Wir brauchen einen Bildungswumms...

... sagt Volkmar Heitmann, Vorsitzender des Landeselternbeirats

HLZ: Februar 2023

HLZ: Du vertrittst seit Mai 2021 als Vorsitzender des Landeselternbeirats die Interessen der Eltern von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen in Hessen. Wie ist das so?

Volkmar Heitmann: Die Interessen von Kindern und Eltern scheinen die Politik außer in Phasen des Wahlkampfs kaum zu interessieren. Das liegt auch daran, dass diese Gruppe wahltechnisch keine große Rolle spielt. Das müsste sich ändern, etwa indem man das Wahlalter herabsetzt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Eltern für ihre Kinder eine zusätzliche Stimme erhalten. Darüber sollte man diskutieren. Mein Eindruck ist, dass wir uns weltweit in einer Demokratiekrise befinden. Dem System politscher Parteien ist inhärent, den Fokus mehr auf die Machtgewinnung und -Erhaltung zu legen als auf die Lösung von Problemen. Daher plädiere ich für den Versuch, Wahlen durch ein repräsentatives Losverfahren zu ersetzen.
 

Wir haben vor einiger Zeit gemeinsam mit Euch und der Landesschüler*innenvertretung das Konzept der demokratischen Schule ausformuliert, in Abgrenzung zur unternehmerischen Schule.

Da habe ich eigene leidvolle Erfahrung. Ich habe mehrere Jahre als Quereinsteiger an einer kooperativen Gesamtschule gearbeitet. Der Schulleiter kam von Siemens, mit wenig Schulerfahrung wurde er in Rekordzeit zum Schulleiter. Er leitete die Schule sehr betriebswirtschaftlich, auch in Personalfragen. Ich habe in dieser Zeit eine Art Referendariat absolviert. Es gab allerdings keinen Mentor und mir fehlte angesichts der hohen Stundenzahl die Vorbereitungszeit für die vorgesehene Prüfung – erst recht, wenn man noch eine Familie hat. Das sollte besser austariert werden. Es gibt zudem kaum valide Studien, welche Methoden im Unterricht funktionieren, das scheint eher anekdotisch. Welche Unterrichtskonzepte erfolgreich sind, sollte besser untersucht werden. Jeder Professor und jede Professorin reitet ein eignes Steckenpferd. Ob das Hand und Fuß hat, merkt man erst, wenn man vor der Klasse steht.
 

Der Lehrkräftemangel ist Teil der aktuellen Krise des Bildungssystems. Beschäftigt Euch das Thema Corona weiter?

In diesen Fragen scheint die Spitze des Ministeriums inzwischen eher auf die „Initiative Familien“ zu hören als auf uns. Das ist ein bundesweiter Verein mit vielleicht 150 Mitgliedern. Sie haben aber eine gut geölte PR-Maschinerie im Hintergrund. Es gibt prominiente Unterstützung, etwa durch Christina Schröder, die ehemalige Familienministerin. Sie erzählen den Politikerinnen und Politikern, was sie hören wollen.
 

Derzeit sind viele Menschen krank, nicht nur wegen Corona.

Wir haben schon vor den Sommerferien darauf hingewiesen, dass man sich auf diesen Winter vorbereiten soll – nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen der anderen Infektionskrankheiten. Das wurde ignoriert. Wenn man sich die Reden von Kultusminister Lorz im Landtag anhört, so reagiert er inzwischen regelrecht allergisch, wenn man von Masken oder Lüftungsanlagen spricht.
 

Lüftungsanlage ist ein gutes Stichwort. Wie ist Euer Eindruck bezüglich des Stands der Ausstattung?

Man muss unterscheiden zwischen Lüftungsanlagen und mobilen Luftfilteranlagen, bei denen es sich auch aus unserer Sicht nur um eine provisorische Lösung handelt. Jeder Hühnerstall braucht eine Lüftungsanlage, aber bei den Schulen wird das als Kokolores betrachtet. Die Lüftung nur über Fenster hat schon zu Feuerzangenbowlen-Zeiten nicht ausgereicht. Viele Schülerinnen und Schüler hängen in einem CO2-Koma, da kann der Unterricht noch so interessant sein. Ich habe den Eindruck, dass inzwischen häufig wieder nur noch zwischen Doppelstunden gelüftet wird. Der Sauerstoffgehalt reicht dann aber nicht aus, um sich konzentrieren zu können. Die wegen Corona angeschafften CO2-Messgeräte sind kaum noch im Einsatz. Die Lehrkräfte sollten sie nach wie vor einsetzen und häufiger lüften.
 

In vielen Klassenräumen ist die CO2-Ampel immer rot, sobald die Fenster zu sind. Kann man sich dann die Messung nicht sparen?

Die Empfehlungen für den Sauerstoffgehalt werden in vielen Klassenräumen nicht erreicht. Dafür braucht es Lüftungsanlagen. Erfahrungen mit der Nachrüstung hat beispielsweise die Stadt Kassel gemacht, die rund 150 Geräte dezentral eingebaut hat. Bei Schulen in Passivbauweise sind zentrale Anlagen Standard. Die Energie bleibt erhalten, weil ein Wärmetauscher eingebaut ist. Die Wärme von drinnen wird sozusagen übertragen auf die frische Luft, die man reinholt, so dass es warm bleibt. Damit kann man 70 Prozent Heizkosten einsparen.
 

Rechnet sich das nicht auch?

Wenn man sich umschaut, gehören die Schulen zu den größten Energieschleudern. Bei uns im Wetteraukreis werden geschätzt zehn Millionen Euro verheizt, buchstäblich zum Fenster raus. In der Wetterau haben mehrere Parteien beantragt, alle Schulen mit Lüftungsanlagen auszustatten. Das wurde abgelehnt. Auch genaue Zahlen zum Energieverbrauch wurden nicht zur Verfügung gestellt. Aus Elternsicht wäre das eine Investition, die sich bezahlt macht. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber man sollte jetzt den Startschuss geben.
 

Die GEW hat sich intensiv mit dem Sanierungsbedarf beschäftigt. Vor allem die finanzschwachen Schulträger investieren viel zu wenig. Hängt der Schulbau zu oft in der Phase Null fest?

Wir haben bei uns ein Schulamt für die Wetterau und den Hochtaunuskreis. Die Situation ist sehr unterschiedlich. Der Hochtaunuskreis hat deutlich mehr investiert.
 

Es gibt allerdings auch eher schlechte Erfahrungen mit Schulen in Passivhausbauweise, etwa in Frankfurt.

Es wurden auch Fehler gemacht. Bei Schulen in Passivbauweise wurden Lüftungsanlagen nicht ausreichend dimensioniert, um ein paar Cent zu sparen. Wenn man ein Passivhaus betreibt, soll man die Fenster in der Heizperiode nicht öffnen, das sollte auch nicht nötig sein. Man kann auch einzelne Räume regeln. Das ist machbar, kostet nur etwas mehr. Da darf man nicht am falschen Ende sparen, das ist dann ein Planungsfehler. Im Wetteraukreis wurden zuletzt viele Schulen saniert, auch was die Wärmedämmung anbelangt. Dabei wurde nur der aktuell geltende Standard umgesetzt, nicht in die Zukunft gedacht. Die Schulen müssen auch auf den Hitzeschutz im Sommer vorbereitet werden: Dächer begrünen, Wasserauffangbecken auf Flachdächern, Bäume rund um die Schulen, Verschattungsmöglichkeiten an den Fenstern, Teiche auf dem Schulgelände… Das alles müsste längst umgesetzt oder zumindest geplant worden sein.
 

Spielen die Schulen in der Gesamtklimabilanz von Kommunen nicht eine eher kleine Rolle?

Wir benötigen ein Monitoring, wo wieviel CO2 erzeugt wird, auch indirekt. Wenn man die Zahlen nicht kennt, weiß man auch nicht, wo die effektivsten Eingriffsmöglichkeiten liegen. Es reicht nicht, nur die kreiseigenen Gebäude mit Solaranlagen zu bestücken. Wäre das alles berücksichtigt worden, hätten wir jetzt weniger Energieprobleme und eine bessere Infektionslage an den Schulen.
 

Hat der Hessische Städtetag nicht empfohlen, Luftfilteranlagen auszuschalten, um Strom zu sparen?

Wenn man im Klassenraum auf Masken verzichten will, dann braucht es dort gute Luft. Wenn viele Leute auf engem Raum zusammensitzen, geht das nicht ohne Technik. Ein anderes leidiges Thema beim Schulbau sind ja die Toiletten. Dort haben wir übrigens inzwischen auch positive Beispiele kennengelernt, etwa an einer Grundschule in Grünberg. Das funktioniert grundsätzlich, wenn sich die gesamte Schulgemeinde darum kümmert. Dort muss es auch ansprechend aussehen, durch vernünftige Spiegel, Pflanzen und so weiter.
 

Also müssen die Toiletten erst einmal in einen guten Grundzustand versetzt werden?

Ein springender Punkt ist, dass eine öffentliche Toilette nicht ohne Personal auskommen kann. Die Kosten sind nicht wirklich gravierend, an diesem Ende sollte nicht gespart werden. Es drohen ja auch gesundheitliche Kosten.

Der Lahn-Dill-Kreis hatte zwischenzeitlich das Warmwasser in Schulen und Turnhallen abgestellt. Aber dennoch scheint bislang kaum jemand in den Klassenräumen zu frieren. Im Sommer hatten wir noch eine größere Energieknappheit auch an den Schulen befürchtet.

Der Eindruck kann täuschen, denn der Herbst und Winter waren zunächst eher mild. Wenn es länger unter null Grad ist, sind die Gasvorräte schnell aufgebraucht. Es wird außerdem auch weniger gelüftet.

Hat der Landeselternbeirat angesichts der vielen akuten Probleme überhaupt Spielraum für politische Initiativen jenseits des Krisenmanagements?

Wir stellen uns die Frage, was man unter den gegebenen Bedingungen kurzfristig erreichen könnte. Wir können uns leider auf absehbare Zeit abschminken, ausreichend ausgebildete Lehrkräfte zu erhalten, denn man kann sie nicht von den Bäumen pflücken. Welche Konzepte gibt es, dennoch den Unterricht aufrecht zu erhalten? Kann die Digitalisierung zumindest unterstützen, etwa bei der Binnendifferenzierung im Unterricht? Man sollte auch sehen, wie weiteres Personal im Bereich Schulsozialarbeit gewonnen werden kann.
 

IT-Fachkräfte wünscht Ihr Euch auch?

Die fehlen allerdings ebenfalls – übrigens aktuell auch in den skandinavischen Ländern, die vieles besser gemacht haben in Sachen personelle Ausstattung. Auch im Kultusministerium sieht man, dass diese uns Lichtjahre voraus sind. Die Reibungsverluste im föderalen System sind ein weiteres Problem. Ministerpräsident Rhein macht die Bildung in Hessen bislang nicht zur Chefsache, das würden wir uns aber wünschen. Wir brauchen einen „Bildungswumms“. Wenn man alle Probleme versucht wegzubügeln, dann muss man auch keine lösen. Unser wichtigster Punkt im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten war eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Ministerien sowie von Land und Schulträgern. Zwischen Sozial-, Wissenschafts- und Kultusministerium scheint kaum Kommunikation stattzufinden. Dabei müssten die Kita- und die Schulebene viel besser verzahnt werden. Zwar ist der Abiturdurchschnitt immer besser geworden, an der Uni zeigen sich dann aber Probleme.
 

Ist diese Diskussion nicht schon sehr alt?

Das hängt vielleicht auch von den Fächern ab. In Mathematik wurde beispielsweise in der Pandemie viel nicht gemacht, was aber für das Physikstudium wichtig ist. Allerdings scheint es den Hochschulen auch darum zu gehen, in den ersten Semestern abzuschrecken. Das ist fatal angesichts des Fachkräftemangels. Das Lernen lernen, wie man sich selbst organisiert zum Beispiel, wird an vielen Schulen bestenfalls in kleinen Einheiten zwischen Tür und Angel gemacht. Auch weil zu wenig Zeit dafür vorgesehen ist. Das sollte stärker berücksichtigt werden, sonst führt das nur zu Bulimie-Lernen.

HLZ: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Deine weitere Arbeit im Landeselternbeirat.