Kein großer Wurf

Ganztagsschule im Entwurf zur Schulgesetzänderung

Anfang Oktober haben die Koalitionsparteien CDU und Grüne mit Kultusminister Alexander Lorz Eckpunkte zur Novellierung des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) vorgestellt. Es geht dabei nur um wenig substantielle, kleinteilige Änderungen. Ein konsequent am Ziel der Bildungsgerechtigkeit ausgerichteter Entwurf ist nicht zu erkennen. Gerade bezogen auf die Ganztagsschulen wär dies aber notwendiger denn je, sind doch nach wie vor nur weit unter 5 Prozent aller hessischen Schulen echte Ganztagsschulen. Damit bildet Hessen das Schlusslicht in der Bundesrepublik Deut. Doch was sieht der Koalitionsentwurf für den Bereich der Einrichtung von Ganztagsschulen vor?

Wo Ganztag draufsteht ...

Das Schulgesetz regelt in § 15, welche Formen ganztägiger Angebote an hessischen Schulen möglich sind. Hierfür sieht der Entwurf keine Veränderungen vor. Es soll weiterhin eine Betreuung geben, die vom Schulträger organisiert und finanziert werden muss und nur räumlich in oder an Schulen stattfinden soll. Wie bisher sieht der Gesetzentwurf „Ganztägige Angebote“ und „Ganztagsschulen“ vor. Neu ist dabei folgende Formulierung:
„Schulen mit Ganztagsangeboten und Ganztagsschulen (…) verbinden den Unterricht sowie weitere Bildungs- und Betreuungsangebote auf der Grundlage einer pädagogischen und organisatorischen Konzeption miteinander.“
Erstmals sollen der „Pakt für den Nachmittag“ (PfN) sowie eine Betreuung während der Ferien im Schulgesetz festgeschrieben werden.

Dazu soll die bisherige Regelung in § 15 Abs.3 HSchG wie folgt ergänzt werden: „Die Schule mit Ganztagsangeboten nach Abs.1 Nr.2 führt Ganztagsangebote in Zusammenarbeit mit freien Trägern, den Eltern oder qualifizierten Personen durch, die die kulturelle, soziale, sportliche, praktische, sprachliche und kognitive Entwicklung der Schülerinnen und Schüler fördern. Durch Einbeziehung des Schulträgers und der öffentlichen Träger der Jugendhilfe kann das Bildungs- und Betreuungsangebot weiter ausgedehnt werden (Pakt für den Nachmittag) und sich auch auf die Ferien erstrecken. Die Teilnahme an diesen Ganztagsangeboten ist freiwillig.“

...  ist nicht immer Ganztag drin

Neben den „Schulen mit Ganztagsangeboten“, die Vormittag und Nachmittag nur „verbinden“ sollen, soll es ausschließlich an „Ganztagsschulen“ (und nur dort!) möglich sein, den Tagesablauf zu rhythmisieren:
„Die Ganztagsschule nach Abs.1 Nr.3 erweitert die Angebote der Schulen mit Ganztagsangeboten um eine rhythmisierte Organisation des Tagesablaufs, bei der Unterricht und Ganztagsangebote auf den Vormittag und den Nachmittag verteilt werden können, um die pädagogischen und sonderpädagogischen Belange ganzheitlich berücksichtigen zu können.“

Ganztagsschulen sollen „in teilgebundener oder gebundener Form“ organisiert werden können. Aus informierten Kreisen war zu hören, dass sich „teilgebunden“ sowohl auf die Möglichkeit beziehen soll, nur einzelne Klassen als Ganztagsschulklassen zu führen oder die Ganztagsschule auf einen Teil des Schultags zu begrenzen, die Teilnahmepflicht also beispielsweise auf die Zeit bis 14.30 Uhr zu begrenzen. Welche Definition sich durchsetzen wird, wird man sehen, wenn nach der Verabschiedung des Schulgesetzes eine neue Ganztagsrichtlinie zur Diskussion steht.

Pakt für den Nachmittag

Mit dem Entwurf soll eine Regelung in Gesetzesform gegossen werden, die in den letzten Jahren auf viel Kritik gestoßen ist. Der „Pakt für den Nachmittag“, der in der Koalitionsvereinbarung Ende 2013 mit dem Ziel einer Betreuungsgarantie auf den Weg gebracht wurde, war vor allem bei Lehrerinnen und Lehrern auf Kritik gestoßen, da er lediglich additive Angebote in der Verantwortung des Landes bis 14.30 Uhr und des Schulträgers, freier Träger und Fördervereine ab 14.30 Uhr ermöglicht. Schulen kritisierten die teilweise nicht unerheblichen Elternbeiträgen und forderten die Schaffung zusätzlicher Räume und zusätzlicher Mittel für echte Ganztagsschulen. Viele Schulen lehnten deshalb eine Beteiligung am PfN ab.

Wie bisher ist es die Aufgabe der Schulkonferenz, über die Form der ganztägig arbeitenden Schule zu entscheiden (§ 14 Abs.4, §      129 Punkt 2 HSchG). Auch die Regelung, dass die Gesamtkonferenz vor der Entscheidung der Schulkonferenz anzuhören ist, bleibt unverändert (§ 133 HSchG Abs.1). Da ganztägige Angebote, in welcher Variante auch immer, die „Grundsätze der Unterrichts- und Erziehungsarbeit an der Schule“ erheblich tangieren, ist auch nach § 133 Abs.1 Punkt 1 die Entscheidungskompetenz der Gesamtkonferenz zu beachten.
An mehreren Stellen soll durch die Änderung des HSchG die Durchführung von schulischen Angeboten in den Ferien geregelt werden. Begründet wird dies mit versicherungsrechtlichen Fragen bei Ferienangeboten im Rahmen des PfN oder von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen durchgeführten Lerncamps. An diesen Angeboten nehmen Schülerinnen und Schüler bisher freiwillig teil, teilweise sogar schul- und schulamtsübergreifend.
Unter dem Titel „Schulische Förder­angebote in den Ferien“ sieht der Entwurf im neuen § 15c Folgendes vor:
„Förderangebote in den Ferien können als schulische Veranstaltung durchgeführt werden. Über eine Durchführung als schulische Veranstaltung entscheidet bei Angeboten, an denen die Schülerinnen und Schüler nur einer Schule teilnehmen, die Schulleiterin oder der Schulleiter. Im Übrigen entscheidet die Schulaufsichtsbehörde.“

Schule auch in den Ferien?

Ein Regelung, die auch das Ausmaß der Dienstpflichten von Lehrkräften berücksichtigt, ist offensichtlich nicht gewünscht. Dass Kinder und Jugendliche, die einer Förderung in der Schule (zum Beispiel aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen) bedürfen, spezielle Angebote benötigen, ist unstrittig. Eine schlichte Fortführung des Unterrichts (und nichts anderes sind schulische Förderangebote) hilft da nicht weiter und ist aus pädagogischer Sicht nicht sinnvoll und rechtlich nicht zulässig. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht zu schulischen Veranstaltungen während der Ferien verpflichtet werden. Aus der Struktur des Schulgesetzes sowie der Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses ergibt sich, dass sich die Schulpflicht nicht auf die Ferien erstreckt. Notwendig sind – nicht nur während der Ferienzeit – Maßnahmen, die eine gezielte sozialpädagogische Begleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in Projekten der schulischen Sozialarbeit und der Jugendhilfe ermöglichen.

Außerdem bleibt die Frage, wer denn die schulischen Förderangebote fortführen soll. Wir befürchten, dass es sich dabei um Lehrkräfte handeln soll. Die Arbeitsbelastung von Lehrkräften in Hessen ist sehr hoch. Das zeigen die vielen Überlastungsanzeigen ganzer Kollegien in den letzten Jahren. Die Ferienzeit ist für Lehrkräfte keine Urlaubszeit, sondern unterrichtsfreie Zeit, die der Vor- und Nachbereitung von Unterricht dienen und in der der gesetzliche Erholungsurlaub genommen werden muss. Den Lehrkräften weitere zusätzliche Aufgaben aufzubürden, ist völlig inakzeptabel.

Es geht um Bildung

Freiwillige Betreuungsangebote im Anschluss an den Unterricht lösen nur Betreuungsprobleme. Doch es geht nicht nur um Betreuung, es geht auch um Bildung. Dazu müssen konsequent mehr echte rhythmisierte Ganztagsschulen geschaffen werden. Nur diese können einen substanziellen Beitrag zu einer besseren individuellen Förderung leisten und zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. Der „Pakt für den Nachmittag“ sieht aber nur ein zusätzliches, oft kostenpflichtiges Betreuungsangebot vor. Wenn echte Ganztagsschulen richtig ausgestattet und mit einem entsprechenden pädagogischen Konzept versehen sind, sind sie ein Gewinn für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. Dazu braucht es ausreichend fachlich qualifiziertes Personal, angemessene räumliche Bedingungen und natürlich ein darauf aufbauendes pädagogisches Konzept für die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Damit die unterschiedlichen Professionen auf Augenhöhe kooperieren können, muss sichergestellt sein, dass alle feste Beschäftigungsverhältnisse haben und möglichst beim selben Träger, dem Land Hessen, beschäftigt sind und dem Schutz durch das Hessische Personalvertretungsgesetz und die ausgehandelten Tarifverträge unterliegen.

Insofern sind die neuen Regelungen im Schulgesetz kein großer Wurf. Ein konsequenter Ausbau echter Ganztagsschulen erfordert mehr als nur schulgesetzliche Änderungen. Die räumlichen, materiellen und personellen Bedingungen müssen hierfür geschaffen werden. Dass die bisherigen Finanzierungsmodelle und Raummodelle hierfür nicht ausreichend sind, berichten alle Schulen, egal in welchem Profil sie arbeiten. Hier sind Kommunen und Land gefordert.


Maike Wiedwald ist stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Hessen