Worten müssen Taten folgen!

Landesgruppe Hessen der Teachers For Future zum Koalitionsvertrag | HLZ 4-5

Die neue Koalition aus CDU und SPD bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag erfreulicherweise zu den „geltenden Klimaschutzzielen“: Genau einhundert Mal findet sich das Wort Klima im Koalitionsvertrag. Die Koalitionäre wollen sich „am 1,5-Grad-Ziel“ (S. 138) des Pariser Klimaabkommens orientieren und an den in der alten Koalition verabredeten Zielen festhalten. Das Hessische Klimagesetz und der integrierte Klimaschutzplan 2030 sollen weiter gelten. Hessen soll so weiterhin bis 2045 klimaneutral werden (S. 78, S. 145), die Landesverwaltung bereits 2030 (S. 139). Und die Koalition setzt neue Ziele: die Forderung nach einer „Klimaneutralen Hochschule“ (S. 31), ein „100.000 Dächer-“ und ein „100.000 Balkonkraftwerke-Programm“ (S. 148).

Als parteiunabhängige Landesgruppe Hessen von Teachers For Future sind wir der Überzeugung, dass diesen Worten Taten folgen müssen. Vereinbart worden ist, sich aus Gründen der Akzeptanz beim Klimaschutz „an der Lebenswirklichkeit der Menschen“ (S. 138) zu orientieren. Richtig ist, dass Klimaschutzmaßnahmen Akzeptanz benötigen. Falsch und populistisch klingt jedoch, sich an der „Lebenswirklichkeit“ orientieren zu wollen, wenn doch laut Koalitionsvertrag gleichzeitig das 1,5-Grad-Ziel als Orientierung gelten soll. Es gehört zu unserer „Lebenswirklichkeit“, dass die globale Durchschnittstemperatur in den Monaten von November 2022 bis Oktober 2023 bereits mehr als 1,3 Grad über dem vorindustriellen Niveau lag. Immer häufiger kommt es deshalb zu Extremwetterereignissen.

Die erklärte Absicht des Koalitionsvertrags, sich in der Klimapolitik an „Lebenswirklichkeiten“ orientieren zu wollen, die allerdings nicht konkret benannt werden, ist irritierend und erfüllt uns mit großer Sorge. Deshalb appellieren wir an die Koalition, insbesondere aber an die für Klimaschutz und Klimabildung verantwortlichen Ministerien:

  • Nehmen Sie ernst, dass der Klimabeirat der Hessischen Landesregierung unmissverständlich feststellt: Hessen ist wie ganz Deutschland noch lange nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad.
  • Orientieren Sie sich deshalb nicht an einer unvollständigen Interpretation von Lebenswirklichkeiten, sondern helfen Sie den Menschen, die Wirklichkeit der Erderhitzung und die uns zur Verfügung stehenden Lösungen zu verstehen und umzusetzen.
  • Füllen Sie in enger Kooperation aller Ministerien die Worte Ihres Koalitionsvertrages verantwortungsvoll und zum Wohl aller Bürgerinnen und Bürger, insbesondere der hessischen Schülerinnen und Schüler, mit Leben.

Wir Lehrkräfte sind bereit dafür, dass „sich den Schulen neue Aufgaben“ stellen (S. 6)! „Jede Zeit hat ihre Herausforderungen“, so beginnt der Koalitionsvertrag (S. 1). Die Aufgabe von Bildung im 21. Jahrhundert, in Anbetracht der im Koalitionsvertrag deutlich benannten Herausforderungen der Gegenwart, ist es, junge Menschen unter Berücksichtigung ihrer psychischen und emotionalen Gesundheit auf eine unstete und fragile Zukunft vorzubereiten und sie zugleich zu zukunftsfähigem Denken und Handeln zu befähigen. Damit die Hoffnung auf eine gute Zukunft nicht verloren geht, muss die Schule im Sinne des Whole School Approach selbst zum Ort gelebter Transformation werden.

Alle hessischen Schulen müssen mit einem finanziell hinterlegten Sofortprogramm mit der Landesverwaltung bis 2030 klimaneutral gemacht werden. Die Schulträger brauchen hierfür die Unterstützung der Landesregierung. Als Lehrerinnen und Lehrer fordern wir: Machen Sie Schulen zu Orten, in denen alle Schülerinnen und Schüler mit ihren Familien beobachten können, dass schneller, wirksamer und gerechter Klimaschutz möglich ist. Treffen Sie mutige Entscheidungen. So kann schon am Ende der ersten 100 Regierungstage in den drei Sektoren Energie, Ernährung und Klimabildung erkennbar werden, dass sich die neue Regierungskoalition den Herausforderungen des Klimawandels stellt.

Handlungsfeld Energie
Sorgen Sie durch Unterstützung der Schulträger dafür, dass jede hessische Schule

  • am Ende der Legislaturperiode, spätestens aber im Jahr 2030, entweder mit modernen Wärmepumpen beheizt wird oder an klimaneutrale Wärmeverbundnetze angeschlossen ist.
  • ihren Strombedarf aus erneuerbaren Energien decken kann, die nach Möglichkeit regional erzeugt wurden.
  • auf ihren Dachflächen und weiteren geeigneten Schulbereichen mit leistungsfähigen Photovoltaik-Anlagen ausgestattet wird.
  • Balkonphotovoltaik-Anlagen zur Energieversorgung und als Lernmittelanlagen betreibt.
  • zusätzlich zu Photovoltaik-Anlagen mit Energiespeichersystemen ausgestattet wird.
  • energetisch saniert wird. Beginnen Sie in den Schulen, die besonders schlechte Energiebilanzen vorweisen.
  • ein öffentlich wahrnehmbares Energieverbrauchs-, Energieerzeugungs- und Energiespeicherungsmonitoring betreiben kann.
  • durch effektive Hitzeschutzmaßnahmen Schutz vor Hitzewellen bietet.
  • durch die umgehende Behebung von Mängeln energiesparend betrieben werden kann.
  • ein Vorbild für die Förderung von E-Mobilität wird: Durch die Zusammenarbeit mit kommerziellen Anbietern können Schulparkplätze genutzt werden, um den Lehrkräften und der ganzen Nachbarschaft den Umstieg auf E-Mobilität zu erleichtern.
  • an ein sicheres Radwegenetz angeschlossen wird. Denn dem konventionellen Fahrrad und dem E-Bike ist Vorrang einzuräumen.

Sie haben es in der Hand! Das Land Hessen kann durch Unterstützung der Schulträger alle Schulen so ausstatten, dass sie als Vorbilder zeigen, was klimaschutztechnisch möglich und gesellschaftlich nachhaltig ist. Damit senken Sie nicht nur die Betriebskosten. Sie setzen ein sichtbares Zeichen und tragen dazu bei, dass Kinder und ihre Familien verstehen, dass Klimaschutz durch eine konsequente Energie- und Wärmewende auch in den privaten Haushalten machbar ist. Dem um sich greifenden Klimaschutzskeptizismus können hessische Schulen anschauliche und verstehbare Lösungen entgegenstellen.

Handlungsfeld Ernährung
Sorgen Sie durch Unterstützung der Schulträger dafür, dass

 

  • das Essen in Schulkantinen durch einen stark reduzierten Anteil tierischer Produkte sowie durch saisonale, regionale, biologische, faire, gesunde Angebote klimaneutral werden kann.
  • in Mensen und Schulkiosken nur plastikfreie und wiederverwendbare Verpackungen verwendet werden.
  • kostenlose Wasserspender zur Verfügung stehen.
  • begleitende Maßnahmen zur Ernährungsbildung im Regelunterricht angeboten werden.

Sie haben es in der Hand! Das Land Hessen kann durch Unterstützung der Schulträger alle Schulen so ausstatten, dass gesundes klimaschonendes Essen für alle Familien bezahlbar wird.


Handlungsfeld Klimabildung
Sorgen Sie in diesem Handlungsfeld dafür, dass

  • „die Kerncurricula“ nicht nur „der Fächer Sachunterricht, Geschichte sowie Politik und Wirtschaft“ (S. 12), sondern aller Fächer in Hinblick auf das Verstehen der Lebenswirklichkeit in der Erderhitzung ausgeschärft werden.
  • der Fokus auf die „Qualität der Aus-, Fort- und Weiterbildung unserer Lehrkräfte und der an Schule tätigen pädagogischen Fachkräfte“ (S. 16) gerade auch den Bereich Klimabildung umfasst.
  • nicht nur einige Schulen in Hessen nach eigener Vorleistung als Leuchtturm „Umweltschule“ zertifiziert werden. Vielmehr müssen alle hessischen Schulen beauftragt und befähigt werden, Klimaschulen zu werden.
  • Klimabildung vornehmlich im Regelunterricht stattfindet und durch außerschulische Angebote ergänzt wird.
  • die Planung und Durchführung eines Klimaschutztages an Schulen verpflichtend wird. Beginnen Sie damit im Jahr 2024 mit dem 8. Hessischen Tag der Nachhaltigkeit am 26. September.
  • sich bis Ende des Schuljahres 2023/2024 eine Arbeitsgemeinschaft aus Vertreterinnen/Vertretern der Kreisverwaltung, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern gründet, die den Auftrag erhält, Klimabildungsmaßnahmen in Schulen zu planen und durchzuführen.
  • alle Schulen Klimabildungssets für den Einsatz im Regelunterricht zur Ver­fügung gestellt bekommen. Ein Set be­steht aus einem Balkonkraftwerkmodul, einer Wetterstation und einem Experi­mentierkoffer für alternative Energie­quellen und kostet insgesamt etwa 2.500 Euro.
  • Lehrkräfte Schulungsangebote erhalten, um diese Klimabildungssets und andere Materialien qualifiziert nutzen zu können.
  • alle Maßnahmen transparent öffentlich dokumentiert werden, damit die Schulen, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitungen und Eltern Einblick in die geplanten Maßnahmen, Umsetzungsschritte und -fristen bekommen.

Die Koalitionäre haben Recht, wenn sie schreiben: „Mehr denn je erwarten die Menschen in unserem Land bei der Bewältigung der zentralen Herausforderungen ein neues Miteinander der politischen Kräfte und die Bereitschaft zu echten Lösungen“ (S. 2). Die Suche nach den „echten Lösungen“ wird nur dann erfolgreich sein, wenn die hessische Landesregierung die „Lebenswirklichkeit“ der Klimakrise wissenschaftsfundiert gestalten will.