Black Box „Mentoring"

Mentorentätigkeit nach der Novellierung des HLbG

HLZ Mai 2023: Soziale Arbeit

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass die Mentorentätigkeit zur Unterrichts- und Schulentwicklung beiträgt...

Dass das Lernen im Mentoring kein Selbstläufer ist, zeigen die Befunde einer qualitativen Studie, in der die Orientierungen von Mentor:innen im Vorbereitungsdienst zum Lehramt an Gymnasien rekonstruiert wurden. Dabei wurde ein Vergleich zwischen berufseinsteigenden Mentoren und berufserfahrenen Mentoren angestellt, in dem sich deutliche Unterschiede in der Zielorientierung ihrer Beratung herauskristallisierten. Berufseinsteigende Mentoren, also Lehrkräfte mit round­about drei Jahren Berufserfahrung, werden vorzugsweise um Unterstützung gebeten, da ihnen die formalen Anforderungen und Bewertungskriterien im Vorbereitungsdienst aus jüngster Erfahrung vertraut sind und sie sich in ihrer Beratung zur Unterrichtsplanung stark an der Ausbildungszielorientierung der Studienseminare orientieren.

Berufserfahrene Mentor:innen werden hingegen für eine prozess­orientierte Beratung der Referendare geschätzt. Sie beraten entwicklungsbezogen und sozialisieren die Mentees in die Schulkultur der Ausbildungsschule ein, die nicht selten mit den didaktischen und methodischen Anforderungen der Studienseminare in Konflikt gerät.

Es zeigt sich, dass Mentoring im Vorbereitungsdienst zum Lehramt an Gymnasien nur wenig mit dem reziprok angelegten Personalentwicklungsinstrument „Mentoring“ zu tun hat, wie es in Betrieben zu finden ist. Dort haben erfahrene Arbeitnehmer:innen die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen durch die Weitergabe an Jüngere zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Beim schulischen Mentoring findet man hingegen eher eine Lernbegleitung im Sinne der Berufsbildung, in der auf beiden Seiten des Tandems nicht selten Vorstellungen einer Meister-Lehrling-Beziehung zu finden sind. Dies ist im Mentoring in den Praxisphasen des Lehramtsstudiums noch stärker ausgeprägt, da die Praktikanten nur über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum an der Schule tätig sind, in dem sich kaum echte Mentoringbeziehungen entwickeln können.
Obwohl im Vorbereitungsdienst für ein Lehramt in Hessen mittlerweile eine halbe Entlastungsstunde für die Betreuung eines Referendars oder einer Referendarin gewährt wird, fehlt es an der in der Aufgabenbeschreibung für Mentor:innen ausdrücklich geforderten Kooperation mit den Ausbildenden an Studienseminaren und in beiden Ausbildungsphasen nach wie vor an Reflexionsmöglichkeiten. Begleitlehrkräfte in beiden Phasen der Lehrkräftebildung benötigen darüber hinaus Fortbildungsmaßnahmen, die über simple Instruktion in Bezug auf die Anforderungen des Vorbereitungsdienstes und der universitären Praxisphasen hinausgehen.

Andere Bundesländer wie Hamburg machen es vor: Sie bieten Mentor:innen umfassende Informationen zu ihrer Tätigkeit, Unterstützung in der Gesprächsführung sowie Einzel- und Gruppencoachings zur psychosozialen Beratung. Außerdem besteht ein Bedarf an Informationsveranstaltungen zum Schulrecht, denn nicht selten müssen Mentoren in Prüfungssituationen als Personen des Vertrauens insbesondere Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst in prüfungsrechtlichen Angelegenheiten beraten. Dafür sind hessische Mentor:innen in beiden Phasen der Lehrkräftebildung aber in keiner Weise qualifiziert.

Es zeichnet sich ab, dass sich diese Problematik zum Beispiel bei der Begleitung von Lehramtsstudierenden im Praxissemester nach der Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes (HLbG) verschärfen wird. In den kommenden Monaten werden die hessischen lehrkräftebildenden Universitäten neue Studien- und Praktikumsordnungen für die Lehramtsstudiengänge verabschieden, in denen die Begleitung von Studierenden durch Ausbildungsbeauftragte, z.B. durch Schulbesuche, nicht mehr verbindlich vorgesehen ist. Der Vorteil liegt auf der Hand: Dadurch können Fahrtkosten eingespart und unterrichtspraktische Beratungsanteile an die Mentoren an Ausbildungsschulen abgegeben werden.

Diese Sparmaßnahmen stoßen nicht an allen hessischen Universitäten auf Begeisterung: Beschäftigte in der Lehrkräftebildung der Universität Kassel prangern die Missstände in einem offenen Brief sehr deutlich an, insbesondere die drohende Mehrbelastung der Beschäftigten an Hochschulen und Ausbildungsschulen.

Die GEW Hessen unterstützt die Kritik an den geplanten Personalkürzungen und der Unterausstattung der Praxisphasen in Folge der Umsetzung der HLbG-Novelle. Den Offenen Brief findet man jetzt auch auf der Homepage der GEW Hessen.

Andrea Gergen

Andrea Gergen leitet gemeinsam mit Christina Nickel das Referat Aus- und Fortbildung im Landesvorstand der GEW Hessen.


Zum Weiterlesen verweisen wir auf die Veröffentlichungen von Andrea Gergen, die  zu diesem Thema erfolgreich promoviert wurde. Die HLZ schließt sich den Glückwünschen an.
A. Gergen (2022), Lernbegleitung durch Mentorinnen und Mentoren im Vorbereitungsdienst zum Lehramt. Praktiken der Berufsbildung in der gymnasialen Lehrkräftebildung. In: M. Schön & R. Arnold (Hrsg.). Lernbegleitung – Anmerkungen zu einem Modus pädagogischer Professionalität (S.101-114). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
A. Gergen (2023), Black Box „Mentoring im Referendariat“. Eine organisationspädagogisch-rekonstruktive Analyse.“ In: SEMINAR, 28 (4) (S.108-121). Bielefeld: wbv.