber nur die Caterer, die vor Ort in der Schule verankert sind, können hier etwas bewirken und zwar im täglichen Miteinander von Mittagessenszubereitung, gemeinsam gelebter Esskultur und der Bearbeitung von Ernährungsthemen im Unterricht.
Wer mit Kindern und Jugendlichen in Familie und Schule zu tun hat, weiß, dass dies ein schwieriger Balanceakt ist. Gesundes Essen gilt vielen als „uncool“. Häufig sind die Portionen zu groß, es werden nur komplette Mahlzeiten auf den Teller gefüllt und Nahrungsmittel verschwendet. Nach internationalen Studien in Finnland, Schweden, Großbritannien und Deutschland werden zwischen 18 und 46 Prozent der Lebensmittel beziehungsweise Speisen in Schulen „entsorgt“. Wertschätzung für Lebensmittel und ihre Produzentinnen und Produzenten sieht anders aus. Auch aus diesem Grund ist ein fundiertes Rückmeldesystem wichtig.
Das alles erfordert Personal, Kooperationsstrukturen und Zeit. Hier sind die Schulträger besonders gefordert. Diese Kosten auf die Schülerinnen und Schüler umzulegen, ist nicht vertretbar. Schon heute lebt ein Fünftel der unter Achtzehnjährigen in Armut. Die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, die Zuschüsse für Schulessen, Nachhilfe, Musikunterricht oder Vereinssport werden nur von gut einem Viertel der Berechtigten genutzt.
Beschäftigte nach Tarif bezahlen
Eine qualitativ hochwertige Schulverpflegung ist sicherlich nicht nur eine Frage des Preises. Eine gute Verpflegung berücksichtigt die Lebensmittelauswahl, die Speisenplanung und -herstellung, die schulischen Rahmenbedingungen sowie Hygieneaspekte. Hierfür benötigt man gut ausgebildetes und geschultes Personal in den Schulmensen, das selbstverständlich auch tariflich bezahlt werden muss. Neben den rechtlich vorgeschriebenen Schulungen sind auch Fort- und Weiterbildungen zu ernährungsphysiologischen Themen sinnvoll.
Peter Martin Cox, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) in Hessen, weiß, dass größere Träger für die Beschäftigten vorteilhaft sein können. So hat Sodexo Services einen eigenen Tarifvertrag mit der NGG abgeschlossen, der auch die Altersvorsorge tarifvertraglich regelt. Auch für Betriebe mit weniger als fünf Beschäftigten kann ein Betriebsrat gebildet werden. Das zeigt, dass gewerkschaftliche Erfolge zu verzeichnen sind.
Mit vielen kleinen Trägern, die in Schulen für die Essensversorgung zuständig sind, gibt es solche tariflichen Vereinbarungen nicht. Oft fehlen auch betriebliche Interessenvertretungsstrukturen – zum Nachteil der Beschäftigten. Im Ergebnis wird dann oft gerade einmal der Mindestlohn bezahlt und nicht der deutlich höhere Tariflohn. Das Land Hessen und auch die Schulträger haben einen staatlichen Bildungsauftrag zu erfüllen und können deshalb gezielt steuern, was in ihren Räumen stattfinden soll und was nicht. Das betrifft auch die Gestaltung des Mittagessens und die Vergabe desselben an Caterer. Die Forderung von Peter-Martin Cox ist klar: „Die Schulträger sollen als ein Kriterium in das Auswahlverfahren die tarifliche Bezahlung der Beschäftigten mit aufnehmen und die Umsetzung auch kontrollieren.“
Eine andere Option wäre es, dass die Schulträger die Kinder und Jugendlichen selbst versorgen und das Essen etwa in einer Stadtküche kochen lassen. Die Frankfurter Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) kündigte inzwischen eine solche Prüfung an.
Vergabekriterien überarbeiten
Die Rekommunalisierung der Essensversorgung von Bildungseinrichtungen ist aus Sicht der GEW der richtige Weg. Ein Zwischenschritt dorthin wäre es, die Tarifbindung der Caterer als Kriterium bei der Auswahl zu berücksichtigen. Damit wären sicherlich längst nicht alle angeschnittenen Probleme gelöst, aber es wäre ein erster Schritt. Trotz aller Proteste hat Sodexo nach den Sommerferien 2018 die Essensversorgung an der IGS Nordend übernommen. Viele Eltern haben angekündigt, dass sie ihre Kinder bei einem Catererwechsel von der Essensversorgung abmelden würden. Und auch die Schülerinnen und Schüler befürchten eine deutliche Verschlechterung der Qualität. Vielleicht findet sich ja doch noch für die IGS Nordend eine andere Lösung, zu wünschen wäre es der engagierten Schulgemeinde. Joaquín Célino und die Schulgemeinde der IGS Nordend haben auf jeden Fall etwas erreicht: Die Qualität des Schulessens steht auf der Tagesordnung. Und die Stadt Frankfurt hat angekündigt, die Vergabekriterien für die Mittagessensversorgung zu überarbeiten und Schülerinnen, Schülern und Eltern mehr Rechte und damit ein wenig mehr an demokratischer Teilhabe einzuräumen.
Maike Wiedwald
Kommunen zur Landtagswahl
Bei der Vorstellung der Positionen der Kommunalen Spitzenverbände zur Landtagswahl forderte Bernd Woide, Präsident des Hessischen Landkreistages, „eine konsequente Beachtung des Konnexitätsprinzips“: Den Kommunen vom Land übertragene Aufgaben müssten „auskömmlich finanziert werden“. Bei der Kinderbetreuung müsse „Qualitätsverbesserung vor Gebührenfreistellung“ gehen. Auch bei der Ganztagsbetreuung und den Kosten der Sanierung der Schulen müsse das Land zulegen.