Tagung der Bildungsgewerkschaft „45 Jahre ‚Radikalenerlass‘“
Kassel – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Landesregierungen und Landtage gemahnt, die Berufsverbote-Opfer des sog. „Radikalenerlasses“ von 1972 endlich zu rehabilitieren und zu entschädigen. Die Bildungsgewerkschaft verwies auf das positive Beispiel des Landes Niedersachsen. „Es wird Zeit, das Berufsverbotsthema politisch und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Politische und juristische Fehlentscheidungen, die im Zuge dieser Arbeiten festgestellt werden, müssen in Vorschlägen für Rehabilitationsmaßnahmen und Entschädigungsleistungen münden. Das ist ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Stärkung der Demokratie und der demokratischen Kultur“, betonte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Sonntag nach einer Tagung ihrer Organisation zum Thema „45 Jahre ‚Radikalenerlass‘: Aus der Geschichte lernen – Betroffene rehabilitieren – Zivilcourage stärken – politische Bildung aufwerten!“ in Kassel. Sie erläuterte, dass sich der sog. „Radikalenerlass“ zwar formal gegen Links- und Rechtsextremisten gerichtet habe, in der Praxis aber politisch Aktive des linken Spektrums, darunter viele Lehrerinnen und Lehrer, getroffen habe.
„Das Thema ist auch heute nicht erledigt. Mehrere Fälle in der jüngeren Vergangenheit belegen, dass wir diese Debatte brauchen“, sagte Tepe. Sie wendete sich entschieden gegen die noch immer herrschende Praxis des Verfassungsschutzes, der viele Formen demokratischen Engagements diskreditiere. Angesichts des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Diskussion, wieder eine Extremismusklausel einzuführen, werde deutlich, dass diese Auseinandersetzung mit einem Teil verdrängter Geschichte und Gegenwart für politische Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement und Demokratieentwicklung eine große Rolle spielt. Gleichzeitig kündigte Tepe an, dass der Hauptvorstand der Bildungsgewerkschaft eine „Kommission zur Rehabilitierung von Betroffenen der GEW-Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ einrichten werde.
Die GEW-Vorsitzende unterstrich, dass es weltweit Berufsverbote für Pädagoginnen und Pädagogen gebe: „Unsere Solidarität gilt nicht nur den Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, die bis heute wegen ihres demokratischen Engagements unter den Auswirkungen der Berufsverbotspolitik leiden und/oder verfassungswidriger Gesinnungsschnüffelei ausgesetzt sind. Auch mit Blick auf internationale Entwicklungen kritisieren wir Berufsverbote und staatliche Repressionen gegen oppositionelle demokratische Kräfte. Wir stehen den tausenden Lehrkräften und Hochschulbeschäftigten aus der Türkei, die massive Angriffe gegen ihre Freiheitsrechte erleben und von Verhaftungen, Entlassungen, Berufsverboten und anderen Repressionen betroffen sind, solidarisch zur Seite und unterstützen sie.“
Info: Das Land Niedersachsen hat im Dezember 2016 beschlossen, eine Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten „Radikalenerlass“ einzusetzen, und diese dann 2017 eingestellt. Ihre Aufgabe ist, unter Beteiligung von Betroffenen, zugehörigen Initiativen und Gewerkschaften die Lebensläufe der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Menschen aufzuarbeiten und Möglichkeiten der Rehabilitierung aufzuzeigen. Die Arbeit der Landesbeauftragten wird wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse sollen zum Jahresende vorliegen und werden in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung dokumentiert und öffentlich diskutiert.