Ein Blick in die Länder

Voraussetzungen für die Einstellung und Qualifizierungsangebote

HLZ 1/2020: Lehrkräftemangel in Hessen

Der jährliche Bericht der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern weist seit 2013 einen massiv ansteigenden Anteil von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern aus (siehe Tabelle). 2018 wurden in Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen jeweils mehr als 1.000 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger eingestellt, fast 500 waren es in Niedersachsen. Kai Eicker-Wolf geht im Folgenden der Frage nach, wie solche Qualifizierungsangebote in anderen Bundesländern aussehen, welche Voraussetzungen bei der Einstellung gefordert werden und wie die Perspektiven für den Erwerb eines Lehramts und einer entsprechenden Gleichstellung aussehen.

In der Regel ist die Voraussetzung für den Seiteneinstieg an allgemeinbildenden Schulen ein Hochschulabschluss (Master, Diplom, Magister), aus dem zwei Schulfächer abgeleitet werden können. Während der Ausbildungsphase werden Ermäßigungsstunden gewährt, das heißt, es muss nicht die volle Pflichtstundenzahl unterrichtet werden. Darüber hinaus ist es in der Regel auch möglich, die Arbeitszeit im Tausch gegen entsprechende Gehaltseinbußen in einem gewissen Umfang zu reduzieren. Damit enden allerdings auch schon die Gemeinsamkeiten – schon die Programme in den vier Bundesländern mit den meisten Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern fallen sehr unterschiedlich aus. (2)

In Sachsen beginnt der Seiteneinstieg mit einer dreimonatigen Einstiegsfortbildung. Die schulpraktische Ausbildung dauert zwölf Monate. Fehlt ein einschlägiges Schulfach, muss dies an zwei Tagen in der Woche an einer der drei Universitäten nachstudiert werden. Anders in Berlin: Muss hier ein Fach nachgeholt werden, muss ein berufsbegleitendes „Studium“ in dem Studienzentrum der Senatsverwaltung STEPS vor dem Referendariat erfolgen. Es handelt sich hierbei nicht um ein Hochschulstudium, sondern um eine berufsbegleitende Weiterbildung. Relativ neu in Berlin ist das Qualifizierungsprogramm QuerBer. Dieses sechsmonatige Programm müssen alle belegen, die nur ein studiertes Fach nachweisen können. Auch ohne diese Voraussetzungen ist es möglich, auf Antrag das QuerBer-Programm zu absolvieren.

Nordrhein-Westfalen wartet gleich mit zwei Programmen für den Seiteneinstieg auf: zum einen dem Programm gemäß der Ordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern und der Staatsprüfung (OBAS) und zum anderen mit der Pädagogischen Einführung. Das OBAS-Programm ist ein berufsbegleitender Vorbereitungsdienst für Schulformen der Sekundarstufe I und II. In der Grundschule ist der Seiteneinstieg über OBAS nicht möglich. Voraussetzungen für diesen Seiteneinstieg sind ein nicht-lehramtsbezogenes Universitätsstudium und eine daraus ableitbare Ausbildungsfähigkeit in zwei Fächern. Im Anschluss daran muss sich eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit oder eine mindestens zweijährige Kinderbetreuungszeit angeschlossen haben.

Die so genannte Pädagogische Einführung ist für alle allgemeinbildenden Schulen inklusive der Grundschulen vorgesehen. Voraussetzung ist hier ein Universitäts- oder ein Fachhochschulabschluss. Die durch die Pädagogische Einführung zu erwerbende Qualifizierung ist die Unterrichtserlaubnis für ein Fach (ohne Erwerb der Lehramtsbefähigung). Sie teilt sich in eine zwei- bis dreimonatige Orientierungsphase und eine neunmonatige Intensivphase.

In Niedersachsen firmiert das Seiteneinstiegsprogramm unter dem Titel Direkter Quereinstieg. Voraussetzung ist auch hier ein Hochschulabschluss mit Mastergrad. Die fachwissenschaftliche Ausbildung muss mindestens einem Unterrichtsfach als Lehrbefähigungsfach zuzuordnen sein. Für das zweite Lehrbefähigungsfach müssen fachbezogene Inhalte mindestens durch Teilprüfung nachgewiesen werden. Die niedersächsische GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth hält das Programm allerdings für wenig attraktiv, breche doch die Hälfte wieder ab: „Nirgendwo werden Quereinsteiger so ins kalte Wasser geworfen wie in Niedersachsen.“ (3)

Die gestiegene Größe der Jahrgänge der schon jetzt geborenen Kinder im Vorschulalter wird in den kommenden Jahren zu einer weiteren Verschärfung des Lehrkräftemangels führen. (4) Angesichts dieser Lage sollte die hessische Landesregierung ihre Einstellungspolitik im Schulbereich dringend überdenken. Vertretungslehrkräfte sind sicherlich als schlechteste Lösung zu sehen, da sie für die Beschäftigten keine längerfristige Perspektive eröffnet. Sinnvoll erscheint die Entwicklung eines Seiteneinsteigerprogramms, das fachlich angemessen ausgebildeten Personen zu einem großen Teil vor Beginn der Lehrtätigkeit eine möglichst umfangreiche pädagogische und fachdidaktische Ausbildung ermöglicht. Daneben sollte für die bereits jetzt im Schuldienst tätigen Vertretungslehrkräfte durch Fortbildungsmaßnahmen eine dauerhafte Möglichkeit der Beschäftigung geschaffen werden.

Einstellung von Lehrkräften im öffentlichen Schuldienst

Jahr

gesamt

Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger

Anteil

2013

29.155

698

2,4 %

2014

29.922

1.040

3,5 %

2015

34.488

1.508

4,4 %

2016

36.104

3.020

8,4 %

2017

34.359

4.324

12,6 %

2018

36.084

4.798

13,3 %

Quelle: Kultusministerkonferenz

 

Dr. Kai Eicker-Wolf, Referent für finanzpolitische Fragen

(1) Martin Klesmann, Ohne Studium oder Abitur: Immer mehr Unqualifizierte unterrichten an Berliner Schulen, in: Berliner Zeitung vom 7. 6. 2019.
(2) Kurzübersicht zu den vier Bundesländern von Jürgen Amendt, Notlösung wird zum Dauerzustand, in: E&W 09/2018.
(3) GEW: Die Hälfte der Quereinsteiger als Lehrer bricht die Ausbildung ab, in: Rundblick. Politikjournal für Niedersachsen vom 6. August 2018.
(4) vgl. u.a. Klaus Klemm/Dirk Zorn, Steigende Schülerzahlen im Primarbereich: Lehrkräftemangel deutlich stärker als von der KMK erwartet, Paderborn 2019.