PCB-Belastung in öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Kitas und Sporthallen

Stellungnahme der GEW zum Antrag der Fraktion der Piraten im Landtag NRW

 

Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales und des Ausschusses für Kommunalpolitik (26. Juni 2013)

  1. Für den Einsatz von Beschäftigten in Bildungseinrichtungen (Schulen, Kindergärten und Kindertageseinrichtungen, Universitäten) ist der Arbeitgeber verantwortlich, nicht der jeweilige Schulkostenträger. Das ergibt sich aus den Bestimmungen des BGB (§ 618 f), des BeamtStG (§ 45), des ArbSchG, des ASiG usw.
  2. Arbeitgeber an öffentlichen Schulen in NRW ist das Land, es wird durch die Stelle vertreten, die die Personalakte führt. Diese Stelle ist im Regelfall die Bezirksregie-rung, nicht aber der Schulleiter. Die Letztverantwortung liegt bei der Ministerin oder dem Minister. Diese Letztverantwortung ist nicht durch ein Handeln von Dritten, z. B. vom Schulkostenträger, zu ersetzen.
  3. An einer Schule sind im Regelfalle mehrere Arbeitgeber tätig. Denn es gibt dort Beschäftigte des Schulkostenträgers, Lehrkräfte, die Beschäftigte des Landes sind, Beschäftigte der Offenen Ganztagsschule, der Kantine, der Reinigungsfirmen usw. Einige Schulen sind Einsatzstellen des Freiwilligen Sozialen Jahres. Hinzu kommen Beschäftigte der Institutionen, die im Schulgebäude zu Gast sind. Die Zusammenarbeit von allen Beteiligten ist gem. § 8 ArbSchG zu regeln.
  4. Der jeweilige Arbeitgeber ist personell und sächlich in die Lage zu versetzen, seiner Verantwortung entsprechend handeln zu können. Das gilt insbesondere auch für den Arbeitgeber der Lehrerinnen und Lehrer.
  5. Der jeweilige Arbeitgeber hat deshalb gemäß den Bestimmungen von ASiG und DGUV, Vorschrift 2, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit im erforderlichen Umfang zu bestellen. Dies sind für die ca. 183 000 Beschäftigten im Schuldienst allein für die Grundbetreuung 91.500 Stunden, die betriebsspezifische Betreuung kommt noch im erforderlichen Umfang hinzu. Diese muss zusammen mit den Personalräten auf der Grundlage der ausgewerteten Gefährdungsbeurteilungen erfolgen. Der Haushaltsgesetzgeber hat die entsprechenden Mitteln für die Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit zur Verfügung zu stellen (§ 3 Haushaltsgrundsätzegesetz).
  6. Die Bezirksregierungen sind Schulaufsichtsbehörden. Sie haben auch Überwachungsaufgaben gegenüber den verschiedenen Erziehungseinrichtungen wie den Offenen Ganztagsschulen, den Kindertagesstätten usw. Für Kinder gibt es eine erhöhte Fürsorgepflicht, denn wegen der Schulpflicht ist der Schulbesuch für sie eine Zwangsveranstaltung. Bei Schulpflichtigen fehlt der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit, der bei der Beurteilung von Grenzwerten im Bereich der Arbeitswelt bedeutsam ist.
  7. Die Schulkostenträger sind zu verpflichten, unverzüglich die PCB-Belastungen ihrer Gebäude zu erheben, wenn sie es nicht bereits getan haben, und gem. § 8 ArbSchG die gemessenen Werte unaufgefordert den Arbeitgebern mitzuteilen, deren Beschäftigte in diesen Gebäuden tätig sind (Bezirksregierungen, Träger der Offenen Ganztagsschulen, Reinigungsunternehmen usw.). Die Schulkostenträger sind aufzufordern, über die Ergebnisse dieser Erhebungen auch die Kontrollbehörden zu informieren (Schulaufsicht, Staatlicher Arbeitsschutz, gesetzliche Unfallkassen) sowie die Daten im Internet zu veröffentlichen.
  8. Die jeweils individuelle gesundheitliche Situation sowohl der Beschäftigten, d. h. insbesondere der Lehrkräften oder der Erzieherinnen und Erziehern als auch der Her-anwachsenden, die der Schulpflicht unterliegen, hat das entscheidende Kriterium bei der Frage einer PCB- oder einer sonstigen Schadstoffbelastung zu sein, nicht eine scheinbar objektive Grenzwertfestlegung. Wie das Heft „Toxikologische Bewertung polychlorierter Biphenyle (PCB) bei inhalativer Aufnahme“, Materialien Nr. 62, herausgegeben vom LAU (Landesumweltamt NRW), Essen 2002, zeigt, sind Grenzwertfestsetzungen nur scheinbar objektiv. Das gilt auch für die PCB-Richtlinie NRW (03.07.1996), denn ihre Veröffentlichung wurde von einem Koalitionskrach begleitet. Es ist wissenschaftlich nicht zu erklären, weshalb in NRW andere Grenzwerte als in Rheinland-Pfalz gelten. Es gilt, so scheint es, die Faustregel, dass die Festlegung von Grenzwerten das Ergebnis eines politischen Kompromisses ist. Das wird bereits sprachlich im Text der Richtlinie deutlich: „Raumluftkonzentrationen unter 300 ng PCB/m3 Luft sind als langfristig tolerabel anzusehen“ (Vorsorgewert). In der exakten Wissenschaft gelten andere Sprachformen.
  9. Hinsichtlich der körperlichen Verfassung lassen sich diese Gruppen unterscheiden:
    9.1 Die meisten Menschen werden durch eine langfristige Schadstoffexposition im Niedrigdosenbereich nicht oder nur wenig geschädigt; sie können auch fettlösliche Schadstoffe schnell aus ihrem Körper ausscheiden,
    9.2 Ärzte können „schlechte“ Entgifter (ca. 20 % aller Menschen) in verschiedene Untergruppen teilen; gemeinsam ist ihnen, dass sie fettlösliche (lipophile) Stoffe, u. a. PCB, in ihrem Fettgewebe ansammeln und diese Stoffe nicht verstoffwechseln; die Halbwertzeit der Verweildauer von lipophilen Stoffen beträgt je nach Stoff und menschlichem Körper wenige Augenblicke, bei PCB werden sehr oft Verweildauer von 12 Monaten und mehr festgestellt.
    9.3 Bei Kindern und Heranwachsenden wird der Wachstumsprozess gestört.
    9.4 Schwangere sind besonders gefährdet; der Wachstumsprozess von Kindern wird gestört, die in einem von Schadstoffen gesättigten Fettgewebe des Körpers ihrer Mutter heranwachsen.
    9.5 Frauen im gebärfähigen Alter sind ebenfalls gefährdet; selbst wenn mit Beginn der Schwangerschaft ein sofortiger Expositionsstopp erfolgt, dauert es oft sechs oder zwölf Monate und mehr, bis die Schadstoffmenge im Fettgewebe der Mutter um die Hälfte reduziert wird.
    9.6 Gefährdet sind die Menschen, deren Immunsystem wegen einer Erkrankung geschwächt ist, die soeben eine Chemotherapie erfolgreich überstanden haben, die an einer beginnenden toxischen Polyneuropathie oder toxischen Enzephalopathie, einem Fatigue-Syndrom oder an einer vielfachen Chemikalienunverträglichkeit (MCS) leiden. Bei ihnen kann eine relativ kurze PCB-Exposition im angeblichen Niedrigdosenbereich zu einer irreversiblen Verschlechterung ihres Gesundheitsstandes führen.
    9.7 Menschen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen verschiedenen Schadstoffen ausgesetzt sind (Gefahr der Kombinationswirkung, vgl. dazu die Ergebnisse der Forschung von Prof. Dr. Irene Witte, Universität Oldenburg), sind ebenfalls gefährdet.
    9.8 In gerichtsrelevanten Gutachten wird regelmäßig behauptet, dass die Verweildauer in Räumen, die mit Schadstoffen wie z. B. PCB belastet sind, eine aussagekräftige Größe sei. In diesen Gutachten wird nicht berücksichtigt, dass es Erkrankte gibt, bei denen bereits eine wenige Stunden oder wenige Tage dauernde Verweildauer zu irreversiblen körperlichen Schäden geführt hat. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass bei Vorliegen einer anderen Schadstoffbelastung die Zellmembrane im jeweils aktuellen Fall für einen anderen Schadstoff besonders durchlässig sein können Eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG, die ausschließlich gemäß den Kriterien der PCB-Richtlinien NRW erfolgt, wird dieser Differenzierung von mög-licherweise Gefährdeten (Ziffer 9.1 – 9.8) nicht gerecht.
  10. Jeder Arbeitgeber muss die Möglichkeit eines eigenen Zugriffs auf die Daten haben, die Auskunft über die Gefährdungen seiner Beschäftigten zulassen. Das bedeutet u. a., dass der jeweilige Arbeitgeber in die Lage zu versetzen ist, eigene Messungen in den Räumen vornehmen zu lassen, in denen seine Beschäftigten tätig sind. Denn das Ergebnis einer Messung hängt auch von der Methode der Erhebung der Daten ab. Ohne diesen eigenständigen Zugriff kann der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Verpflichtungen hinsichtlich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für seine Beschäftigten nicht nachkommen und keine mit der Wirklichkeit übereinstimmende Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG erstellen. Der Haushaltsgesetzgeber NRW hat dem MSW, d. h. dem Arbeitgeber der Lehrkräfte, die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.
  11. Die gesetzlichen Krankenkassen sind aufzufordern, umweltmedizinische Untersuchungen in ihre Leistungen aufzunehmen. Denn seit der zum 31.12.2008 erfolgten Kündigung der Umweltmedizinvereinbarung zwischen der KVNo und den gesetzlichen Krankenkassen durch die Krankenkassen in Nordrhein sind umweltmedizinische Untersuchungen von gesetzlich versicherten Patienten erheblich erschwert worden. Da besagt eine Aussage wie diese: „Nach einer PCB-Exposition konnten keine umweltmedizinischen Erkrankungen festgestellt werden.“ lediglich, dass keine entsprechenden Untersuchungen stattgefunden haben. Aus dieser Aussage kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Umfang von umweltmedizinischen Erkrankungen nach einer PCB-Exposition unbeachtlich sei.
  12. Die Beurteilung der gesundheitlichen Situation der Beschäftigten oder der Heran-wachsenden hat auf der Grundlage der „Handlungsorientierte(n) umweltmedizini-sche(n) Praxisleitlinie“, herausgegeben vom Deutschen Berufsverband der Umweltmediziner e. V. (www.dbu-online.de), Berlin, zu erfolgen.
  13. Es sind wissenschaftliche Untersuchungen der Folgen einer Langzeit-PCB-Exposition im angeblichen Niedrigdosenbereich einzuleiten bzw. zu intensivieren. Dabei sind auch die Kombinationswirkungen zu berücksichtigen, denen sowohl die Beschäftigten als auch die Schülerinnen und Schüler, die Studierenden oder die Betreuten in den sonstigen Erziehungseinrichtungen (d. h. in den Offenen Ganztagsschulen, in den Kindertagesstätten usw.) außerhalb der jeweiligen Einrichtung ausgesetzt sind.
  14. Die gesetzlichen Unfallkassen sind gehalten, auf eine Minimierung der Leistungszahlungen zu achten. Diese Wahrnehmung dieser Aufgabe darf nicht zu Lasten der Betroffenen bzw. der Geschädigten geschehen. Die gesetzlichen Unfallkassen sind vielmehr verpflichtet, unverzüglich dann einzugreifen, wenn sie von einer Gefährdung ihrer Versicherten z. B. in der Folge einer Schadstoffexposition Kenntnis erhalten. Denn nach § 9 Abs. 3 SGB VII haben sie nachzuweisen, dass ihre Versicherten in den Räumen, in denen sie sich während der versicherten Tätigkeit aufhalten, gesundheitlich nicht geschädigt werden konnten (Umkehr der Beweispflicht).
  15. Allen gesetzlichen Unfallkassen ist ein eigenständiger Zugang zu allen Daten zu ermöglichen, die Auskunft über eine PCB-Belastung ihrer Versicherten geben. Es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, wenn z. B., wie es zur Zeit geschieht, die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege auf die Vermittlung der Unfallkasse NRW angewiesen ist, um die Gefährdung ihrer Versicherten in einem konkreten Schulgebäude beurteilen zu können.
  16. Die Informations-, Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Personalräte gemäß den §§ 62, 64, 66.4 (Initiativrecht), 72 Abs. 4 Satz 1 Ziffer 7 und 10 (Mitbestimmung), 75 Abs. 1 Ziffer 3 und 4 (Anhörung bei der Planung von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie der Anmietung von Diensträumen und bei der Anordnung von amts- und vertrauensärztlichen Untersuchungen zur Feststellung der Arbeits- oder Dienstfähigkeit) sowie 77 (Informations- und Mitwirkungsrechte des Personalrats beim Arbeitsschutz) werden faktisch außer Kraft gesetzt, wenn der Arbeitgeber keinen eigenständigen Zugriff auf die Daten hat, die über eine PCB-Belastung am Arbeitsplatz seiner Beschäftigten Auskunft geben. Das Gleiche gilt mit den entsprechenden Anpassungen auch für die Betriebsräte z. B. der Offenen Ganztagsschulen. Kann der Arbeitgeber den arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wer-den, darf er keinen Beschäftigten auf den unzureichend ausgestatteten oder gesicherten Arbeitsplätzen einsetzen. Der Personalrat oder der Betriebsrat hat darüber zu wachen, ob diese arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen beachtet werden. Ihm steht z. B. gem. § 66.4 LPVG ein entsprechende Initiativrecht zu. Kein Beschäftigter darf an einem Arbeitsplatz ohne die Zustimmung des Personalrats gem. § 72 Abs. 4 Satz 1 Ziffer 7 und 10 eingesetzt werden.
  17. Nach § 81 Abs. 2 SGB IX „(dürfen) Arbeitgeber ... schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen.“ Dieser Satz gilt auch für die Schwer-behinderte, die zu den „schlechten Entgiftern“ oder zu einer anderen oben in den Ziffern 9.1 - 9.8 genannten Gruppe von Gefährdeten gehören. Wenn der Arbeitgeber über keine Daten bezüglich der Schadstoffbelastung eines Schulgebäudes verfügt oder ihm diese Daten nicht vollständig mitgeteilt werden und wenn er nicht über die Einrichtungen verfügt, um diese Daten auszuwerten, ist er nicht in der Lage, seine sich aus § 84 Abs. 1 SGB IX ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen und die Schwerbehindertenvertretung sowie die Integrationsämter über die Gefährdung von Beschäftigten zu informieren, die unter einer tPNP, eine TE oder einem MCS leiden. Wenn der Arbeitgeber über keine belastbare Daten bezüglich der Schadstoffbelastung der Arbeitsstellen seiner Beschäftigten verfügt und wenn Beschäftigte auf ihre besondere Sensibilität gegenüber einer PCB-Exposition verweisen, ist ein entsprechendes betriebliches Eingliederungsmanagement gem. § 84 Abs. 2 SGB IX bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Wenn nach einem missglückten betrieblichen Eingliederungsmanagement, das wegen einer unzureichenden Information des Arbeitgebers über die PCB-Belastung von Schulgebäuden gescheitert ist, Schwerbe-hinderte und andere Lehrkräfte vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden, machen sie nur den Platz für „neue“ Kollegen frei, die dann ebenfalls erkranken und als Geschädigte vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden. Eine verantwortliche Personalpolitik sieht anders aus. Es gilt sowohl das Lebensschicksal der einzelnen Betroffenen zu beachten als auch die abzusehenden Kosten für die Ruhegehaltsversorgung zu minimieren. Beide Ziele sind ohne einen umfassenden Arbeits- und Gesundheitsschutz auch im Bereich der Beachtung der Schadstoffexpositionen nicht zu verwirklichen.
  18. Mit der zurzeit üblichen Verwaltungspraxis werden grundlegende Rechte der Beschäftigten und ihrer Personalräte und der Schwerbehindertenbeauftragten (Grundsatz der Gleichbehandlung, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit usw.) verletzt. Es wird faktisch ein Sonderrecht für die Lehrkräfte zu ihren Lasten geschaffen.
  19. Um künftig die Erstellung von Gefälligkeitsgutachten bei der Beurteilung der PCB-Belastung eines Schulgebäudes zu Lasten der in Schulen Beschäftigten und zu Lasten von Schülerinnen und Schülern auszuschließen, hat das Land in seiner Funktion als Arbeitgeber zusammen mit den Personalräten eine Liste von sachkundigen Gutachtern zu erstellen, die die Folgen einer PCB-Belastung für die einzelnen Beschäftigten (siehe oben, Ziffern 9.1 – 9.7) in den Mittelpunkt ihrer gutachterlichen Tätigkeit stellen und die dabei die „Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie“, herausgegeben vom Deutschen Berufsverband der Umweltmediziner e. V., beachten.