Der Hessische Sozialbericht zeigt: Die Ungleichheit wächst

HLZ September/Oktober 2023: Die Landtagswahl am 8. Oktober 2023

Am 5. Dezember 2022 legte Sozialminister Kai Klose (Bündnis90/Die Grünen) den neuen Hessischen Landessozialbericht vor, der einen Beitrag zur „Ausrichtung der eigenen Maßnahmen“ leisten und „zur Aufklärung über die Einkommens- und Vermögensverteilung in Hessen sowie über besondere Armutsrisiken“ beitragen soll. Obwohl die im Landessozialbericht ausgewerteten Daten verschiedenen Einschränkungen unterliegen, weisen sie doch auf eine zunehmende Ungleichverteilung in Hessen hin. Im Zeitraum 2013 bis 2018 hat sich die Ungleichverteilung der Einkommen und der Vermögen erhöht. Hier fällt die Zunahme der Ungleichheit sogar größer aus als beim Einkommen: Während 2013 auf die vermögensärmsten 50 % noch 9 % des gesamten Nettovermögens entfallen, sind es 2018 nur noch 6 %. Um sechs Prozentpunkte gestiegen auf 49 % ist hingegen der Anteil der reichsten 10 %.


Ausgewiesen wird im 3. Hessischen Sozialbericht auch die Armutsquote. Als einkommensarm gilt jede Person, die mit ihrem Einkommen unter 60 % des mittleren Einkommens liegt. Seit 2006 ist die Armutsquote sowohl in Deutschland als auch in Hessen im Trend gestiegen, wobei zuletzt die Corona-Krise für eine deutliche Zunahme gesorgt hat. Dies gilt insbesondere für Hessen, hier liegt die Armutsquote seit dem Jahr 2018 sogar über dem gesamtdeutschen Wert.


Am 25. Februar 2023 wurde Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir auf dem Landesparteitag der Grünen zum Kandidaten für das Amt des Hessischen Ministerpräsidenten gewählt. Er begründete den Anspruch mit den Erfolgen seiner Partei in der Koalition mit der CDU: Man habe, so zitierte ihn die Hessenschau, „Hessen sozialer und ökologischer gemacht“.


Die Befunde des 3. Hessischen Sozialberichts widersprechen dieser Aussage zumindest mit Blick auf die soziale Entwicklung fundamental – und das obwohl die Grünen mit Kai Klose und Tarek Al-Wazir im Sozialministerium und im Wirtschaftsministerium für die Gestaltung der sozialen Verhältnisse in Hessen besondere Verantwortung tragen. Selbst wenn der Bund bei der Bewertung der Verteilungsentwicklung und den steuerpolitischen Entscheidungen einen deutlich größeren Einfluss hat als die Bundesländer, können sie über den Bundesrat auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen. Gesetzesinitiaven aus Hessen, etwa zur Wiedererhebung der Vermögensteuer, gab es in den vergangenen Jahren nicht.


Jenseits der Steuerpolitik existieren allerdings durchaus politische Einflussmöglichkeiten der Landespolitik auf die Verteilung. So kann eine Stärkung der Tarifbindung auf eine egalitärere Entwicklung der Löhne und damit der Haushaltseinkommen hinwirken: Durch eine höhere Tarifbindung werden mehr Beschäftigte nach Tarifvertrag bezahlt, was in der Tendenz niedrigen Löhnen entgegenwirkt und so gerade ärmeren Haushalten zu Gute kommt. Die entsprechenden Instrumente zur Stärkung der Tarifbindung sind auf der Landesebene die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, Tariftreue- und Vergabegesetze sowie die Verankerung sozialer Kriterien in der Wirtschaftsförderung.


Die Tarifflucht geht weiter

Während Allgemeinverbindlicherklärungen im Sozialministerium erfolgen, ist das Wirtschaftsministerium für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe und die Wirtschaftsförderung verantwortlich.
In allen drei genannten Bereichen fällt die Bilanz mangelhaft aus: Weder ist die Zahl von allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen gestiegen, noch verfügt Hessen über ein zeitgemäßes und wirksam kontrolliertes Tariftreue- und Vergabegesetz.  Soziale Kriterien wie die Entlohnung nach Tarifverträgen spielen im Rahmen der Wirtschaftsförderung keine Rolle.


Fazit: Insgesamt ist es durchaus positiv zu bewerten, dass Daten zur Verteilungslage durch das Hessische Sozialministerium erhoben und ausgewertet werden. Negativ schlägt allerdings zu Buche, dass aus der zunehmenden Spreizung der Einkommens- und Vermögensverteilung und einer steigenden Armutsquote keine Konsequenzen für das eigene politische Handeln gezogen werden.  


Kai Eicker-Wolf

Quelle: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration, 3. Hessischer Sozialbericht, Wiesbaden 2022.
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