Arbeitsbedingungen im Ganztag

Steigt oder sinkt die Arbeitsbelastung durch den Ganztagsbetrieb?

HLZ 7-8/2022: Rechtsanspruch Ganztag?

In den vergangenen Jahren hat ein deutlicher Ausbau der ganztägigen Angebote an den hessischen Schulen stattgefunden. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, der ab dem Schuljahr 2025/26 sukzessive eingeführt wird, macht einen weiteren Ausbau im Primarbereich erforderlich. Allerdings sind die Rahmenbedingungen bislang alles andere als zufriedenstellend. Angesichts deutlich gestiegener Arbeitsbelastungen von Pädagoginnen und Pädagogen stellt sich somit die Frage, ob der Übergang von der Halbtags- zur Ganztagsschule diese weiter erhöht oder auch entlastende Faktoren wirksam werden. Hierzu können auch die Ergebnisse der Frankfurter Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie herangezogen werden.

Die GEW Hessen hat nach einer ausführlichen Diskussion im Februar 2018 in ihrem Beschluss „Echte Ganztagsschulen einrichten!“ wesentliche gewerkschaftliche Anforderungen an einen guten Ganztag in den Bereichen Unterricht, Arbeitsbedingungen, multiprofessionelle Teams und Räumlichkeiten benannt. Die Essentials sind im Folgenden leicht gekürzt.

  • Unterricht: Die Bedeutung und die Notwendigkeit von Ganztagsschulen werden heute in der pädagogischen Diskussion nicht mehr bestritten. In rhythmisiert arbeitenden Ganztagsschulen kann eine verbesserte individuelle fachliche und soziale Förderung der Schülerinnen und Schüler erfolgen. Das kommt allen zu Gute, unabhängig von der sozialen Situation oder dem Einkommen der Eltern. Soziale Ungleichheiten können ausgeglichen werden. Ganztagsschulen können ein entscheidendes Mittel zum Abbau der „Vererbung“ von Bildungsbenachteiligung darstellen, aber auch zur Umsetzung der Inklusion. Dieses Potential der Ganztagsschule muss dringend seine Entsprechung in einer deutlich besseren finanziellen und personellen Ausstattung durch das Land Hessen erfahren.
  • Arbeitsbedingungen: Eine qualitativ hochwertige echte Ganztagsschule erfordert zusätzliches Personal: Lehrerinnen und Lehrer, sozialpädagogische Fachkräfte sowie Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter. Der Mindestbedarf ist mit 60 % zusätzlich zur Grundunterrichtsversorgung anzulegen.
  • Multiprofessionelle Teams: Es bedarf qualifizierter Fachkräfte, die nach Tarif eingruppiert und bezahlt werden müssen. An Ganztagsschulen arbeiten multiprofessionelle Teams miteinander. Auch um sich miteinander auf Augenhöhe begegnen zu können, muss sichergestellt sein, dass alle feste Beschäftigungsverhältnisse haben.
  • Räumlichkeiten: Es gilt, Standards für Ganztagsschulen zu entwickeln und einzuhalten, die über denen einer reinen Vormittagsschule liegen. Die Schulträger müssen die Schulen so ausstatten, dass ein Ganztagsbetrieb möglich ist (Cafeteria, Bibliothek, Ruheräume, Freizeiträume für offene Angebote, Kleingruppenräume, Arbeitsplätze für alle).
Arbeitsbelastung an Frankfurter Schulen

Die GEW hat die Arbeitszeit und die Arbeitsbelastung von Lehrkräften an Frankfurter Schulen kurz vor den corona-bedingten Schulschließungen im Jahr 2020 untersucht. (1) Die wesentlichen Ergebnisse wurden ausführlich in der HLZ 12/2020 dargestellt. Hier sollen nur wenige Befunde in Erinnerung gerufen werden, die in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse sind. Unter anderem stellt die Studie fest, dass ein gutes Drittel der wöchentlichen Gesamtarbeitszeit für Unterricht aufgewendet wird (35 %), während ein annähernd ebenso großer Anteil auf unterrichtsnahe Tätigkeiten wie Vor- und Nachbereitung entfällt (27 %). Das verbleibende Drittel der Gesamtarbeitszeit wird für unterrichtsferne Tätigkeiten aufgewendet, beispielsweise für die pädagogische Kommunikation mit Eltern (S.146). Im Durchschnitt leisten Lehrkräfte, auch unter Berücksichtigung der Schulferien, Überstunden in erheblichen Ausmaßen. Bei rund einem Fünftel der Vollzeitbeschäftigten liegt die wöchentliche Arbeitszeit über der Schwelle von 48 Stunden.
Die Arbeitsbelastung wird insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Die Studie bietet Aufschluss darüber, wo genau die Belastungen gesehen werden: Als Stressfaktoren werden insbesondere Zeitmangel (87 %) sowie der hohe Aufwand für die Dokumentation (65 %) genannt. Auch der zu knappen Personalbemessung (46 %) sowie den zu geringen Handlungsspielräumen (43 %) kommt eine wichtige Rolle zu.

Bei der „Beanspruchung durch schulische Rahmenbedingungen“ (siehe Abbildung) steht die fehlende Erholung in den Schulpausen an erster Stelle: 87 % sehen darin eine „starke“ oder „eher starke“ Belastung. An zweiter Stelle steht die Zunahme von Konferenzen, Sitzungen und Besprechungen, die von 75 % als belastend wahrgenommen wird. 55 % problematisieren die ganztägige Bindung an den Arbeitsort Schule. Hinsichtlich der räumlichen Bedingungen in Schulen werden das Raumklima und die Verfügbarkeit von Kleingruppenräumen besonders schlecht beurteilt (S.234). Andere Faktoren wie Zeitmangel sind offensichtlich für weit mehr Kolleginnen und Kollegen eine Belastung. Unmittelbare Schlussfolgerungen bezüglich des Ganztags lässt die Studie nicht zu. Trotz des Ausbaus der Ganztagsangebote in Hessen antworteten nämlich 41 % der Befragten: Das „kommt nicht vor“. „Aufgaben durch den Ganztagesbetrieb“ werden „nur“ von 23 % als „starke“ oder „eher starke“ Belastung benannt.

Positive Rückwirkungen auf den Unterricht?

Wenn es durch das Ganztagskonzept der jeweiligen Schule gelingt, das fachliche Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern, so kann dies entlastend auf den Unterricht rückwirken. Durch die Verankerung von Lernzeiten können Inhalte des Unterrichts, bei Bedarf mit Unterstützung, wiederholt und anhand von Übungsaufgaben angewendet werden. Eine breitere Verteilung des Unterrichts über den Schultag kann eher mit dem Biorhythmus der Schülerinnen und Schüler und auch vieler Lehrkräfte korrespondieren. Bekanntlich verlangt der frühe Unterrichtsbeginn im Rahmen der Halbtagsschule volle Konzentration bereits am frühen Morgen – somit zu einem Zeitpunkt, der für einen Großteil insbesondere der Jugendlichen nicht optimal ist. Wenn Unterricht auch am Nachmittag stattfinden kann, wird zudem der spätere Vormittag entlastet. Diese positiven Effekte können das Unterrichten deutlich einfacher und gleichzeitig erfolgreicher machen. Wenn der Ganztag jedoch nicht gut verzahnt ist, was bei offenen Modellen häufig der Fall ist, dann ist kein entlastender Effekt auf den Unterricht zu erwarten. Damit dürfte auch zu erklären sein, dass die STEG-Untersuchungen bislang kaum Belege dafür finden konnten, dass der Ganztag das fachliche Lernen substantiell verbessert.

Höhere Präsenzzeit in der Schule

Durch den Ganztagsbetrieb erhöht sich in der Regel die Präsenzzeit der Lehrkräfte an der Schule. Das birgt die Chance einer besseren Eingrenzung der Arbeit. Gerade die vorherrschende Arbeitsorganisation von Lehrkräften, bei der Vor- und Nachbereitung sowie pädagogische Kommunikation zu großen Teilen zu Hause erfolgen, macht es besonders schwer, den Arbeitstag zeitlich und räumlich einzugrenzen, diesen zu beenden und ungestört von dienstlichen Belangen in Freizeit oder Sorgearbeit überzugehen.
Auf der Grundlage der Pflichtstundenverordnung kann im Rahmen des Ganztags auch bei einer vollen Stelle die Verteilung des Unterrichts auf vier Wochentage gelingen, was von vielen geschätzt werden dürfte. Dazu müssen unabdingbar an der Schule geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, droht eine Ausdehnung der Präsenzzeiten, ohne dass sich die zu Hause anfallende Arbeitszeit entsprechend reduziert.

Der Ganztag bringt weitere pädagogische Professionen an die Schule, wenn er – wie aus Sicht der GEW erforderlich – von Fachkräften gestaltet wird. Die damit verbundenen Vorteile für das fachliche und das soziale Lernen werden nur wirksam, wenn es für die Koordination zwischen allen Beteiligten feste Zeitfenster und Anrechnungen gibt, in denen der für die Teamarbeit erforderliche Austausch möglich ist und Absprachen getroffen werden können. Nur dann können multiprofessionelle Teamstrukturen aufgebaut und gestärkt, positive Effekte erzielt und pädagogische Herausforderungen und Konfliktsituationen gemeinsam bewältigt werden.

Welche Räume braucht die Ganztagsschule?

Die Ganztagsschule stellt besondere Anforderungen an die Schulbauten. Die von der Frankfurter Studie aufgezeigte, vielerorts problematische Raumsituation steht der Entwicklung von erfolgreichen Ganztagskonzepten im Weg. Ohne geeignete und zusätzliche Räume ist ein funktionierender Ganztag nicht denkbar. Aber auch die Sanierung der oftmals maroden Schulbauten ist unerlässlich.

Gerade in den Städten ist der Schutz vor hohen Temperaturen im Sommer in den Gebäuden ebenso wie auf dem Schulhof unerlässlich, damit ein ganztägiger Aufenthalt über die Mittagshitze überhaupt erträglich wird. Wenn der Ganztag jedoch ohne die notwendigen baulichen Maßnahmen ausgebaut wird, dann droht auch in dieser Hinsicht eine zusätzliche Belastung für das Personal ebenso wie für die Schülerinnen und Schüler.

Es gibt keinen einfachen Zusammenhang zwischen dem schulischen Ganztag und den Arbeitsbelastungen der Pädagoginnen und Pädagogen: Weder führt er automatisch zu einer Entlastung, noch ist er per se eine Gefahr für die Arbeitsbedingungen. Es hängt vielmehr von den politisch gesetzten Rahmenbedingungen und von der konkreten Umsetzung vor Ort ab, wie der Ganztag die Arbeitsbedingungen beeinflusst.

Roman George


Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag im Rahmen einer Fachtagung des Ganztagsschulverbandes Hessen am 16. September 2021.

(1) Frank Mußmann, Thomas Hardwig, Martin Riethmüller, Stefan Klötzer, Stefan Peters (2021): Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften an Frankfurter Schulen 2020, Marburg.