Im Gespräch mit Thomas Schell, Bürgermeister von Biebesheim am Rhein

HLZ September/Oktober 2023: Die Landtagswahl am 8. Oktober 2023

In der HLZ 3-4/2023 berichtete GEW-Finanzreferent Kai Eicker-Wolf über die vom Hessischen Rechnungshof (HRH) identifizierten „Ergebnisverbesserungspotenziale“ bei hessischen Kitas. Unter anderem schlägt der HRH vor, die Gruppengrößen heraufzusetzen und Gebühren wiedereinzuführen. Professor Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer kritisierte die Orientierung der HRH an den gesetzlichen Mindeststandards: „Der Rechnungshof muss die in Ausübung des Selbstverwaltungsrechts getroffene Entscheidung der Kommunen über die Qualität der Betreuung in ihren Kindertageseinrichtungen respektieren.“
Über diese und andere Fragen der Prüfpraxis des HRH sprach Kai Eicker-Wolf mit Thomas Schell (SPD), dem Bürgermeister von Biebesheim am Rhein. Im Wahlkreis 48 Groß-Gerau II kandidiert er bei der Landtagswahl am 8. Oktober 2023 für ein Direktmandat.

HLZ: Wann wurde Biebesheim vom Hessischen Rechnungshof geprüft und wie läuft so eine Prüfung ab?

Thomas Schell: Die Prüfungsanmeldung haben wir am 1. Dezember 2021 erhalten. Die Weiterleitung des Schlussberichts fand am 22. Mai 2023 statt. Also insgesamt hat sich das über eineinhalb Jahre hingezogen, wobei die konkrete Prüfung einen kürzeren Zeitraum umfasst hatte. Die Prüfung selbst erfolgt durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, begleitet durch die Ansprechpartnerin des Landesrechnungshofs. Üblich sind eigentlich auch Vor-Ort-Prüfungen, aber bedingt durch Corona fanden alle Besprechungen online statt. Uns wurde im Vorfeld mitgeteilt, welche Unterlagen wir vorlegen sollen. Die Prüfung erfolgte also faktisch auf Basis von Unterlagen, unseren Auskünften bzw. mittels Videokonferenzen.

Geprüft wird regelmäßig der Kita-Bereich. Was hat die Prüfung für Biebesheim ergeben?

Als Grundlage für die Prüfung wird im Kita-Bereich der durch das Land gesetzlich festgelegte Mindeststandard herangezogen. Wir haben in Biebesheim einen Beschluss der Gemeindevertretung, dass wir über diesen Mindeststandard hinausgehen – und zwar auch unabhängig davon, ob wir Integrationsmaßnahmen in den Kitas durchführen oder nicht. Uns ist es wichtig, dass eine gute pädagogische Arbeit in den Einrichtungen stattfinden kann. Und wir wollen nicht gleich Probleme bekommen, wenn krankheitsbedingte Ausfälle auftreten oder wenn Stellen zwischenzeitlich nicht besetzt sind. Wir wollen damit Einschränkungen im Gruppenbetrieb vermeiden. Auch bei überörtlichen Prüfungen der Vorjahre ist vom Rechnungshof herausgestellt worden, dass wir in den Kitas mit dem Personal über dem Mindeststandard liegen. Ich habe seinerzeit schon Rückendeckung durch die Gemeindevertretung erhalten: Es wurde ein einstimmiger Beschluss gefasst, der unsere Personalpolitik im Bereich der Kitas trotz der Hinweise des Rechnungshofs bestätigte. Wir hatten den aktuellen Schlussbericht des Rechnungshofs jetzt auch wieder in der Beratung und die Gemeindevertretung hat bei der Beratung in den Ausschüssen erneut hervorgehoben, dass wir unseren Personalschlüssel in unseren Kitas nicht auf den gesetzlichen Mindeststandard verschlechtern. Unsere Gremien haben da eine klare Haltung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung eingenommen. Das ist natürlich auch ein wichtiges Signal an unsere Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen, wenn wir sagen, dass wir unseren guten Standard weiter aufrechthalten.

Ich sehe es kritisch, einer Kommune durch die Orientierung an Mindeststandards ein Verbesserungspotenzial im Haushalt nahezulegen. Dem muss man entgegenhalten, dass wir mit guten Standards sinnvolle pädagogische Ziele verfolgen. Aus meiner Sicht ist es nicht richtig, die Arbeit in den Kitas nur aus einer wirtschaftlichen Perspektive zu betrachten. Es müssen doch auch die Folgen in den Blick genommen werden, wenn im pädagogischen Bereich mit einer sehr dünnen Personaldecke gearbeitet wird.

Der Rechnungshof prüft auch die allgemeine Verwaltung. Was hat die Prüfung denn da ergeben?

Hier werden vom Rechnungshof für Biebesheim ebenfalls sogenannte Verbesserungspotenziale ausgemacht, die bei uns laut dem aktuellen Schlussbericht vergleichsweise hoch ausfallen. Aber auch hier hinkt der vorgenommene Vergleich, da sich die ausgewählten Kommunen in ihrer jeweiligen Aufgabenstellung wie auch in der örtlichen politischen Zielsetzung unterscheiden. Das lässt sich an einigen Beispielen aufzeigen. So haben wir eine Feuerwehr, die größer ist als in vergleichbaren Kommunen, und das aus gutem Grund: Wir haben in Biebesheim unter anderem fünf Betriebe, die den erweiterten Pflichten der Störfallverordnung unterliegen. Das sind etwa Unternehmen aus dem Bereich der Sonderabfallentsorgung, Chemie und pharmazeutischen Industrie. Unsere Feuerwehr rückt zu über 100 Einsätzen im Jahr aus, wir haben einen größeren Fuhrpark und dafür eben auch einen höheren Verwaltungsaufwand. Zudem betreuen wir nach Deutschland geflüchtete Personen als Gemeinde und nicht der Landkreis. Wir haben diese Aufgabe auch nicht an freie Träger vergeben, sondern setzen das mit eigenem Personal um. Dann fällt unser kulturelles Angebot als Kommune vergleichsweise groß aus. Deshalb sind wir im Kulturamt personell sicher stärker besetzt als andere Kommunen. Ein gutes kulturelles Angebot ist nun einmal nur so möglich, und wir möchten diese Angebote im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung gerne für unsere Bürgerinnen und Bürger erbringen. Ein weiteres Beispiel ist unser Familienzentrum, das wir vor ein paar Jahren etabliert haben. Da standen wir auch vor der Entscheidung, ob wir das in eigener Trägerschaft realisieren wollen oder ob wir das an einen freien Träger abgeben. Es war eine bewusste politische Entscheidung, dass wir das selbst machen, um die Beratungs- und Begegnungsangebote in der Hand zu haben. Auch dafür ist eigenes Personal erforderlich. Das bedeutet unterm Strich mehr Personal und Personalausgaben im Bereich der Verwaltung und dafür weniger Ausgaben für externe Dienstleistungen.

Weil die Punkte, die ich aufgezählt habe, meines Erachtens wenig Berücksichtigung finden, vergleicht der Hessische Rechnungshof im Grunde Äpfel mit Birnen. Es gibt sicher auch sinnvolle Hinweise im Rahmen der Rechnungshof-Prüfungen, aber die Ermittlung der Ergebnisverbesserungspotenziale – sei es für die Kitas oder für die allgemeine Verwaltung – ist für die alltägliche Arbeit einer Kommune wenig hilfreich und steht zudem im Widerspruch zur kommunalen Selbstverwaltung, wonach Städte und Gemeinde derartige Angebote für ihre Bevölkerung unterbreiten können.

Wie sieht es denn bei den Einnahmen und der Finanzsituation in Biebesheim aus? Wie bewertet der Rechnungshof dort die Lage?

Bei der Grundsteuer B macht der Rechnungshof bei uns ein Ergebnisverbesserungspotenzial von 63.000 Euro aus. Auch das ergibt sich aus dem Vergleich mit den anderen geprüften Kommunen. Hier von einem „Ergebnisverbesserungspotenzial“ zu sprechen, ist reine Theorie. Warum sollten wir die Grundsteuer erhöhen, obwohl wir aktuell ausreichende finanzielle Liquidität haben? Wir haben als Gewerbestandort hier sicher mit Blick auf unsere Steuereinnahmen andere Rahmenbedingungen als viele andere Kommunen, deshalb fällt die Grundsteuer bei uns sehr niedrig aus. So etwas muss man doch auch im Blick haben und eher positiv hervorheben. Was die Beurteilung der Finanzlage unserer Kommune anbelangt, sehe ich die Rechnungshofbewertung als sehr fragwürdig an. Für das Jahr 2021 wurde uns ein Defizit von einer Million Euro attestiert und unsere Haushaltssituation in dem Jahr deshalb als instabil bewertet. Faktisch übertragen wir aus dem Jahr 2021 aber kein Defizit auf die Folgejahre, weil wir, wie es im Finanzplanungserlass des Landes vorgesehen ist, auf die außerordentliche Rücklage zurückgreifen. Diese - durch den Landesgesetzgeber wie gesagt erlaubte - Maßnahme zum Ausgleich der jahresbezogenen Defizite betrachtet der Hessische Rechnungshof als nicht sachgerecht. Ich finde, das geht nicht. Wenn Kommunen rechtlich zulässige Wege beschreiten, sollte dies der Rechnungshof nicht negativ belegen. Maßstab für die Prüfung des Rechnungshofes muss meines Erachtens das geltende Landesrecht sein und keine eigenmächtige Bewertung, die im Widerspruch zu den geltenden Finanzplanungserlassen steht.

Vielen Dank für das Gespräch.