Kein "Plan B" beim Schulstart

Brief der Vorsitzenden am 17. August 2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute beginnt die Schule wieder. Wir vermissen noch immer einen ‚Plan B‘ des Kultusministers. Der Wunsch vieler Eltern nach einer Rückkehr zum schulischen Normalbetrieb  ist allzu verständlich und er wird von allen Lehrerinnen und Lehrern und weiteren pädagogischen Fachkräften geteilt. Aber angesichts der zuletzt deutlich angestiegenen Infektionszahlen, gerade bei Jüngeren, wird auch das kommende Schuljahr nach wie vor unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie stehen. In den Bundesländern, die bereits vor uns aus den Sommerferien zurückgekehrt sind, mussten bereits nach wenigen Tagen erste Schulen wieder geschlossen werden. Wir brauchen sicheren Schutz. Erst auf zunehmenden gesellschaftlichen Druck hin hat der Kultusminister bezogen auf eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände und im Schulgebäude noch einmal nachgesteuert. Das ist zumindest ein Anfang, nicht alle brenzlichen Entscheidungen immer an die Schulleitungen abzuschieben. Doch es ist und bleibt der beste Infektionsschutz, genügend Abstand zu halten. Und genau hierfür werden wir auch weiter eintreten.

Es ist gut, dass die Landesregierung die Möglichkeit für freiwillige Testungen von Landesbeschäftigten geschaffen hat. Jetzt muss diese Möglichkeit kostenlos aber auch allen beim Schulträger Beschäftigten inklusive der Teilhabeassistenzen oder von Einrichtungen der Jugendhilfe in der Schule eröffnet werden. Dabei muss allen bewusst sein, dass diese Maßnahme keinen ausreichenden Infektionsschutz bedeutet und auch über den Herbst hinaus ermöglicht werden muss.

Bezüglich der Handhabung von Kolleginnen und Kollegen aus Risikogruppen hat das hessische Kultusministerium beibehalten, dass ein Attest des Hausarztes und nicht des Amtsarztes benötigt wird. Das Kultusministerium rechnet damit, dass rund 6 Prozent aller Lehrkräfte zur Risikogruppe gehören und nicht am Präsenzunterricht teilnehmen werden. Erste Rückmeldungen aus den Schulen zeigen aber, dass sich auch sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die einer Risikogruppe angehören, dafür entschieden haben, Präsenzunterricht durchzuführen. Im Bereich des Schulamtes Kassel sind es gerade einmal 2 Prozent der Lehrkräfte, die – aus berechtigten Gründen – nicht im  Präsenzunterricht arbeiten. Das zeigt deutlich die pädagogische Verantwortung und das Engagement der hessischen Lehrkräfte. Umso mehr ist es erforderlich, dass für alle Kolleginnen und Kollegen mit einer besonderen Gefährdung alle gewünschten Schutzmaßnahmen bereitgestellt werden. Dazu gehören Gesichtsvisiere oder durchsichtige Masken, die auch im Unterricht getragen werden können. Hinzu kommen gegebenenfalls auch Spuckschutz, große Klassenräume sowie die Berücksichtigung der Wünsche beim Unterrichtseinsatz oder bei den Aufsichten.

Außerdem fordern wir die Rücknahme der am vorletzten Ferientag gelockerten Vorgaben bezüglich der Rückkehr von Schülerinnen und Schülern, die als Verdachtsfall, auf Grund einer Reise in ein Risikogebiet oder nach einem positiven Test vom Unterricht ausgeschlossen werden. Die Regelung im Hygieneplan 4.0 vom 24. Juli 2020 muss wiederhergestellt werden. Dieser zufolge war eine Rückkehr in den Präsenzunterricht nur zulässig, „wenn die Bescheinigung eines Arztes oder des Gesundheitsamts vorliegt, die bestätigt, dass die Schülerin oder der Schüler untersucht und ein Verdachtsfall ausgeschlossen ist.“

Weitere Infos rund ums das Thema Corona findet ihr in unseren FAQ

Der Lehrkräftemangel hat mit der Corona-Pandemie nichts zu tun. Er bestand bereits vorher, tritt  aber jetzt umso deutlicher zu Tage!

Seit Jahren fordert die GEW Hessen, mehr Lehrkräfte einzustellen und auszubilden. Jahrelang hat die Landesregierung den Lehrkräftemangel bestritten und konkrete Maßnahmen unterlassen, sodass nun insbesondere (aber nicht nur) an den Grundschulen viele Lehrkräfte fehlen. Und auch in diesem Jahr stehen nur noch vereinzelt Kolleginnen und Kollegen auf der Rangliste für die Grundschulen. Rund ein Viertel der gut 1.600 Gymnasiallehrkräfte, die sich über die Rangliste beworben haben, hat eine Bereitschaftserklärung abgegeben, beim Start in den Beruf mit dem  größten Teil der Stunden an der Grundschule zu arbeiten. Mit dieser Bereitschaft war die Möglichkeit einer vorrangigen Einstellung verbunden, die jedoch am Gymnasium oder an einer Gesamtschule erfolgt. . An den hessischen Grundschulen werden also im neuen Schuljahr Berufsanfängerinnen und -anfänger mit der Besoldungsstufe A13 von sehr erfahrenen Kolleginnen und Kollegen mit der Besoldungsstufe A12 eingearbeitet. Eine absurde Situation! Deswegen gerade jetzt: A13 für alle Grundschullehrkräfte!

Weitere Infos zu den Positionen der GEW Hessen zu den unterschiedlichen Maßnahmen zum Lehrkräftemangel findet ihr auf der Seite "Lehrkräftemangel".

Wir setzen uns schon lange für eine bessere digitale Ausstattung für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte ein. Trotz Digitalpakt und Sondermaßnahmen kam davon bisher wenig an den Schulen an. Zwar bekommen alle Beschäftigten des Landes Hessen an den Schulen jetzt  eine dienstliche Emailadresse, doch müssen sie dafür weiter ihre privaten Endgeräte benutzen. Wo bleiben die dienstlichen Endgeräte, wie sie in anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden? In den letzten Ferientagen musste Kultusminister Lorz außerdem eingestehen, dass sowohl die Ausweitung der Kapazitäten des Schulportals als auch die Bereitstellung eines nicht kommerziellen Videokonferenzsystems mindestens noch ein halbes Jahr auf sich warten lassen.

Zum Thema Inklusion hat sich die Landesregierung nicht einmal mehr geäußert. Schade, dass die Kinder, ihre Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer nicht im Fokus ministeriellen Handelns des Hessischen Kultusministeriums stehen. Die Chancengleichheit hat unter Corona-Bedingungen weiter abgenommen. Wir setzen uns weiterhin für Chancengleichheit und Bildung für alle ein. Das Lernen – insbesondere das soziale Lernen – muss im Mittelpunkt von Schule stehen. Schule muss als sozialer Ort für alle wieder erlebbar werden. Dazu müssen Spielräume in den Bildungsplänen und Curricula geschaffen werden. Nach der Verunsicherung durch die Corona-Krise muss Druck herausgenommen werden,  Bildungspläne und Curricula müssen neu festgelegt werden. Wir brauchen die Möglichkeit zu mitbestimmten Projekten, in denen auch die Erfahrungen aus der Corona-Zeit verarbeitet werden können.

Die durchweg positiven Erfahrungen mit dem Lernen in kleinen, festen Gruppen müssen aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Besonders intensiv kann gelernt und gearbeitet werden, wenn die kleinen Gruppen mit zwei Pädagoginnen und Pädagogen besetzt sind. Die im Corona-Sondervermögen eingestellten Mittel in Höhe von 150 Millionen Euro für die Einstellung zusätzlicher TV-H-Kräfte sollte unbedingt für Doppelbesetzungen, Gruppenteilungen und Förderunterricht genutzt werden. Gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes böten kleine Lerngruppen bei hohem Infektionsgeschehen die Möglichkeit, Präsenzunterricht mit Abstand weiterhin durchzuführen.

Für uns ist völlig klar, dass es in diesem Schuljahr keinen durchgehenden Regelbetrieb geben kann und wird. Es wird sehr wahrscheinlich immer wieder zu Phasen von Lernen auf Distanz zu Hause im Wechsel mit Präsenzunterricht kommen. Hierfür werden Stufenpläne gebraucht, wie und was bei welchem Stand des Infektionsgeschehen an den Schulen greifen könnte. Jetzt sind das Kultusministerium und die Landesregierung gefordert, diese endlich anzugehen und umzusetzen.

Das neue Schuljahr startet heute unter den schwierigsten Bedingungen und hat für uns alle die Schule als Lernort sehr verändert, sogar vielfach auf den Kopf gestellt. Lernen soll Spaß machen, Kreativität befördern und ermutigen, stark und selbstbewusst zu sein. Hierfür brauchen wir engagierte Lehrkräfte und einen guten Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Wir wünschen trotz dieser ungewöhnlichen und unwägbaren Situation allen einen guten Schulstart und viel Gesundheit. Lasst uns gemeinsam weiterhin für mehr Schutz und bessere Bedingungen in der Bildung für alle eintreten.

Bleibt gesund!

Birgit Koch                                                    Maike Wiedwald                                        Tony Schwarz