Urteil zur Schuldenbremse

Energiewende gefährdet, vertiefte soziale Spaltung droht | HLZ Februar 2024

 

Das Bundesverfassungsgericht fällt am 15. November 2023 sein erstes Urteil zur Auslegung der Schuldenbremse – und sorgt damit bei der Ampel-Koalition in Berlin für haushaltspolitisches Chaos. Auswirkungen hat das Urteil nicht nur für den Bund, sondern auch für die Bundesländer.


Das von den Bundestagsabgeordneten der Union erstrittene Verfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse bezieht sich auf zwei Nachtragshaushalte des Bundes für das Jahr 2021. Für den ersten, im April 2021 auf den Weg gebrachten Nachtragshaushalt setzte die Bundesregierung das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse aus. Begründet wurde die damit einhergehende Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro mit der Notsituation aufgrund der Corona-Pandemie. Dieser Vorgang war grundgesetzkonform und folglich auch nicht Streitpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht.


Allerdings wurden diese 60 Milliarden Euro zur Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen letztlich doch nicht benötigt. Da die Regierung Scholz die Kreditermächtigung nicht ungenutzt lassen wollte, beschloss sie einen zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021. Die Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro sollte zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen und der Energiewende durch den Klima- und Transformationsfonds (KTF) dienen. Beschlossen wurde der zweite Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 erst zu Beginn des Jahres 2022.


Verfassungsgericht legt Schuldenbremse eng aus

Gegen die Übertragung der Kreditermächtigung auf den KTF, bei dem es sich um ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes handelt, erhoben die Bundestagsabgeordneten der CDU Verfassungsklage – was im Ergebnis dazu führte, dass das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt für nichtig erklärte. Insbesondere drei Punkte führte das Bundesverfassungsgericht als Begründung an:

  • Die Bundesregierung habe keinen begründeten Zusammenhang zwischen der Notsituation der Pandemie und dem zweiten Nachtragshaushalt hergestellt. Eine solche Begründung aber sei umso mehr erforderlich, je weiter der eigentliche Auslöser der Notsituation zurückliege.
  • Die Kreditaufnahme des Staates sei nach Jahren getrennt zu ermitteln, außerdem müsse die Kreditermächtigung und die auf dieser Grundlage dann erfolgende tatsächliche Aufnahme der Kredite in demselben Jahr erfolgen.
  • Und schließlich, so der dritte Punkt, müsse ein Nachtragshaushalt bis zum Ende des entsprechenden Haushaltsjahres aufgestellt werden.


Damit hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal strengere Maßstäbe zur Interpretation der Schuldenbremse formuliert als der hessische Staatsgerichtshof, der im Herbst 2021 das Sondervermögen der schwarz-grünen Landesregierung nach einer Klage von SPD und FDP gekippt hatte. Betroffen von dem aktuellen Urteil ist auf Bundesebne nicht nur der KTF, sondern auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert.


Da auch Bundesländer wie Bremen, das Saarland oder Berlin mit vergleichbaren Konstruktionen wie der Bund Sondervermögen in Milliardenhöhe zur Finanzierung von klimapolitischen Maßnahmen und der Energiewende beschlossen oder zumindest geplant haben, hat das Urteil Folgen über die Ebene des Bundes hinaus: Vermutlich sind auch diese Sondervermögen nicht mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vereinbar.


Kurzfristig Gefährdung der Konjunktur …

Das Urteil löste heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Bundesregierung über die Folgen für den Bundeshaushalt aus. Für das Jahr 2023 wurde kurz vor Weihnachten die Aussetzung des Kreditaufnahmeverbots der Schuldenbremse beschlossen, um so die Voraussetzungen für einen Nachtragshaushalt zu schaffen. Begründet wurde dies mit zwei Notlagen: Dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen sowie den Schäden aus der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Auf dieser Grundlage konnten für das Jahr 2023 insbesondere die Hilfsgelder aus dem WSF auf eine sichere Finanzierungsgrundlage gestellt werden.


Für das Jahr 2024 hat sich die Ampel-Koalition auf Ausgabenkürzungen verständigt – insbesondere die FDP wollte das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse nicht nochmals aufheben. Damit begibt sich die Bundesregierung auf einen klassischen pro-zyklischen finanzpolitischen Kurs, der die bereits schlechte Konjunkturlage zusätzlich verschärfen wird.
 

… langfristig Gefährdung von Zukunftsinvestitionen

Jenseits der aktuellen Konjunkturlage gefährdet das Urteil wichtige Zukunftsinvestitionen. So erfordern zum einen Klimaschutz und Energiewende erhebliche Mittel, und zum anderen weist die staatliche Infrastruktur einen erheblichen Investitionsstau auf. Dieser beläuft sich allein im Bereich der Bildungsinfrastruktur auf 120 Milliarden Euro. So weist das aktuelle KfW-Kommunalpanel einen bundeweiten Investitionsbedarf von rund 12 Milliarden Euro für die Kitas und von gut 47 Milliarden Euro für die Schulen aus. Noch größer ist der entsprechende Betrag im Bereich der Hochschulen – der Wissenschaftsrat nennt hier eine Summe von 60 Milliarden Euro beim Hochschulbau.


Darüber hinaus betrifft das Bundesverfassungsgerichtsurteil potenziell auch andere, gesellschaftlich wichtige Ausgabenbereiche der öffentlichen Hand. Denn wenn etwa zusätzliche Klimaschutzinvestitionen aus den laufenden Steuereinnahmen bezahlt werden sollen, steht weniger Geld für andere Bereiche zur Verfügung. Ins Visier geraten dann schnell soziale Ausgaben, wie die Debatte um die Aussetzung der Bürgergelderhöhung für das Jahr 2024 gezeigt hat. Kürzungen bei den Sozialleistungen aber treffen die sozial Schwachen, vergrößern die Ungleichverteilung der Einkommen weiter und gefährden so den sozialen Zusammenhalt.


Handlungsoptionen

Um die Energiewende und generell höhere Investitionen zu finanzieren, werden in der aktuellen Debatte verschiedene Überlegungen angestellt. So wird in einigen Bundesländern offensichtlich darüber nachgedacht, angesichts des Klimawandels jedes Jahr den Notstand auszurufen. Auf diese Weise würde das Kreditaufnahmeverbot der Schuldenbremse immer wieder aufs Neue suspendiert. Es erscheint aber zweifelhaft, dass dieser Weg verfassungsrechtlich Bestand haben würde.


Generell könnten staatliche Investitionen durch rechtlich selbständige Institutionen (GmbH, Aktiengesellschaft, Anstalt des öffentlichen Rechts) getätigt werden, die der öffentlichen Hand gehören. Allerdings werfen solche Konstruktionen immer die Frage nach der demokratischen Kontrolle auf, da hier die Parlamente als Haushaltsgesetzgeber außen vor sind.


Für den Bund käme auch die Verankerung eines Sondervermögens für Investitionen in die Energiewende im Grundgesetz in Frage – solche Überlegungen lehnen sich an das Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr an. Verfassungsrechtlich wäre ein solches Vorgehen unproblematisch. Erforderlich wäre hierfür aber eine Zweidrittelmehrheit, die unter den aktuellen politischen Vorzeichen relativ utopisch erscheint.


Eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes wäre auch für eine Abschaffung des Kreditaufnahmeverbots für staatliche Investitionen notwendig, die von immer mehr Ökonominnen und Ökonomen gefordert wird. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte sich mit Monika Schnitzer sogar die Vorsitzende des Sachverständigenrats für eine entsprechende Reform ausgesprochen.


Besonders hart ging Anfang des neuen Jahres die in den USA lehrende deutsche Ökonomin Isabella Weber mit der Schuldenbremse ins Gericht. Auf Überlegungen von Weber geht die „Gaspreisbremse“ zurück. Der Sparkurs der Bundesregierung sei wirtschaftspolitischer Wahnsinn, das Festhalten an der Schuldenbremse ernte unter internationalen Ökonominnen und Ökonomen verschiedener Couleur Kopfschütteln: „Die Schuldenbremse allen notwendigen Investitionen überzuordnen und eine Rezession hinzunehmen, destabilisiert Wirtschaft und Gesellschaft.“ Die 2009 beschlossene Schuldenbremse, so Weber, sei 14 Jahre lang nichts anderes als eine Zukunftsbremse gewesen.


In Hessen nichts Neues …

Gänzlich unbeeindruckt von der öffentlichen Debatte und der immer lauter werdenden Kritik an der Schuldenbremse zeigt sich die neue hessische Landesregierung aus SPD und CDU. Sie sieht diesbezüglich keinen Handlungsbedarf: Im Koalitionsvertrag findet sich das Bekenntnis, grundsätzlich an der Schuldenbremse festhalten zu wollen. Aufgrund „massiver Herausforderungen“ wird ein Zwang zur Haushaltskonsolidierung – sprich Einsparungen – ausgemacht, um finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen zu schaffen. Angesichts der beiden neuen Koalitionsparteien ist eine solche Positionierung nicht unbedingt verwunderlich: Dem Vernehmen nach ging das von der hessischen SPD im Verbund mit der FDP vor dem Staatsgerichtshof niedergeklagte Corona-Sondervermögen auf eine Idee der Grünen zurück, während die CDU dem Vorhaben eher skeptisch gegenüberstand.