Viele positive Ansätze

Zum Abschlussbericht der Enquête-Kommission Bildung

Pressekonferenz 20. April 2018

Foto von links: Fabian Pflume, Landesschülersprecher | Maike Wiedwald, Vorsitzende GEW Hessen | Tony C. Schwarz, stellvertretender Vorsitzender der GEW Hessen | Reiner Pilz, Vorsitzender des Landeselternbeirats

Die Landesschülervertretung, der Landeselternbeirat sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen haben sich am Freitag, 20. April, in Wiesbaden zu dem im März vorgelegten Abschlussbericht der Enquête-Kommission „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“ geäußert. Aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern, Eltern sowie Lehrkräften ist die Arbeit der Kommission insgesamt positiv zu bewerten und hebt sich damit deutlich von dem von der Landesregierung initiierten, 2015 gescheiterten „Bildungsgipfel“ ab. Der Abschlussbericht wird während der Plenarwoche vom 24. bis zum 26. April vom Hessischen Landtag diskutiert werden.

Als ein Feld, bei dem die Diskussion von allen Beteiligten als ausgesprochen sachlich und fruchtbar bewertet wird, ist das Thema Digitalisierung zu nennen. Parteiübergreifend wurde festgestellt, dass die Verbreitung von digitalen Medien im Alltag die schulische Bildung herausfordert. Der Bericht macht aber auch deutlich, dass alleine das Vorhandensein von digitalen Geräten im Unterricht nicht automatisch zu besseren Lernergebnissen führt, ja dass mitunter sogar negative Effekte beobachtet werden. Dazu äußerte sich Tony C. Schwarz, stellvertretender Vorsitzender der GEW Hessen wie folgt: „Die Große Koalition im Bund möchte fünf Milliarden Euro für die Verbesserung der digitalen Ausstattung von Schulen zur Verfügung stellen. Tatsächlich besteht in Hessen ein großer Nachholbedarf, denn an vielen Schulen ist die Ausstattung miserabel und oft nicht einmal WLAN vorhanden. Allerdings muss auch die entsprechende Fortbildung der Lehrkräfte sowie eine regelmäßige Wartung und Pflege von Hard- und Software sichergestellt sein. Außerdem darf die Digitalisierung nicht zum Einfallstor für die Interessen gewinnorientierter Großkonzerne aus der IT-Branche werden. Wie fragwürdig diese beispielsweise mit den Nutzerdaten umgehen, beweist der aktuelle Facebook-Skandal. Der Primat der Pädagogik muss Bestand haben: Mit digitalen Medien sollte nur, wie das für alle Unterrichtsmethoden gilt, reflektiert und pädagogisch begründet gearbeitet werden.“

Reiner Pilz, Vorsitzender des Landeselternbeirats, begrüßte es insbesondere, dass sich der Abschlussbericht intensiv mit dem Thema der Bildungsgerechtigkeit auseinandersetzt. Der Anspruch, kein Kind zurückzulassen, war nicht ohne Zufall bereits im Namen der Enquête-Kommission verankert. Der Bericht setzt sich nun unter anderem mit den relevanten Themenfeldern Bildungserfolg und Schulversagen sowie Heterogenität und individuelle Förderung auseinander. „Wissenschaft und Politik bestätigen nunmehr die seit langer Zeit vom Landeselternbeirat aufgestellten Forderungen: Multiprofessionelle Teams, strukturierte Förderprogramme, eine hochwertige Lehreraus- und -fortbildung sowie der Ausbau gebundener Ganztagsschulen können einen erheblichen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Diese wichtigen Befunde müssen in der Zukunft zur Richtschnur hessischer Bildungspoltik werden“, so Reiner Pilz.

Maike Wiedwald, Vorsitzende der GEW Hessen, bedauerte, dass der Abschlussbericht hinsichtlich des Themas Ganztagsschule bereits von der Presse missverstanden wurde: „Leider war schon in der Presse zu lesen, dem Kommissionsbericht zufolge gebe es keine messbaren positiven Auswirkungen von Ganztagsschulen. Zudem bestehe kein nennenswerter Bedarf an gebundenen, rhythmisiert arbeitenden Ganztagsschulen. Das ist sachlich falsch und steht – zum Glück – so auch nicht in dem Abschlussbericht: Die Ganztagsschule hat zweifelsohne messbare positive Auswirkungen auf das soziale Lernen. Leistungssteigerungen durch den Ganztag sind nicht so einfach zu erfassen, sie benötigen aber auch mehr Zeitkontingente und vor allem qualitativ besser ausgestattete Ganztagsschulen, als wir sie in Hessen haben. Auch wenn einer etwas älteren Erhebung zufolge ‚nur‘ ein knappes Drittel der Eltern in Hessen eine gebundene Ganztagsschule wünscht, so ist der Bedarf damit doch offensichtlich viel größer als das Angebot. In Hessen besucht schließlich mit etwa fünf Prozent bundesweit der kleinste Anteil der Schülerinnen und Schüler eine solche echte Ganztagsschule.“

Landesschülervertretung, Landeselternbeirat und GEW Hessen erkennen übereinstimmend in dem Abschlussbericht viele gute Ansatzpunkte für die zukünftige Bildungspolitik des Landes. „Wir hätten uns erhofft, dass auch das Kultusministerium und die Koalition auf die intensive inhaltliche Arbeit der Enquête-Kommission zurückgreifen. Leider war davon nicht viel zu sehen, beispielsweise bei der im letzten Jahr durchgezogenen Novellierung des Schulgesetzes. Wir hoffen, dass sich die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, auch nach der im Oktober anstehenden Landtagswahl, auf die Arbeit der Kommission besinnen werden – zum Wohle von Schülerinnen und Schülern und aller an Schule Beteiligten!“, resümierte der Landesschülersprecher Fabian Pflume abschließend.

Zum Hintergrund: Die Enquête-Kommission wurde 2014 vom Hessischen Landtag einberufen und hatte den Auftrag, „eine umfassende Bestandsaufnahme der Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern in Hessen vorzunehmen, deren Rahmenbedingungen zu beleuchten und mögliche Perspektiven ihrer Weiterentwicklung zu skizzieren“. Dabei haben nicht nur die beteiligten Parlamentarierinnen und Parlamentarier mitgewirkt, sondern auch zahlreiche Expertinnen und Experten sowie viele Verbände. Auch die Landesschülervertretung, der Landeselternbeirat und die GEW Hessen haben jeweils mehrere schriftliche oder mündliche Stellungnahmen zu den von der Kommission durchgeführten Anhörungen eingereicht. Darüber hinaus haben sie sich als sogenannte „ständige Teilnehmer“ mit beratender Stimme in die Kommissionsarbeit eingebracht. Im März legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor, der die inhaltlichen Ergebnisse zu zahlreichen Themenfeldern präsentiert und zudem übereinstimmende wie auch ergänzende Handlungsempfehlungen der einzelnen Landtagsfraktionen darlegt (Drucksache 19/6222).