Sozialpädagogische Familienhilfe während Corona

„Wir sind selbst gefordert, uns sichtbar zu machen.“

Steve arbeitet seit 11 Jahren als Sozialpädagogischer Familienhelfer bei einem freien Träger in Frankfurt und ist dort auch Mitglied des Betriebsrates. Er engagiert sich in der Fachgruppe Sozialpädagogische Berufe der GEW Hessen und ist Mitglied im Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik.

Das Interview mit ihm fand Ende August statt.

Frage: Wie hat sich dein Arbeitsalltag unter den Pandemiebedingungen verändert?

Das war schon eine große Umstellung, wobei es zum Teil von den Kolleginnen und Kollegen recht unterschiedlich gehandhabt wurde. Es gab einige, die weiter versucht haben ihre Klientinnen und Klienten aktiv aufzusuchen und andere, die – vielleicht weil sie selber einer Risikogruppe angehören – das weniger getan haben. Die Kommunikation von Vorgaben,  zum Beispiel des Gesundheits- oder Jugendamtes,  durch unseren Arbeitgeber habe ich als  gut empfunden. Uns wurde gesagt, die Begegnungen, die normalerweise „face to face“ stattfinden, soweit wie möglich zu minimieren und zu versuchen, auf andere Kommunikationsformen auszuweichen. Manche Kolleginnen und Kollegen hatten noch alte Tasten-Handys. Mein Eindruck war, dass die Pandemie noch mal den letzten Anschub gegeben hat, dass letztlich alle ein Dienst- Smartphone bekommen haben, um dann mit entsprechenden Apps das Gegenüber beim Gespräch auch sehen zu können oder sich Unterlagen zeigen lassen zu können, die bearbeitet werden mussten.

Am Anfang war es gar nicht so leicht im Team zu kommunizieren, unsere wöchentliche Teamsitzung  hat erst nach rund einem Monat wieder „online“ stattfinden können. Teamsitzungen, auch Supervision, sind natürlich extrem wichtig in einer Arbeitssituation, in der du oft ganz allein bist, höchstens mal einen Tandempartner oder Tandempartnerin hast.

Es gab, wie gesagt, die Anweisung der Fachbereichsleitung, Kontakte zu minimieren und es wurde abgefragt, ob man zu einer Risikogruppe gehöre. Bei mir trifft das zu, und mir wurde von der Teamleitung gesagt, wenn ich den Eindruck hätte, es müsse unbedingt einen direkten Kontakt mit den Klienten oder Klientinnen geben, das  dann eine Vertretung hingehen müsse. Ich fand diesen Umgang sehr gut und fühlte mich gut geschützt.

Vom Jugendamt aus, dürfen „face to face“- Kontakte noch immer minimiert  werden. Ich habe aber den Eindruck, dass im Rahmen der allgemeinen Öffnungen in Kitas und Schulen, sich auch bei uns etwas geöffnet hat. Ich treffe Klientinnen und Klienten zumindest im Büro wieder direkt, um Dokumente zu bearbeiten oder miteinander sprechen zu können.

Unsere Betriebsvereinbarung  zum Schutz von Risikogruppen sieht für alle, die ein Attest vorlegen, individuelle und kurzfristig erstellte Gefährdungsbeurteilungen vor, um den besonderen Schutz dieser Personen zu gewährleisten. Fälle, in denen Druck ausgeübt wurde sind mir nicht bekannt; im Gegenteil gab es wohl eher Anfragen der Kolleginnen und Kollegen selbst, ob man nicht endlich wieder „face to face“ arbeiten könne. Es gibt wohl auch einige, die zu einer Risikogruppe gehören, die kein Attest vorgelegt haben, aus welchen Gründen auch immer – Angst vor Stigmatisierung, schlechtes Gewissen gegenüber anderen Kollegen und Kolleginnen, eine andere Risikobewertung….

Frage: Wie ist die Stimmung bei dir und deinem Team?

In der heißen Phase des „lockdowns“  war das sogenannte Homeoffice schon eine hohe Belastung, allein auf sich gestellt und ohne Erfahrung mit einem Arbeitsalltag, in dem sich Privatsphäre und Arbeit vermischen.

Das Thema Kurzarbeit ist aufgetaucht, dann aber für die Sozialpädagogische Familienhilfe nicht so von Bedeutung gewesen, da die Arbeitsabläufe sich zwar verändert haben, die Hilfen selbst aber nicht in Frage standen. Ansonsten haben wir im Betrieb eine Betriebsvereinbarung  zu Kurzarbeit abgeschlossen, die eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 100 % des Lohns durch den Arbeitgeber vorsah, das musste aber schlussendlich nicht abgerufen werden.

Frage: Wie hat sich die Lebenssituation der Klientinnen und Klienten verändert?

Es scheint, als ob es in dem Bereich unseres Teams, also der direkten Kontakte zu Familien mit denen wir arbeiten, während Corona keine Zunahme von Kindeswohlgefährdungen – wie zuerst befürchtet wurde – gab. Das kann jetzt aber natürlich keine allgemeine Aussage sein. Wir hatten sogar den Eindruck, dass für einige Familien eher eine Art Entspannung eingetreten ist. Die sonstigen alltäglichen Anforderungen, die von Behörden, Schule, etc. gestellt werden - dieser Druck ist erstmal weggefallen. Für einen Jugendlichen mit Problemen in der Schule ist es unmittelbar eine Entlastung, wenn die dann geschlossen ist.

Eine Herausforderung für die Familien und auch für uns ist, dass die Behörden keinen normalen öffentlichen Besucherverkehr zulassen. Das ist aus Infektionsgründen natürlich nachvollziehbar und gut, bringt aber zusätzlichen Druck; es ist einfach noch schwieriger als sonst, irgendwo durchzukommen und mit einer zuständigen  Ansprechperson etwas zu klären. Dabei muss man bedenken, dass viele Klientinnen und Klienten nicht so sprachmächtig sind…

Frage: Wie haben die Klientinnen und Klienten auf die veränderten Begegnungen reagiert?

Ganz unterschiedlich. Sehr kommunikative Personen haben keine Probleme gehabt auf Telefongespräche auszuweichen, sondern haben sich einfach weiter mitgeteilt. Bei denjenigen, die verbal eher zurückhaltend sind, ist das schon schwieriger. Mit einer Klientin koche ich öfter zusammen, die gemeinsame Tätigkeit ist wichtig und das Reden findet dann eher erst einmal nebenbei statt. Wenn das wegfällt, ist man bei einem rein telefonischen Kontakt schnell an einer Grenze angelangt.

Da ist auch Kreativität gefragt, um in Kontakt zu bleiben. Eine Kollegin ist beim Telefonieren spazieren gegangen und hat dabei Bilder von Blumen an ihre Klientin verschickt,  um ins Gespräch  zu kommen. Je nach Kreativität der Beteiligten, gab es sogar ganz schöne Geschichten zu berichten.

Frage: Wie sind die Perspektiven, welche Wünsche hast du?

Na ja, die eine spannende Frage, die sicherlich alle bewegt ist, wie geht es weiter mit der Pandemie? Was ist im Herbst, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen sollten und auch noch andere Infektionen dazukommen? Unsere Leitungen machen sich Gedanken, wie damit umzugehen ist, wenn die Möglichkeit zu Lüften wegfällt oder schwieriger wird. Ich bin gespannt wie das weitergeht und wünsche mir sehr, dass es weiterhin möglich bleibt, sich direkt zu begegnen. Notfalls muss es aber auch möglich sein, wieder verstärkt oder ausschließlich auf Kontakt via Smartphone umzusteigen, ohne dass dies vom Arbeitgeber oder vom Jugendamt dann in Frage gestellt wird.

Das andere wichtige Thema ist für mich die Tarifauseinandersetzung. Ich bin bei einem Träger, der mit seinem Tarifvertrag dynamisch an den TVöD angebunden ist. Die Arbeitgeber sagen, dass die Kassen leer sind und möchten am liebsten eine Nullrunde mit langer Laufzeit machen. Es ist sicherlich nicht ganz einfach für die Kommunen in der Pandemie, aber unser Bereich ist ja in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gerade verwöhnt worden, deswegen trage ich die Forderungen der Gewerkschaften mit und bin bereit, dafür auf die Straße zu gehen. Die weitergehenden Themen wie Arbeitszeitverkürzung, die Bedingungen Sozialer Arbeit und ähnliches sind jetzt ein bisschen in den Hintergrund getreten, aber deswegen finde ich umso mehr, dass finanziell wenigstens etwas rumkommen muss.

Ich wünsche mir auch, dass sich aus dem Bereich der Sozialen Arbeit mehr Kolleginnen und Kollegen organisieren. Es ist sicherlich ein sehr diverser Bereich und das trägt vielleicht dazu bei, dass es nicht leicht fällt, sich gemeinsam füreinander einzusetzen. Aber das ist, glaube ich, trotzdem die Voraussetzung, um etwas zu verbessern. Wir sind selbst gefordert, uns sichtbar zu machen, übrigens auch innerhalb der Fachgruppe der GEW.

Frage: Systemrelevanz, dieser Begriff ist oft auf Kitas, die Pflege und Schule angewandt worden, weniger auf andere Soziale Arbeit, stört dich das?

Das liegt auch an uns selbst, wenn wir uns nicht organisieren. Durch die verschiedenen Arbeitsfelder, sei es stationär, ambulant oder im Schichtdienst in Wohnheimen, ist es schwerer,  gemeinsame Forderungen zu stellen. Vielleicht färbt die Marginalisierung, die unsere Klientinnen und Klienten häufig betrifft, auch ein wenig auf uns ab und wir tun uns schwer, ohne falsche Scham, für unsere Interessen einzutreten. Sich aber für eine Verbesserung der eigenen Lage und bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen, ist für mich letztlich immer auch ein Schritt, eine bessere Arbeit für die Klientinnen und Klienten leisten zu können, auf dass sich auch ihre Situation verbessern möge.     

Frage: Das ist doch ein schönes Schlusswort, oder?

Jetzt fällt mir doch noch ein: die Tarifbindung ist ganz wichtig bei dieser ganzen Trägervielfalt. Dem Lohndumping in unserem Bereich zu begegnen, das geht nur darüber, die einzelnen Träger in eine Tarifbindung zu bringen. Und das wiederum gelingt nur, wenn die Leute sich vor Ort zusammentun. Das haben wir bei uns im Betrieb in der Vergangenheit hingekriegt, ich würde mir noch wünschen, dass wir in naher Zukunft, sprich bei den anstehenden Verhandlungen zum Jahreswechsel, auch die Vollanwendung des TVöD erreichen.

Lieber Steve, vielen Dank für Deine Zeit und für das Gespräch.

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