„Blume ist Kind von Wiese“

Materialien zur Sprach- und Leseförderung

HLZ 12/2015: Flüchtlinge

„Blume ist Kind von Wiese“ oder „Deutsch ist meine neue Zunge“: Dies sind nur zwei wunderbare Begriffserklärungen von Kindern mit Migrationshintergrund, die Helga Glantschnig in ihrem von Mehrdad Zaeri poetisch illustrierten „Lexikon der Falschheiten“ festgehalten hat (1). Leider, so Ernst Jandl im Vorwort, ist diese „Phase naiver Sprachkunst“ vorübergehend.

Ich unterrichte einen Deutsch-Intensivkurs in der Gesamtschule Hegelsbergschule in Kassel. Die zurzeit 16 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11 bis 16 Jahren kommen aus Bulgarien, Rumänien, der Türkei, Italien, Afghanistan, Syrien, Eritrea und Somalia. Sie sprechen und schreiben in vielen Sprachen und Schriften und alle wollen Deutsch lernen, damit sie mitreden, lernen und sich entwickeln können. Ich möchte sie in ihrem Bemühen, sich die Welt für eigene Zwecke und Ziele anzueignen, unterstützen und sie in jeder Hinsicht stärken, so dass sie eine Chance haben, an gesellschaftlichen Perspektiven teilzuhaben.

Die Maximen meines Unterrichtens finden sich in zwei Konzepten: Die „Meisterlehre vom Lesen“ - eine „neue Lesepraxis“ für die Sekundarstufe - legt vier Dimensionen des Unterrichtens in allen Textfächern zugrunde, die durch die Reflexion des Tuns (Lautes Denken und Dialog mit dem Text) miteinander verbunden sind: die persönliche Dimension (das ICH), die soziale Dimension (das WIR), die inhaltlich-fachliche Dimension (das WAS) und die kognitive Dimension (das WIE). Auf dieser Grundlage haben wir in der hessischen Lehrerfortbildung vielfältige Praxismaterialien entwickelt (2).

Der „Sprachsensible Fachunterricht“ geht von der Überzeugung aus, dass die Unterrichtsgegenstände nur angeeignet werden können, wenn sie auch gedanklich und sprachlich „verstanden“ werden. Ziel der direkt im Unterricht einsetzbaren Materialien ist es, Lehrkräfte zu befähigen, die Schülerinnen und Schüler „durch konkrete, binnendifferenzierende sprachliche Hilfen bei der Bewältigung sprachlicher Standardsituationen im Fachunterricht zu unterstützen.“ (3)

Diese Konzepte bilden auch die Grundlage für die folgenden, in der Praxis erprobten Empfehlungen.

Unterricht in Intensivklassen und –kursen

Hamburger ABC

Das „Hamburger ABC“, ein Lehrwerk zur Alphabetisierung und Grundbildung, steht hier an erster Stelle und ist das Beste für meine Schülerinnen und Schüler. Das theoretisch gut fundierte, systematische Werk ermöglicht und erfordert Differenzierung, Kooperation und Individualisierung. Es orientiert sich am Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und spannt den Bogen von der Alphabetisierung, insbesondere auch von lernungewohnten oder in anderen Schriftsprachen literarisierten Migrantinnen und Migranten, bis hin zum Aufbaukurs A 2. Das Curriculum und die Materialien sind ein echter „Schatz“, mit dem man in allen Gruppen sehr gut arbeiten kann, weil sie weder zu kindlich noch zu „besserwisserisch“ daherkommen. Die witzigen Illustrationen stammen von Ole Könnecke.
Bestellung: Arbeitsgemeinschaft Karolinenviertel e.V., Flora-Neumann-Str. 5, 20357 Hamburg, Tel. 040-4392582, E-Mail: lernen@hamburger-abc.de

Deutsch als Zweitsprache

Die 2007 vom Hessischen Kultusministerium (HKM) und dem damaligen Amt für Lehrerbildung (AfL) herausgegebenen Handreichungen für den Unterricht in Intensivkursen und Intensivklassen (mit CD und Spielmaterial) werden gerade überarbeitet und sollen demnächst in neuer Auflage erscheinen.

Grammatik in Bildern

Die Neuerscheinung „Grammatik in Bildern“ (Pons-Verlag Stuttgart 2015) von Irina Gubanova-Müller und Federica Tommaddi hat mich sofort angesprochen und überzeugt. In diesem Buch werden alle wesentlichen grammatischen Phänomene für die Niveaus A1-B2 in Bildern und knappen Texten aufbereitet. Die anschaulichen und humorvollen Grafiken, Bilder und Illustrationen wecken Lust, damit zu arbeiten!

Meine Wörter für die Schule

Das für die Grundschule gemachte bebilderte Fachwörterbuch „Meine Wörter für die Schule“ mit einem ergänzenden Arbeitsheft ist auch für die jüngeren Jahrgänge der Sekundarstufe I noch gut zu benutzen und präsentiert den Wortschatz im Sinnzusammenhang des jeweiligen Faches.
Cordula Meißner, Beata Menzlovà und Almut Mohrmann: Meine Wörter für die Schule. Der illustrierte Fachwortschatz Deutsch. Klett Stuttgart 2015.

Unterricht mit Jugendlichen

Für den Unterricht mit älteren Jugendlichen in der Sekundarstufe I und in Berufsschulen hat die Universität München umfangreiche Handreichungen mit an den Lernfeldern orientierten Frage- und Problemstellungen entwickelt, die auf den Prinzipien des sprachsensiblen Fachunterrichts basieren.
www.isb.bayern.de/schulartspezifisches/materialien/baf_beschulung/materialien

Allerlei zum Lesen

Eine überraschende Entdeckung habe ich mit den Leseheften 1 und 2 zum Alphabetisierungslehrwerk „Von A bis Z – Alphabetisierungskurs A 1“ für Erwachsene aus dem Klett-Verlag (Stuttgart 2014) gemacht. Die aufeinander abgestimmten und sprachlich differenzierenden Lesehefte erzählen vier authentische Geschichten aus dem Leben von Menschen, die wie Samira aus Syrien alle noch Deutsch lernen. Die Texte sind durch große Schrift und gute Gliederung im Layout gut lesbar und werden durch Bilder vorentlastet.

Im Dorner-Verlag Wien erschienen die Textsammlungen „Auf einer Wolke liegen“ (ab 10 Jahre) und „Zwischen den Welten“ (ab 13), für die Jugendliche zusammen mit Schriftstellern geschrieben, gedichtet, gezeichnet, gemalt und fotografiert haben. Die Textvielfalt ist beeindruckend: Es gibt kleine literarische Formen, längere Erzählungen, Interviews, Rezensionen, Buch- und Filmtipps und informierende Texte, außerdem Rätsel und Lernaufgaben. Downloadmaterial mit didaktischen Anregungen und Kopiervorlagen findet man auf der

Homepage des Verlags: www.dorner-verlag.at/reihe/TEXTE/TEXTE-1-2

Mein Favorit unter den mehrsprachigen Büchern ist das Bilderbuch „Kommt ein Boot…“ (Residenz Verlag St. Pölten 2012). Elf österreichische Illustratorinnen und Illustratoren haben zu dem kleinen Gedicht von Heinz Janisch, das in elf Sprachen übertragen wurde, gemalt und gezeichnet. Die Vielfalt der Bilder und Sprachen „öffnet den poetischen Raum rund um den Text“ und stellt die „Vielsprachigkeit der Welt luftig und verspielt dar“. Es macht Lust, anderen Sprachen und Klängen nachzuspüren.

Der neue Empfehlungskatalog „Kolibri“ dokumentiert mit 50 kommentierten Neuerscheinungen die kulturelle Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern mit Leseempfehlungen, die nach Lesealter sortiert sind. Die Titel ermöglichen eine respektvolle Begegnung mit anderen Kulturen und fördern die Entwicklung von interkulturellem Verständnis.

Bestellungen zum Preis von 4,70 Euro mit Versandkosten beim Arbeitskreis für Jugendliteratur (AKJ): bestellung@jugendliteratur.org; weitere Empfehlungen und eine umfangreiche Datenbank findet man unter www.baobabbooks.ch/de/kolibri

„Alle da! Unser kunterbuntes Leben“ ist ein fröhlich illustriertes Bilderbuch, das von vielen kleinen und großen Menschen handelt, und mein ganz besonderer Favorit! Anja Tuckermann schlägt den Bogen von den Anfängen der Menschheit über Migration und Flucht bis zum kunterbunten Zusammenleben heute und hier: Toll auch für den Sprach- und Leseunterricht! (Klett Kinderbuch, Leipzig 2014)

Dies und das

Freedom Writers

„Freedom Writers“ ist ein durch die Highschool-Lehrerin Erin Gruwell ins Leben gerufenes Projekt in den USA, in dem Jugendliche durch das Schreiben über das „Eigene“ in Tagebüchern ermutigt und so gestärkt wurden, dass sie die Schule erfolgreich abschließen konnten. Das Buch und die hervorragende dramatische Hollywood-Verfilmung dieser authentischen Geschichte u.a. mit Hilary Swank beeindrucken, berühren und machen Mut, an sich selbst und an eine bessere Welt zu glauben.

Erin Gruwell: Freedom Writers. Wie eine junge Lehrerin und 150 gefährdete Jugendliche sich und ihre Umwelt durch Schreiben verändert haben. Autorenverlag 2012
Freedom Writers. USA 2007. 123 Min. FSK: 12 Jahre. Regie: Richard LaGravenese

Deutschlernen ist cool! Ein preisgekrönter Kurzfilm

Eine kleine Perle zum Deutschlernen ist der preisgekrönte Film „Sprich mit! Deutsch lernen ist cool!“. Er erzählt von dem neunjährigen Elias, der beim Spaziergang mitten in Berlin seinen Vater aus den Augen verliert. Zum Glück trifft Elias, der noch kein Wort Deutsch spricht, viele hilfsbereite Leute, die ihm spielerisch, unter anderem mit Rap-Texten, vieles beibringen.

Die in den örtlichen Medienzentren ausleihbare DVD-ROM enthält weitere filmische Lernkapitel und didaktisches Begleitmaterial zum Ausdrucken.

Lachen gegen Fremdenhass

„Lachen gegen Fremdenhass“ (Riva Verlag München 2015) versammelt die besten Karikaturen verschiedener Cartoonisten zum Thema Fremdenhass. Ressentiments, Intoleranz und Rassismus werden witzig, pointiert, manchmal auch richtig böse zurückgewiesen. Da haben wir mit unseren Schülerinnen und Schülern was zum Lachen!

Angelika Schmitt-Rößer

Weitere Hinweise und Lektürevorschläge und eine Liste mit mehrsprachigen Lektüren für Kinder können bei der Autorin oder Monika Gumz angefragt werden:

angelika.schmitt-roesser@kultus.hessen.de

monika.gumz@hs-rm.de

(1) Helga Glantschnig: Blume ist Kind von Wiese. Edition Büchergilde, Ffm 2010
(2) Ruth Schoenbach, Cynthia Greenleaf et al: Lesen macht schlau. Cornelsen 2007; HKM (Hrsg.): Texte öffnen Türen. AfL Frankfurt 2012 (zu bestellen beim Publikationsmanagement des HKM)
(3) Josef Leisen: Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. Varus Verlag Bonn 2010 sowie Klett-Verlag 2013. Material zum Download: www.josefleisen.de