Corona: Jugend und Jugendarbeit

Benno Hafenegger resümiert die ersten empirischen Studien

HLZ 4/2021: Personalratswahlen

Der folgende Abdruck der Zusammenfassung der bisher vorliegenden empirischen Studien erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag aus der folgenden Veröffentlichung des Wochenschau-Verlags: Benno Hafeneger: Jugend und Jugendarbeit in Zeiten von Corona. Wochenschau Verlag 2021. 56 Seiten. 9,90 Euro

Erste empirische Studien zum Umgang mit Corona und den Folgen wurden zwischen Juli und Dezember 2020 vorgelegt. Der Umgang mit der Corona-Zeit bzw. den Lockdownphasen, die Erfahrungen während der Corona-Maßnahmen waren und sind – dies zeigen die empirischen Befunde – unterschiedlich, weil es die Jugend als homogene Gruppe nicht gibt, sondern Jugenden im Plural mit allen ihren altersbezogenen, sozialen und kulturellen Differenzierungen. Dazu zählen insbesondere die unterschiedlichen sozialen Lebens- und Wohnbedingungen und häuslichen und materiellen Ressourcen sowie die Zeitbudgets von Erwachsenen mit mehr oder weniger schützenden Umgebungen und sicheren Beziehungen. 

Erste und zweite JuCo-Studie

In der ersten JuCo-Studie (1) heißt es mit Blick auf die in vielen Bereichen hohen Zufriedenheitswerte:  

„Es zeigt sich aber auch, dass trotz guter sozialer Beziehungen und Kontakte die persönliche Situation von jungen Menschen oftmals mit Einsamkeitsgefühlen, Verunsicherung und Überforderung einhergeht.“ 

Nach der zweiten im Dezember 2020 vorgelegten JuCo-Studie erklärten 46 Prozent der befragten 15- bis 30-Jährigen, Angst vor der Zukunft zu haben, ein Drittel fühlte sich einsam und belastet, hatte finanzielle Nöte und andere Sorgen. Etwa 80 Prozent vermissten soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten. Zwei Drittel hielten die Regeln für sinnvoll, dabei meinten etwa zwei Drittel zugleich, dass sie bei den Regelungen nicht einbezogen sind und auf sie mit ihren Sorgen nicht geachtet wird.

Studie der DAK

Nach der im Juli vorgestellten Studie der DAK (2) haben in der Zeit des Lockdowns die Zeiten für Online-Spiele und Social-Media-Aktivitäten zugenommen: Im Vergleich zum Herbst 2019 haben die Spielzeiten bei Kindern und Jugendlichen werktags um 75 Prozent zugenommen, bei fast 700.000 sei das Gaming riskant. Die Gamingzeiten stiegen von September 2019 bis Mai 2020 werktags von 79 auf 139 Minuten, am Wochenende auf 193 Minuten pro Tag; die Social-Media-Zeiten stiegen von 116 auf 193 Minuten pro Tag. Als Motive für Gaming und Social Media wurden angegeben: Langeweile bekämpfen, soziale Kontakte aufbauen, Stress abbauen und der Realität entfliehen. 

COPSY-Studie 

Nach der im Juli 2020 vorgelegten COPSY-Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (3) fühlten sich mehr als 70 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie psychisch belastet; danach haben Stress, Angst und Depressionen zugenommen. Eine Anfang August vom Universitätsklinikum Leipzig vorgelegte Studie zeigte zu den psychosozialen Folgen, dass die Schulschließungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen aus den sozial schwächeren Schichten zu Verlusten der Lebensqualität geführt haben. Mit dem Fehlen der Tagesstruktur hätte die Nutzung elektronischer Medien zugenommen. Vermisst würden die Schule und die Gleichaltrigen (FAZ vom 4. 8. 2020). 

Sinus-Jugendstudie

Die Ende Juli vorgelegte Sinus-Jugendstudie – eine Studienreihe, die seit 2008 regelmäßig durchgeführt wird und jetzt die vierte empirische Bestandsaufnahme zur Frage „Wie tickt die junge Generation?“ vorgelegt hat – befasst sich in einem Kapitel mit der Corona-Krise (4). Gefragt wurde im März und April, wie diese wahrgenommen wird und welchen Einfluss sie auf Zukunftsper­spektiven, politische Interessen und Gesundheitsverhalten hat. Danach wird – bei allen Differenzierungen – generell ein „gedämpfter Zukunftsoptimismus“ diagnostiziert und dass die junge Generation ernster geworden ist. Bedeutsam ist für sie weniger die subjektive Betroffenheit, aber sie nimmt die Pandemie ernst und ist in ihrem Verhalten von Solidarität, sozialer und gesundheitlicher Verantwortung geprägt. Zwar sind junge Menschen von der Einschränkung der persönlichen Freiheit und ihrer Freizeitmöglichkeiten „genervt“, aber gleichzeitig arrangieren sie sich mit den Einschränkungen, stellen der Politik ein gutes Zeugnis aus und haben Vertrauen zu den Akteuren.

PISA-Sonderauswertung

Eine Ende September vorgelegte Pisa-Sonderauswertung (5) zeigt, dass deutsche Schulen beim digitalen Lernen immer noch unter dem internationalen Durchschnitt liegen; nicht einmal die Hälfte der Schülerinnen und Schüler hatte demnach Zugang zu Online-Lernplattformen. Die Corona-Krise hat die Ungleichheit der Bildungssysteme in Europa und weltweit sowie innerhalb des deutschen Bildungssystems mit Blick auf die Digitalisierung als Ressource für gleiche Lern- und Erfolgschancen nochmals besonders deutlich gemacht und offengelegt. 

TUI-Jugendstudie 2020

Die Ende Oktober von der TUI-Stiftung vorgestellte „Jugendstudie 2020“ (6) kommt zu dem Ergebnis, dass 52 Prozent der jungen Deutschen zwischen 16 und 26 Jahren die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung angemessen finden und unterstützen, 83 Prozent halten sie ein. Sie tun dies vor allem, um die Gesundheit der Mitmenschen sowie die eigene Gesundheit zu schützen. Für 22 Prozent der männlichen Jugendlichen und 15 Prozent der weiblichen Jugendlichen sind die Maßnahmen eher übertrieben. Gleichzeitig bleibt der Klima- und Umweltschutz weiterhin das zentrale politische Thema der jungen Generation. Weiter zeigt die Studie, dass jungen Menschen insbesondere das Homeschooling und Homeoffice schwergefallen sind. Dazu kommen außerdem die Reduzierung der sozialen Kontakte (42 Prozent), Einschränkungen in der Freizeit wie Sport oder Restaurantbesuche (40 Prozent) oder auch der Verzicht auf Reisen und Urlaub (32 Prozent). Ein im Dezember 2020 vorgelegtes Gutachten des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich Einsamkeitsgefühle verstärkt haben. In der ersten Phase der Coronakrise im Frühjahr 2020 sei dies von den älteren Menschen deutlich weniger empfunden worden als von jüngeren. Von den 1994 Geborenen klagten 62 Prozent – bei geschlossenen Schulen, Hochschulen, Jugendtreffs, verbotenem Sport und verbotenen Partys – über Einsamkeitsgefühle (https.//www.sovd.de). 

16. Kinder- und Jugendbericht

Der 16. Kinder- und Jugendbericht (7) verweist mit Blick auf die Beschränkungen und das Homeschooling auf die Belastungs- und Stresserscheinungen. Er kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass mit dem Homeschooling der jungen Menschen Räume verschwinden, „die ihnen zuvor außerhalb der Familie selbstständige und autonome Bildungs- und Aneignungsprozesse ermöglicht haben, während die digitalen Räume – mit all den damit verbundenen Ambivalenzen – erhalten bleiben und an Bedeutung gewinnen“. Soll Homeschooling „gelingen“, dann kommt es auf die Rahmenbedingungen des familiären Lebens und die zur Verfügung stehenden Ressourcen an; sie entscheiden „über die Potenziale der Krisenbewältigung und die Fähigkeiten zur Selbstorganisation“:

„Insgesamt führten die Lockdown-Maßnahmen dazu, dass soziale Ungleichheiten in Bezug auf Bildungschancen junger Menschen nicht nur sichtbarer geworden sind, sondern auch verstärkt wurden. Die Fähigkeiten und Ressourcen der Eltern zur Begleitung der ungewohnten Lernsituation spielten über alle Altersgruppen hinweg eine entscheidende Rolle (…). Der Bildungsraum junger Menschen ist durch die pandemisch veränderte Lernsituation deutlich ungleicher und undemokratischer geworden.“ (S.518)


(1) Sabine Andresen u.a.: Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo, Hildesheim Universitätsverlag 2020.
(2) DAK-Studie: Gaming, Social Media & Corona: Mediensucht. Hamburg 2020.
(3) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE): COPSY-Studie – Wie Kinderseelen durch Corona leiden, Hamburg 2020 (abrufbar als PDF).
(4) M. Calmbach u.a.: Sinus-Jugendstudie 2020 – Wie ticken Jugendliche? Bundeszentrale für politische Bildung Bonn.
(5) Pisa-Sonderauswertung der OECD: Deutsche Schulen schwächeln bei digitaler Ausstattung. (abrufbar als pdf)
(6) TUI Group: Junge Deutsche: Solidarisch gegen Corona und für mehr Europa. Jugendstudie der TUI Stiftung. (abrufbar als PDF)
(7) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 16. Kinder- und Jugendbericht. Berlin 2020.