Schule: „… und irgendwann ist es im Körper drin“

Aus: Erziehung und Wissenschaft

Oktober 2013

Seit Jahrzehnten ist es verboten, PCB-haltige Baumaterialien zu verwenden. Aber noch immer sind nicht alle belasteten Bildungsstätten ausfindig gemacht und saniert worden. Zugleich droht neue Gefahr: Wärmedämmung kann vorhandene PCB-Konzentrationen verstärken.
Mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) ist es ähnlich wie mit Asbest: Bei ihrer Einführung galten sie als technischer Fortschritt – doch nach Jahrzehnten stellte sich heraus, dass sie die Gesundheit chronisch schädigen. Da war es aber schon zu spät. Seit den 1950er-Jahren wurde PCB massenhaft für Fugendichtungen, Brandschutzanstriche, Kunststoffe oder Leuchtstoffröhren-Kondensatoren verwendet, auch in sehr vielen Kitas, Schulen und Hochschulen. Erst 1978 kam es zu einem teilweisen Verbot, 1989 dann zu einem endgültigen.

Seitdem sind etliche Gebäude überprüft und instandgesetzt worden. Ob man tatsächlich alle belasteten Bildungseinrichtungen entdeckt hat, weiß niemand. Denn die Zuständigkeiten sind nicht immer klar. Der Bund sieht überwiegend die Länder in der Pflicht; die wiederum verweisen gerne auf die Kommunen. Auch zwischen Eigentümern, Betreibern, Arbeitgebern und Nutzern gebe es oft Diskussionen über die Verantwortlichkeiten, berichtet das Lippstädter Institut für Baustellensicherheit. Ein Mitarbeiter des Landeslabors Berlin-Brandenburg findet: „Solche Sachen werden wie eine Kanonenkugel mit Zündschnur oder wie beim Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den Beteiligten hin- und hergereicht.“ 

Das merken auch Journalisten, wenn sie eine Behörde mit Überblick suchen. Das Bundesarbeitsministerium ist zwar zuständig für die „Maximale Arbeitsplatz-Konzentration“ (MAK) von gesundheitsbelastenden Stoffen. Doch diese MAK-Werte gelten nur für Beschäftigte, die unmittelbar mit solchen Chemikalien hantieren, nicht aber für Lehrkräfte. Auch das Bau- und das Umweltministerium können nicht weiterhelfen. Erst beim Umweltbundesamt (UBA) stößt man auf eine schon vor Jahren eingerichtete, aber immer noch aktive ­„Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte“, in der auch Ländervertreter sitzen. Diese hat 2007 eine Empfehlung für den Umgang mit PCB herausgegeben und damit eine „PCB-Richtlinie“* der Länder von 1994 ergänzt.

Laut PCB-Richtlinie sind Innenraumbelastungen unter 300 Nanogramm (abgekürzt: ng – ein milliardstel Gramm) PCB pro Kubikmeter Luft „langfristig tolerabel“. Oberhalb dieses „Vorsorgewerts“ wird empfohlen, „die Quelle der Raumluftverunreinigung aufzuspüren und nach Möglichkeit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zu beseitigen oder zumindest eine Verminderung der PCB-Konzentration (z. B. durch regelmäßiges Lüften sowie gründliche Reinigung und Entstaubung der Räume) anzustreben“. Jenseits von 3000 ng/m3 seien „unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, die die Raumluftkonzentration von PCB verringern“ – etwa durch das Beseitigen oder Verkleiden PCB-haltiger „Primärquellen“, notfalls aber auch durch Entfernen von „Sekundärquellen“, etwa von Wänden oder Teppichböden, die durch PCB-Ausdünstungen verunreinigt wurden.

Beispiel NRW

Soweit die Richtlinie. Und die Praxis? Nordrhein-Westfalen (NRW) zum Beispiel ließ seine landeseigenen Gebäude 2004 auf Schadstoffe hin untersuchen. Alle Befunde werden seitdem „in einem systematischen Prozess abgearbeitet“, so das Bauministerium. Zu den belasteten Bauten zählte auch die Universität Düsseldorf, in der einzelne Räume deshalb abgesperrt werden mussten.

Für den baulichen Zustand der Schulen und Kindergärten sind die Kommunen verantwortlich. Angesichts der Kosten haben sie manche Instandsetzung allerdings auf die lange Bank geschoben – vor allem, wenn die PCB-Belastung zwar über dem Vorsorgewert von 300 ng/m3, aber unter dem Interventionswert von 3000 ng/m3 lag. Manchmal mussten erst Eltern oder Lehrkräfte Druck machen. Zum Beispiel bei einer Schule in Neuss: Laut Medienberichten hat man dort 2001 einen mittelfristigen Sanierungsbedarf festgestellt, aber erst 2012 nach einer Unterschriftenaktion eine Ausbesserung zugesagt. 

Die Piratenpartei im Düsseldorfer Landtag griff die Sorgen der Betroffenen auf und beantragte im Herbst 2012 eine systematische Untersuchung vor allem von in den 1960er- und 1970er-Jahren erbauten Kitas, Schulen und Turnhallen. Außerdem verlangten die Piraten ein Konzept, das Wege aufzeigt, Gesundheitsgefahren zu beheben. Damit kam ein langwieriger, noch andauernder ­Beratungsprozess in Gang. Das Finanzministerium stellte dafür eine eindrucksvolle Liste zusammen. Demnach sind oder waren rund 500 von über 4200 landeseigenen Gebäuden vermutlich oder eindeutig PCB-belastet. Der größte Teil sei bereits „saniert, verkauft oder abgerissen“, der Rest befinde sich „in unterschiedlichen Stadien der Untersuchung, Planung, Sanierung oder Verwertung“.

Die meisten Liegenschaften aber gehören den Kommunen. Bei einer Landtagsanhörung Ende Juni berichtete die Arbeitsgemeinschaft kommunaler Spitzenverbände in NRW, dass vor allem zwischen 1996 und 2003 umfassende Messungen und Erneuerungen vorgenommen worden seien. Später seien nur noch „wenige weitere Einzelfälle bekannt geworden“. Bei diesen sei ebenfalls eine „systematische Aufarbeitung der Problemlage erfolgt“. „Das Thema ist aus kommunaler Sicht abgearbeitet“, zitierte die Landtagspressestelle einen Städtetag-Sprecher. Andere Fachleute widersprachen, etwa die Baubiologin Martina Clemens-Ströwer: Eine gründliche Schadstoffuntersuchung von Innenräumen sei eher die Ausnahme.
 
Der stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW, Sebastian Krebs, kritisierte, dass Lehrkräfte, die durch Schadstoffe erkrankten, nicht ernst genommen würden. Krebs forderte eine Umkehr der Beweislast: Bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen müsse der Arbeitgeber nachweisen, dass diese nicht durch Raumbelastungen entstanden seien. Zu bedenken sei außerdem, dass mehrere Schadstoffe kombiniert wirken könnten. Daher könnten auch niedrige PCB-Dosen langfristig gefährlich sein. 

Etwas Ordnung in den Zuständigkeiten-Dschungel vermittelte der Verwaltungsrechtler Martin Beckmann aus Münster: Wenn von einem Gebäude Gesundheitsgefahren ausgingen, sei für deren Beseitigung der Eigentümer zuständig. Soweit für die Unterhaltung von Bauten ein öffentlicher Träger verantwortlich sei, treffe diese Pflicht auch ihn. Bei PCB-Gefahren könnten aber auch die Landes-Bauaufsichtsbehörden einschreiten. Zudem gebe es eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: „Wird die Gesundheit eines Beamten bzw. eines Angestellten des öffentlichen Dienstes durch Einwirkungen am Arbeitsplatz beeinträchtigt, so ist der Dienstherr verpflichtet, dieses im Rahmen des Möglichen zu unterbinden“, so Beckmann in seiner Stellungnahme bei der Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag.

Während NRW weiter debattiert, scheint in Schleswig-Holstein Ruhe eingekehrt zu sein. Dort hat man allerdings nicht so häufig wie andernorts PCB-Materialien für den Schulbau verwendet. Dennoch hat das Land schon zwei große Studien bei öffentlichen Gebäuden initiiert, mit geringen Trefferquoten. Die erste stichprobenartige Untersuchung von 1990 führte zur Sanierung von vier Schulen und zwei weiteren Objekten. Vorsichtshalber startete das Land 2004 eine weitere Untersuchung: Es fragte örtliche Behörden gezielt nach Gebäuden mit möglichen PCB-Baumaterialien. Bei den 181 gemeldeten Bauten, hauptsächlich Schulen, fanden sich laut Abschlussbericht keine weiteren PCB-Belastungen, die einen „zwingenden Sanierungsbedarf“ erforderten. Zwar wurde bei jedem zwanzigsten Gebäude der Vorsorgewert von 300 ng/m3 überschritten, aber der Interventionswert von 3000 ng/m3 ist laut Bericht nirgendwo erreicht worden.

Auch eine Geldfrage

„Das war eine Art Rasterfahndung“, sagt Umweltmediziner Birger Heinzow, beim Landessozialamt in Kiel für „Umweltbezogenen Gesundheitsschutz“ zuständig. Ohne begründeten Verdacht sofort alle Gebäude zu untersuchen, wäre aus Heinzows Sicht zu teuer – bei 300 bis 600 Euro pro Messung.Dass 40 Jahre nach der ersten OECD-Warnung vor PCB noch immer nicht alle belasteten Bildungseinrichtungen in Deutschland aufgespürt und saniert worden sind, ist nach Heinzows Einschätzung auch eine Geldfrage: „Das kann ich mir nur mit den hohen Kosten erklären.“ Jetzt kommt auf die Behörden ein neues Problem zu: Werden PCB-belastete Gebäude nachträglich wärmegedämmt, steigt womöglich die PCB-Konzentration in der Innenraumluft. Lag sie bisher unter dem Vorsorgewert, kann sie wegen des gestoppten Luftaustausches nunmehr bedrohlichere Höhen annehmen, wie Wolfgang Heger vom Umweltbundesamt warnt. Umweltmediziner Heinzow rät deshalb allen Bauträgern, bei Wärmedämmungen über den Einbau einer Lüftungsanlage nachzudenken. 

Heinzow zählt PCB zu den wichtigsten Schadstoffen in Bildungsstätten. In ganz alten Schulen gebe es auch Probleme mit geteerten Bodenfugen, die das gesundheitsschädliche Naphtalin enthalten. Früher habe zudem Formaldehyd eine große Rolle gespielt. Aber seitdem Spanplatten anders konstruiert würden, „ist das eigentlich keine Baustelle mehr“. Nur in Ausnahmefällen könne es noch Probleme geben, etwa beim Einsatz von Schulcontainern als Klassenraumersatz. 

Das Heimtückische an PCB: Während sich Formaldehyd-Ausdünstungen schnell durch Augen- oder Rachenreizungen bemerkbar machen, ist bei PCB zunächst nichts zu spüren. „Ich riech’ es nicht, ich schmeck’ es nicht, ich kann’s nicht anfassen – und irgendwann ist es im Körper drin“, sagte der Arbeitsschutzexperte Holger W. Kruse bei der NRW-Landtagsanhörung. Die Folgen zeigen sich erst langfristig. Wohl auch deshalb lassen sich manche Behörden mehr Zeit als nötig, die schleichende Gefahr zu beseitigen.
Eckhard Stengel, freier Journalist


*„Richtlinie für die Bewertung und Sanierung PCB-belasteter Baustoffe und Bauteile in Gebäuden (PCB-Richtlinie)“ vom September 1994, im Internet z. B. unter http://www.bgbau-medien.de/html/bau/pcb_rl.pdf
Schadstoffe in Bildungseinrichtungen: NRW ließ seine landeseigenen Gebäude 2004 auf PCB untersuchen. Zu den belasteten Bauten zählte auch die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, in der einzelne Räume abgesperrt werden mussten.