Mehr Lehrkräfte ausbilden!

Hürden für ein Lehramtsstudium in Hessen abbauen

HLZ Mai 2023: Soziale Arbeit

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) geht davon aus, dass der Lehrkräftemangel 20 Jahre andauern wird. Die demografische Entwicklung lasse mehr Schülerinnen und Schüler erwarten. Zudem stünden einer Pensionierungswelle zunächst eher kleine Abiturjahrgänge, aus denen Nachwuchs gewonnen werden kann, entgegen. Die Empfehlungen der Kommission laufen auf eine Erhöhung der Arbeitszeit und der Arbeitsbelastung hinaus. Ein Teil der Vorschläge droht der Qualität der schulischen Bildung unmittelbar zu schaden, etwa der Ausbau von Selbstlernzeiten. (1) Auch wenn die aktuellen Abiturjahrgänge tatsächlich schmaler ausfallen, soll hier die Frage aufgeworfen werden, ob sich daraus tatsächlich zwingend weniger Nachwuchs im Lehramt ergeben muss.

An den hessischen Universitäten ist die Zahl der Neueinschreibungen in Lehramtsstudiengänge von 2015 bis 2019 deutlich angestiegen. In diesem Zeitfenster hat die Landesregierung die Kapazitäten im Grundschullehramt sowie im Förderschullehramt ausgeweitet. Da es in diesen Lehrämtern zuvor viel zu wenige Studienplätze gab, hatten viele Interessierte keine Chance. Seit 2020 sind die Neueinschreibungen in Lehramtsstudiengänge allerdings wieder rückläufig. Zum Wintersemester 2022/23 war deren Zahl mit gut 3.600 rund 1.100 kleiner als drei Jahre zuvor (Tabelle 1).

Das Bild fällt bei den Lehrämtern recht unterschiedlich aus: Einzig im Grundschullehramt hat sich die Zahl der Studierenden im ersten Semester weiter erhöht. Erstmals haben sich hier mehr als 1.000 Studierende neu eingeschrieben. Ganz anders sieht es beim Lehramt an Haupt- und Realschulen aus: Die Zahl der Neueinschreibungen hat sich innerhalb weniger Jahre auf nur noch 447 halbiert. Das Lehramt an Gymnasien erfreut sich nach wie vor der größten Beliebtheit, allerdings gibt es auch bei diesem einen negativen Trend. Deutlich ist der Rückgang auch beim Lehramt für Förderpädagogik. Hessen hat nur das Lehramt für Berufliche Schulen in das gestufte Bologna-System überführt. Auch in den Bachelor für dieses Lehramt haben sich zuletzt deutlich weniger Studierende eingeschrieben.

Die Neueinschreibungen haben sich beim Lehramt schlechter entwickelt als bei anderen Studiengängen. Das bedeutet, dass auch der relative Anteil des Lehramts kleiner geworden ist. Dabei handelt es sich um einen bundesweiten Trend. So war die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger im Lehramt in ganz Deutschland bereits im Studienjahr 2021/22 erstmals seit mehreren Jahren rückläufig. Mit nur noch 32.000 war ein Rückgang um 13,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Dieser fiel deutlich stärker aus als der in der Gesamtheit aller Studiengänge mit einem kleinen Minus von 3,7 %. (2)

Das ist in Zeiten des Lehrkräftemangels ein ernstzunehmendes Alarmsignal. Obwohl der Mangel in aller Munde ist, scheint ein entsprechendes Studium eher seltener gewählt zu werden. Umso gefährlicher ist es, wenn nun – beispielsweise von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission – vermeintliche Lösungsvorschläge in die Welt gesetzt werden, die die Attraktivität des Berufs weiter schmälern. Allerdings ist auch wahr, dass nach wie vor Interessierte keinen Studienplatz finden.
Die in Tabelle 2 dargestellte Übersicht zeigt, dass an allen hessischen Universitäten in bestimmten Lehrämtern beziehungsweise in einzelnen Fächern Zulassungsbeschränkungen bestehen. Das betrifft vor allem das Grundschullehramt sowie das Lehramt für Förderpädagogik. Auch in den anderen Lehrämtern gibt es einzelne Fächer, die mit einem Numerus Clausus (N.C.) belegt sind, primär Biologie sowie Politik und Wirtschaft. An der Goethe-Universität Frankfurt sind auch das Gymnasiallehramt und das Lehramt an Haupt- und Realschulen insgesamt zulassungsbeschränkt, in mehreren Fächern kommen ein N.C. oder ein Verfahren zur Eignungsfeststellung hinzu. Das Missverhältnis zwischen den Bewerbungen sowie den Studienplätzen ist allerdings kleiner geworden. Daher sind die N.C. inzwischen niedriger, teilweise konnten letztendlich alle zugelassen werden. Allerdings hat das bloße Vorhandensein von Zulassungsbeschränkungen einen Effekt: Viele schreiben sich dann an einer anderen Hochschule ein oder in nicht zulassungsbeschränkten Studiengängen.

Hessen könnte mehr Lehrkräfte ausbilden, indem es genügend Studienplätze zur Verfügung stellt. Das Kultusministerium hat inzwischen eine Werbekampagne für den Beruf gestartet, ein „Zukunftsbus“ soll 100 Oberstufenschulen ansteuern. Es wäre bedauerlich, wenn ein Teil der so für diesen „Zukunftsberuf“ interessierten jungen Menschen aufgrund von nach wie vor greifenden Zulassungsbeschränkungen am Ende gar kein Lehramtsstudium aufnehmen könnte.

Kooperation oder Wettbewerb?
Der Lehrkräftearbeitsmarkt ist ein bundesweiter. Da die Bundesländer ihre Abschlüsse gegenseitig anerkennen, können voll ausgebildete Lehrkräfte recht einfach wechseln, in Zeiten des Mangels allemal. Als mittelgroßes Bundesland in der Mitte Deutschlands kann sich Hessen nicht von der bundesweiten Entwicklung abkoppeln.

Der ehemalige Berliner Staatssekretär Mark Rackles hat in einer Studie präzise aufgezeigt, dass die KMK ihrer Aufgabe, die Lehrkräfteausbildung zu koordinieren, nicht gerecht wird. Mit den Universitäten in Gießen und Frankfurt finden sich nur zwei der 25 bundesweit größten lehrkräfteausbildenden Hochschulen in Hessen.

Ohne eine bundesweit abgestimmte Strategie reichen isolierte Ad-Hoc-Maßnahmen der einzelnen Bundesländer nicht aus. Rackles schlägt als Lösung einen Staatsvertrag zur Deckung des Lehrkräftebedarfs vor. Damit sollten sich die Bundesländer unter anderem verpflichten, ihren Bedarf solide zu prognostizieren und entsprechende Ausbildungskapazitäten vorzuhalten. (3) Das Konzept des Wettbewerbsföderalismus, in dem die Bundesländer miteinander konkurrieren, darf als endgültig gescheitert betrachtet werden. Eine bessere Koordination und mehr Kooperation sind zwingend erforderlich, um schnell einen Weg aus dem Lehrkräftemangel zu finden. Das gilt für die Zusammenarbeit der Bundesländer untereinander ebenso wie für ihr Verhältnis zum Bund.

Die KMK und die Bundesländer sollten in der gegenwärtigen Situation für angebotene Hilfestellungen des Bundes dankbar sein, anstatt sie empört als Einmischung in ihre Kompetenzen zurückzuweisen.

Lorz fehlt beim Bildungsgipfel
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat bislang viel zu wenig erreicht und der von ihr im März 2023 einberufene „Bildungsgipfel“ mag schlecht vorbereitet gewesen sein, die GEW sprach von einem „Bildungshügel“. Aber Kultusminister Alexander Lorz koordiniert immerhin die CDU-geführten Ministerien in der KMK und wäre damit einer der maßgeblichen Akteure, auf den es ankäme, um eine bundesweit abgestimmte Strategie gegen den Lehrkräftemangel aufzusetzen. Seine Nichtteilnahme am Bildungsgipfel begründete er mit Terminschwierigkeiten angesichts der kurzfristigen Einberufung. Beispielsweise beim Digitalpakt – bei dem der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro zuschießt – könne man durchaus zusammenarbeiten, „anderswo sollte sich eine Bundesbildungsministerin lieber nicht einmischen und uns in Ruhe arbeiten lassen.“ (4)

Wir benötigen mehr Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Wenn Kultusminister Lorz vom Bund nicht mehr als Geld will, steht er einer Auflösung der Bildungsmisere ebenso im Weg wie der bayrische Ministerpräsident Markus Söder. Der ist inzwischen dazu übergegangen, aktiv Lehrkräfte abzuwerben, anstatt sie in ausreichender Zahl im eigenen Bundesland auszubilden.

Roman George


(1) Roman George (2023): Mehrarbeit statt Zeit für mehr Zeit? Die Ständige Kommission der KMK auf Irrwegen, HLZ Nr. 3/4.
(2) Statistisches Bundesamt (2023): Pressemitteilung vom 13. 2. 2023, Wiesbaden.
(3) Mark Rackles (2023): Wege aus dem Lehrkräftemangel. Zukunftsvertrag Lehrkräftebildung und bundesweite Ausbildungs­offensive 2023-2032, Berlin.
(4) Interview mit Alexander Lorz am 12.3.2023, Bildung.Table.