Koalitionsvertrag: Sprachverbote

Wie eine Phantomdebatte Wirklichkeit werden soll | | HLZ Februar 2024

Entgegen des von populistischen Gruppen verbreiteten Gerüchts eines bevorstehenden Gender-Zwangs, wie er außer von der AfD auch von CDU und FDP im Wahlkampf heraufbeschworen wurde, gelten für Mitarbeitende an staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen bis dato keinerlei Verbote in der Nutzung verschiedener Schreibweisen. Dies soll sich laut Koalitionsvertrag von CDU und SPD, der unter dem Motto „Eine für alle“ steht, zukünftig ändern. Warum diese Vereinbarung keineswegs eine politische oder gesellschaftliche Verbesserung „für alle“ bedeutet und aus rechtlicher und demokratischer Perspektive sogar äußerst fragwürdig ist, soll unabhängig davon, welche Haltung jede*r Einzelne gegenüber dem sogenannten Gendern haben mag, in diesem Kommentar kurz angerissen werden.


Bei der Verwendung geschlechterinklusiver Sprache in Form von Sonderzeichen wie dem Genderstern (*), dem Doppelpunkt (:) oder dem Unterstrich (_) handelt es sich um eine Form der Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt. Durch die sprachliche Sichtbarmachung verschiedener in der Gesellschaft vorhandener Geschlechtsidentitäten gilt sie als Ausdruck einer diskriminierungsfreieren Kommunikation. Der gemäß des Koalitionsvertrags und der Ankündigungen des Kultusministeriums ab 2024 in Hessen möglicherweise drohende Punktabzug in Abiturprüfungen, Klausuren oder anderen Leistungsnachweisen von Schüler*innen, die Sonderzeichen zum Ausdruck einer vielfaltsgerechten Sprache nutzen, würde  daher mehr als nur eine Korrektur der Rechtschreibleistung darstellen, sondern in deren durch Sprache ausgedrückte inklusive Haltung eingreifen.


Ein solch ideologischer Eingriff in die individuelle Sprachverwendung von Lernenden und Lehrenden ist mit den Ansprüchen des Beutelsbacher Konsens und einer freiheitlichen Wertevermittlung nicht vereinbar. Für verbeamtete Lehrkräfte und Lehrende stellt es zusätzlich einen Widerspruch zu der im Beamtenstatusgesetz festgelegten Verpflichtung dar, sich durch ihr gesamtes Verhalten zu einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen und sich, wenn nötig für deren Erhalt einzusetzen (§ 33 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz). Hierzu zählt eben auch das sprachliche Handeln der Beamt*innen.


Abgesehen von solch einem angeordneten Bruch mit dem geleisteten Eid zum Schutze der Grundrechte hat das Land seinen Bediensteten sowie Lehrkräfte ihren Lernenden gegenüber eine Fürsorgepflicht. Diese gilt auch gegenüber intergeschlechtlichen Lehrkräften und Schüler*innen sowie weiteren im pädagogischen Kontext agierenden Personen, die sich der ohnehin in Bildungsinstitutionen vorherrschenden zweigeschlechtlichen Ordnung nicht zuordnen können oder wollen. Durch die angeordnete sprachliche Ausradierung wird die Sichtbarmachung und Adressierung von Menschen ohne oder mit dem Geschlechtseintrag divers unmöglich, was eine weitere gesellschaftliche Ausgrenzung bis hin zu einer steigenden Gewaltbereitschaft dieser Personengruppe gegenüber begünstigt. Mit der Festschreibung des Gender-Verbots für die öffentliche Verwaltung wären hiervon zudem in der Verwaltung Beschäftigte, aber auch Erziehungsberechtigte und weitere Personen, die landesweit in schriftlichem Kontakt mit der Verwaltung stehen, betroffen.


Das Verbot einer inklusiven Sprachverwendung in Hochschulen und öffentlicher Berichterstattung stellt ferner einen massiven Eingriff in die ebenfalls vom Grundgesetz geschützte Wissenschafts- und Pressefreiheit dar. Sowohl verschiedene Wissenschaftler*innen und Hochschulmitarbeiter*innen als auch der hessische Landesverband des Deutschen Journalistenverbands (DJV) und der hessische Rundfunkrat haben sich bereits gegen die geplante politische Einflussnahme positioniert.
 

Auszug aus dem Koalitionsvertrag:

Wir werden festschreiben, dass in Schulen auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt. (S. 12)
 
Wir werden festschreiben, dass in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt. Auf die Verwendung der sog. Gendersprache werden wir daher zukünftig landesweit verzichten. (S. 55)