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Aktion der GEW und des Flüchlingsrats Wiesbaden vor dem Kultusministerium

17. Dezember 2014

Deutschstunde auf dem Luisenplatz

Das Szenario auf dem Luisenplatz in Wiesbaden - direkt vor dem Eingang zum Hessischen Kultusministerium – stellte die schulische Situation jugendlicher Flüchtlinge plastisch dar. Die Schülerinnen und Schüler aus sechs Sprachanfängerklassen, rund hundert Mädchen und Jungen zwischen 16 und 18 Jahren, stehen oder sitzen im Regen. Es gibt nicht genug Sitzplätze, zu wenig Schirme, es fehlen Tische und für alle auf dem Platz gibt es nur eine Lehrerin.

Symbolisch unterstützt wurde die Aktion durch die Verteilung von Weihnachtskeksen als Schulplätzchen an Passanten.

Aufgerufen zur Aktion „Öffentliche Deutschstunde“ haben der Flüchtlingsrat Wiesbaden und der GEW Kreisverband Wiesbaden, um auf die Situation der jungen Flüchtlinge aufmerksam zu machen.

Gegenüber den Vertretern der Presse wurde in Interviews von Lehrerinnen und Lehrern immer wieder die Arbeit des Hessischen Kultusministeriums kritisiert. So würden seit September alle zwei Wochen die Schülerzahlen nachgefragt. Aktuell stünden vierzig Flüchtlinge auf einer Warteliste. Das Ministerium erhöhe jedoch bislang weder die Lehrerzuweisung noch stelle die Behörde irgendwelche Ressourcen zur Verfügung.

Auf die Idee, den Schülerinnen und Schülern „trockene Schulplätzchen“, also Räume im Ministerium anzubieten, kommt in dem Haus auch niemand.

Ob des Regenwetters wurde aus der geplanten Doppelstunde dann nur eine Unterrichtsstunde. Lob für die Entscheidung, den Unterricht zu verkürzen, damit niemand krank wird, gabt es von einem Kollegen der Polizei zusammen mit dem freundlichen Wunsch, dass sich die Situation für die Schülerinnen und Schüler im Jahr 2015 verbessern möge.

Die übrig gebliebenen Schulplätzchen wurden am Ende der Deutschstunde im Ministerium abgegeben.

Uta Knigge, GEW Wiesbaden

Hintergrund

Die GEW Wiesbaden und der Flüchtlingsrat haben bereits im Oktober diesen Jahres darauf hingewiesen, dass für die voraussehbar wachsende Zahl an minderjährigen Flüchtlingen nicht genügend Schulplätze und ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen bereit stehen werden.

Wiesbaden rechnet laut Sozialdezernent Arno Goßmann bis Ende des Jahres mit 750 neuen Flüchtlingen, 2015 mit mindestens 1.000 Neuankömmlingen. Davon sind ca. 40 Prozent Kinder und Jugendliche.

Es fehlt an geeigneten Räumen und noch mehr an Lehrerinnen und Lehrern, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten können.

An der Kerschensteinerschule gibt es zur Zeit sechs Klassen für die über Sechzehnjährigen. Dennoch stehen mindestens vierzig Jugendliche auf der Warteliste. Die Schulpflicht endet zwar mit dem 16. Lebensjahr. Danach haben Jugendliche jedoch das Recht eine berufliche Schule zu besuchen.

Aus Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland für alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren gilt, ergibt sich die Pflicht für die zuständigen Behörden, das „best interest of the child“ anzustreben. Das Kinder- und Jugendhilferecht in Deutschland (SGB VIII) legt fest, dass jedes Kind „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ hat.

Das muss selbstverständlich auch für jugendliche Flüchtlinge gelten. Wie anders sollen sie eine Chance bekommen, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren und nach Möglichkeit eine Ausbildung zu machen oder eine weiterführende Schule zu besuchen?

Der unsichere Aufenthaltsstatus, die Angst vor Abschiebung, die fehlenden, mit Hoffnungslosigkeit verbundenen Zukunftsperspektiven, die Traumatisierungen durch Verlust der Heimat und durch Fluchterlebnisse überfordern viele Lehrerinnen und Lehrer und verlangen die Unterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe und entsprechend geschulte Sozialpädagogen. Die empfohlene maximale Gruppengröße von 12 Schülern wird in den Intensivklassen im Regelschulbereich massiv überschritten. Hinzu kommt, dass in den Gruppen Kinder sind, die alphabetisiert werden müssen. Das würde eine weitere, dafür ausgebildete Lehrkraft erfordern.
Wir sollten die Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, nicht hängen lassen, sondern ihre Potentiale nutzen und sie willkommen heißen!

Schulplätze lassen sich nicht backen. Sie zu schaffen, erfordert das volle Engagement der Verantwortlichen! Jetzt!

Sie brauchen

  • Mehr Intensivklassen
  • Mehr Lehrer_innen mit Alphabetisierungs- und Deutsch als Zweitsprache-Ausbildung
  • Kleine Lerngruppen 
  • Sozialpädagogische Betreuung

Mehr Fotos auf www.gew-wiesbaden.de