Was will der Landesrechnungshof?

GEW deckt Berechnungsfehler auf

Alle Jahre wieder legt der Hessische Rechnungshof (HRH) seinen Kommunalbericht vor. Nach dem Gesetz zur Regelung der überbehördlichen Prüfung kommunaler Körperschaften in Hessen (ÜPKKG) muss der HRH der Frage nachgehen, „ob die Verwaltung der hessischen Gemeinden, Städte und Landkreise rechtmäßig, sachgerecht und wirtschaftlich geführt wird“. Nach § 3 Absatz 1 ist auch zu prüfen, ob bei Investitionen „der voraussichtliche Bedarf berücksichtigt“ wird. Auf dieser Grundlage müsste der Rechnungshof sich eigentlich mit dem Zustand der kommunalen Infrastruktur befassen. Beleuchtet werden müssten dann auch die vielen maroden Schulen in Hessen, da die 21 Landkreise, die fünf kreisfreien Städte, die Sonderstatusstädte Fulda, Gießen, Hanau, Marburg und Rüsselsheim sowie die kreisangehörigen Städte Kelsterbach und Oestrich-Winkel in Hessen als Schulträger für die Bauinvestitionen im Schulbereich zuständig sind.

Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres, am 13. Dezember, ist der neue Kommunalbericht 2018 erschienen (1). Dieser ignoriert erneut den massiven Investitionsstau im Schulbereich – und dies trotz der regelmäßigen Berichterstattung zu diesem Thema in den Medien. Überdies wird mit keinem Wort der gravierende Fehlschluss erwähnt, der im Kommunalbericht des vergangenen Jahrs zu finden war. Zunächst soll auf diesen Fehlschluss eingegangen werden, bevor dann die einschlägigen Ausführungen im aktuellen Kommunalbericht thematisiert werden.

Der Fehler im Kommunalbericht 2017…
In seinem Kommunalbericht 2017 war der HRH zu dem Ergebnis gekommen, dass die Investitionen der Kommunen in Hessen beständig und mit großem Abstand an der Spitze aller Flächenländer stünden. Als Beleg wurde eine Studie der Bertelsmann-Stiftung angeführt, die neben kommunalen Investitionen in den Kernhaushalten auch noch jene der sogenannten Extrahaushalte und der sonstigen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (sonstige FEUs) im Besitz der Kommunen berücksichtigt. Relevant sind vor allem die sonstigen FEUs: Diese gelten als Marktproduzenten, da ihr Eigenfinanzierungsgrad über Marktumsätze größer als 50 Prozent ist. Auf dieser Basis zog der HRH die Notwendigkeit weiterer Investitionsprogramme des Landes zu Gunsten der Kommunen in Hessen ganz grundsätzlich in Zweifel.

Die GEW Hessen und der DGB Hessen-Thüringen haben diesen vom HRH präsentierten Zahlen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen energisch widersprochen. Grundlage war ein Arbeitspapier der GEW, das im vergangenen Jahr in der April-Ausgabe der HLZ vorgestellt wurde (2). Dort wurde auch der Fehlschluss aus der Bertelsmann-Studie benannt, die die sehr hoch ausfallenden Investitionen einer einzelnen Institution berücksichtigt, die zwar sämtlich in Hessen erfasst, aber zum Teil in anderen Bundesländern und womöglich außerhalb von Deutschland realisiert werden. Bedauerlicherweise war es seinerzeit nicht möglich, diese Institution zu identifizieren. Sie verzerrt den hessischen Wert durch ein Investitionsvolumen in Höhe von 100 bis 200 Prozent der Investitionen in den kommunalen Kernhaushalten aber in einem so erheblichen Ausmaß, dass die Schlussfolgerungen des HRH unhaltbar sind.

… und seine wahren Hintergünde
Am 18. Dezember 2018 hat das Statistische Bundesamt erstmals eine Liste der sonstigen FEUs vorgelegt. Diese Liste umfasst weit über 16.000 FEUs. Unter den FEUs in Hessen befinden sich auch Tochtergesellschaften der Dekabank wie die Deka Immobilien GmbH, die im Immobilienbereich tätig sind. Aus Datenschutzgründen konnte uns die Identität der gesuchten Institution nicht bestätigt werden; es ist jedoch extrem wahrscheinlich, dass es sich um eben jene Deka Immobilien GmbH handelt. Die DekaBank ist das Wertpapierhaus der Sparkassen. Ihr Gesamtvermögen beläuft sich auf 288 Milliarden Euro, darunter ein verwaltetes Immobilienvermögen in Höhe von 36,3 Milliarden Euro (3). Allein in den vergangenen Jahren belief sich das Transaktionsvolumen (An- und Verkäufe) im Immobilienbereich auf 22,4 Milliarden Euro, davon Ankäufe im Gesamtvolumen von 16,5 Milliarden Euro.

Dieser weltweit erfolgende Ankauf und Verkauf von Immobilien wird über die Deka Immobilien GmbH getätigt. Gegenwärtig befinden sich 511 Immobilien in 25 Ländern auf fünf Kontinenten im Eigentum der DekaBank. Diese Immobilien bilden die Grundlage für private und institutionelle Anleger, die in Immobilienfonds der DekaBank investieren wollen. Alle Ankäufe von Immobilien im In- und Ausland werden zu den Investitionen der kommunalen sonstigen FEUs gezählt: Dies hat sowohl das Statistische Bundesamt als auch das Statistische Landesamt Hessen auf Anfrage bestätigt.

Das heißt im Klartext: Internationale Immobilienkäufe der DekaBank in Paris, Boston, San Francisco oder London erhöhen den Wert der kommunalen Investitionen in Hessen ganz erheblich, wenn auch die sonstigen kommunalen FEUs einbezogen werden.

Trotz dieser Tatsachen findet man zu der Fehlinterpretation der Zahlen und zu den daraus gezogenen Schlussfolgerungen im neuen HRH-Bericht kein Wort, allerdings auch kein Wort der Kritik an den Darstellungen von GEW und DGB. Der HRH schweigt seinen Fehler und seine unhaltbaren Schlussfolgerungen einfach tot, als wäre das entsprechende Kapitel 2017 nie verfasst worden.

Investitionsstau weiterhin geleugnet
Damit kommen wir zum aktuellen Kommunalbericht 2018. Zwar finden sich in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Kommunalberichts kurze Ausführungen zur kommunalen Investitionstätigkeit (4), doch gleichzeitig wird abermals in Zweifel gezogen, dass es überhaupt einen Investitionsstau auf der kommunalen Ebene gibt. Der Schulbereich wird in diesem Zusammenhang mit keiner Silbe erwähnt. Der HRH hat zwar recht, dass für die Ebene der Bundesländer keine Zahlen zu den Nettoinvestitionen (Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen durch Verschleiß) verfügbar sind, doch für Deutschland insgesamt gibt es verschiedene statistische Befunde, aus denen ein Verschleiß der kommunalen Infrastruktur seit der Jahrtausendwende herauszulesen ist.

So beziffert das KfW-Kommunalpanel, bei dem eine Umfrage im Auftrag der KfW-Bankengruppe hochgerechnet wird, den kommunalen Investitionsstau in ganz Deutschland auf 159 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 48 Milliarden Euro auf den Schulbereich einschließlich der Erwachsenenbildung (5). Für einzelne Bundesländer sind leider keine Zahlen verfügbar. Da die Bruttoinvestitionen der Kommunen in Hessen im Vergleich zu den anderen Bundesländern unterdurchschnittlich ausfallen, muten die Ausführungen des Rechnungshofs aber einigermaßen abenteuerlich an. Auch die für einige kreisfreie Städte und Landkreise in Hessen vorliegenden Zahlen zum Investitionsstau im Schulbereich müsste der Rechnungshof kennen (6).

Geradezu grotesk wird es, wenn der HRH in seiner Pressemitteilung zum Kommunalbericht 2018 beispielhaft auf die Stadt Wiesbaden verweist: Hier werde deutlich mehr investiert als abgeschrieben, die Reinvestitionsquote liege bei 170 Prozent. Gerade in Wiesbaden besteht jedoch ein hoher Investitionsstau. Allein im Schulbereich beläuft sich dieser nach Angaben der Stadt auf über 400 Millionen Euro. In Wiesbaden sind viele Schulen in sanierungsbedürftigem Zustand.

Leitbild „Schlanker Staat“
Es gehört zum finanzpolitischen Allgemeinwissen und zur leidvollen Erfahrung der Mitglieder von Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen: Bei finanziellen Engpässen schränken die Kommunen zuallererst ihre Investitionstätigkeit ein, da diese Ausgabenkategorie im Gegensatz zu anderen vergleichsweise flexibel erhöht und gesenkt werden kann. Marode Schulen und der generelle Investitionsstau auf der kommunalen Ebene sind eindeutige Indizien dafür, dass Probleme auf der Einnahmenseite, nicht auf der Ausgabenseite bestehen. Deshalb müsste die Forderung nach strukturellen Einnahmeverbesserungen in den Mittelpunkt rücken. Das widerspräche allerdings diametral der vom HRH verfolgten Linie, die Kommunen zu Ausgabenkürzungen und auch zum Personalabbau zu drängen, um dadurch den jeweiligen Haushalt zu sanieren.

Bei seinen Kürzungsvorschlägen im Personalbereich macht der Rechnungshof dabei selbst vor den Kindertageseinrichtungen nicht halt. So hat er in seinem Kommunalbericht 2016 auf Grundlage der gesetzlichen Mindestausstattung den Bereich der Kinderbetreuung geprüft und pädagogische Aspekte explizit ausgeschlossen. Damit aber prüft er nicht sachgerecht, obwohl dies, wie am Anfang des Artikels zitiert, sein gesetzlicher Auftrag ist. Das führt dann zu einem Ergebnis, das unter Beachtung des Kriteriums „Sachgerechtigkeit“ ganz anders ausfallen würde: Wenn pädagogische Aspekte in Form von angemessenen Personalschlüsseln Berücksichtigung fänden (es gibt entsprechende und begründete Empfehlungen durch die pädagogische Forschung und z.B. auch von der EU), dann könnte der Rechnungshof nicht für einen Personalabbau eintreten, sondern müsste mehr Personal im Bereich der Kinderbetreuung verlangen. Letztlich interpretiert der Rechnungshof auch in diesem Fall – genau wie beim Umgang mit der Frage des Investitionsrückstands – den ihm vorgegebenen gesetzlichen Auftrag selbst und schränkt ihn eigenmächtig ein.

Keine sachgerechte Prüfung
Fazit: Durch seine permanenten Forderungen nach ausgabenseitigen Konsolidierungsmaßnahmen und seinen Umgang mit dem Thema Kommunale Infrastruktur und mangelnde Investitionstätigkeit vermittelt der HRH letztlich den Eindruck, dass er eine eigene Agenda verfolgt und sich dabei dem Leitbild eines „schlanken Staates“ verpflichtet fühlt. Wie dies aus dem eigentlich klar festgelegten gesetzlichen Prüfauftrag abgeleitet werden kann, bleibt das Geheimnis der verantwortlichen Akteurinnen und Akteure.

Kai Eicker-Wolf und Achim Truger


(1) Kommunalbericht 2018 (https://rechnungshof.hessen.de > Veröffentlichungen > Kommunalbericht)
(2) Kai Eicker-Wolf und Achim Truger: Wie notwendig sind kommunale Investitionsprogramme in Hessen?, Finanzpolitisches Arbeitspapier Nr. 2 der GEW Hessen, Frankfurt 2018.
(3) Alle Angaben finden sich auf der Homepage der DekaBank www.deka.de/immobilien.
(4) Pressemeldung des HRH vom 13. Dezember 2018 (https://rechnungshof.hessen.de > Presseservice > Pressemeldungen)
(5) KfW Research, KfW-Kommunalpanel 2018, Frankfurt 2018.
(6) Kai Eicker-Wolf und Achim Truger, a.a.O.