Ein offenes Wort

Sich der eigenen Verwicklung in Rassismus stellen

HLZ 7-8/2021: Hessen postkolonial

Als Schwarze Eltern waren wir darauf vorbereitet, dachten wir, dass unsere Kinder rassistische Aggressionen erleben würden. Wir kennen es beide aus unseren eigenen Erfahrungen des hier Aufwachsens und der Immigration. Wir haben uns geirrt. Nichts kann darauf vorbereiten, die umfassende Zurichtung des eigenen Augensterns mitansehen zu müssen, hilflos, ratlos und verzweifelt gegen die Mühlen gesellschaftlicher Verhältnisse anzukämpfen, die über 500 Jahre alt, institutionalisiert und überpersönlich sind.

Wir bemühen uns trotz Nazis, Polizeigewalt und Grenzregimes um ein glückliches Leben für uns und unsere Kinder und scheitern doch bereits an einer scheinbar viel niedrigeren Hürde. Wie die Dominanz von Rassismus erklären – ja, auch in Kita und Schule -, wenn scheinbar nichts passiert ist? Wie erklären, dass da, wo scheinbar nichts passiert, am allermeisten passiert? Wie erklären, dass das kein persönlicher Rassismusvorwurf an die Mitarbeiter:innen einer Institution ist, sondern ein Rassismusvorwurf an die gesamte Institution der Bildungs- und Erziehungseinrichtungen? Im Versuch, dies zu thematisieren, öffnet sich ein unüberbrückbar scheinender Abgrund: die Differenz zwischen weiß und nicht-weiß.

Was wir sagen müssten, aber nicht sagen ...

Was wir sagen müssten, würden wir auf gar keinen Fall sagen: Entschuldigen Sie bitte unsere Direktheit. Sie können die rassistische Zurichtung nicht erkennen, weil Sie weiß sind. Sie sind dadurch in einer gesellschaftlichen Position, in der Sie von Rassismus profitieren und wodurch Sie eine stark verzerrte Wahrnehmung haben.

Weiter müssten wir ausführen: Das ist kein Vorwurf an Sie, sondern die Beschreibung eines Prozesses, an dem Sie teilhaben und den Sie mitgestalten, auch wenn Sie es nicht merken und es nicht wollen. Vielleicht kommt Ihnen das unglaubwürdig vor, weil Sie sich als engagiertes und kritisches Individuum wahrnehmen. Aber bitte denken Sie daran, dass das gar nicht in Abrede steht. In Abrede steht, dass Sie dadurch die rassistische Zurichtung von nicht-weißen Kindern erkennen oder aufhalten können.

Wir würden unsere Worte mit Bedacht wählen: Bitte glauben Sie uns! Glauben Sie uns, dass wir etwas sehen, was Sie nicht sehen, weil wir die negativen Konsequenzen am eigenen Leib spüren. Glauben Sie uns, dass wir Sie damit nicht persönlich angreifen oder Ihre Integrität in Frage stellen. Glauben Sie uns, dass wir Ihnen glauben, dass Sie bereits Ihr Bestes geben.

Wie die Verteidigung in einem Gerichtssaal würden wir unser Abschlussplädoyer halten: Bitte werden Sie sich darüber bewusst, dass Sie nichts gegen Rassismus ausrichten können, solange Sie nicht akzeptieren, dass Herkunft und Hautfarbe nicht egal sind. Sie können im Rahmen Ihrer erzieherischen und bildnerischen Tätigkeit Rassismus erst wirksam entgegentreten, wenn Sie erkennen und akzeptieren, dass Sie als weiße Person ab dem frühesten Alter gelernt haben, nicht-weißen Menschen zu misstrauen und sie als unterlegen wahrzunehmen. Das ist nicht Ihre Schuld, es ist nicht Ihr persönliches Versagen, dass Sie dieses gesamtgesellschaftliche Wissen in sich tragen, es reproduzieren und danach handeln. Aber es ist in Ihrer Verantwortung, sich dies bewusst zu machen und in eine kritische Auseinandersetzung zu treten mit dem strukturellen, aber auch persönlichen Erbe dieses Gewaltsystems namens Rassismus.

Mit folgendem Ausblick würden wir schließen: Bitte unternehmen Sie die Anstrengung, sich Ihrer eigenen Verwicklung in Rassismus zu stellen. Sie werden entdecken, dass Sie mehr Mitgefühl, mehr Anteilnahme und Empathie in sich tragen als gedacht. Sie werden entdecken, dass diese Zugewandtheit Ihr Leben bereichert. Sie werden entdecken, dass diese Auseinandersetzung mit Ihrer Positionierung als weiße Person weitere Erkenntnisse über Sie selbst und die Welt mit sich bringt. Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

... um Sie nicht vor den Kopf zu stoßen

Aber all das würden wir niemals aussprechen aus Angst, die Personen, die den ganzen Tag mit unseren Kindern verbringen, vor den Kopf zu stoßen und damit die Situation für die Kinder zu verschlimmern. Wir werden stattdessen vorfühlen, ob migrantische oder nicht-weiße Kolleg:innen für unser Anliegen ansprechbar sind. Wir werden es ganz vorsichtig tun, denn wir wissen, dass diese Kolleg:innen bereits marginalisiert sind und dass wir sie nicht in einen Konflikt mit ihrer Arbeitsstelle bringen dürfen. Und so würden wir hoffen, dass das Unausgesprochene zwischen uns dasselbe meint. Wohl wissend, dass es nicht in der Verantwortung oder der Macht der nicht-weißen Kolleg:innen liegt, die Institution von ihrem Rassismus zu befreien. Wohl wissend, dass sie vielleicht nicht die Kapazitäten oder den Willen haben, uns in unserem Anliegen zu unterstützen, und dass Kapazität und Wille nah beieinander liegen. Und dass es in manchen, in einigen, in vielen Schulen und Kindergärten überhaupt keine Schwarzen, migrantischen, jüdischen, of Color Mitarbeiter:innen gibt. Woraufhin sich die Katze in den Schwanz beißt. Denn was wir dann sagen müssten, ist: ...

Matti Traußneck

Matti Traußneck ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Verschränkungen von Herrschaftsverhältnissen und Erinnerungspolitiken.