Wie gemeinnützig sind Privatschulen?

Zahl der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen in Hessen wächst

HLZ 2022/4: Berufsausbildung

Die GEW Hessen hat sich bereits im Jahr 2018 ausführlich mit der Entwicklung der Privatschulen befasst. Der seinerzeit auszumachende Trend hat sich seitdem fortgesetzt: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Privatschule in Hessen besuchen, hat weiter zugenommen. Unterdessen hat im vergangenen Jahr der Bundesfinanzhof eine wichtige Entscheidung bezüglich der Aberkennung der Gemeinnützigkeit eines Privatschulträgers getroffen. Diese erhöht die Anforderungen an eine steuerrechtliche Privilegierung von Privatschulen erheblich. Dadurch könnte das Geschäftsmodell von privaten Trägern unter Druck geraten.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an einer Privatschule ist in den vergangenen Jahren bundesweit gewachsen. Das gilt auch für Hessen. Unsere Auswertung der vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellten Daten zeigt allerdings deutliche Unterschiede hinsichtlich der Region und der Schulform auf. Besonders stark ist die Zunahme im Primarbereich, so dass inzwischen über 10.000 Schülerinnen und Schüler eine private Grundschule besuchen (vgl. Tabelle). Vom Schuljahr 2005/06 bis zum Schuljahr 2020/21 hat sich die Zahl der Grundschulen in privater Trägerschaft mehr als verdoppelt, nämlich von 41 auf 87. Ein Großteil dieser Dynamik entfällt auf den Regierungsbezirk Darmstadt, der ganz Südhessen einschließlich der Stadt Frankfurt umfasst. Auch im mittelhessischen Regierungsbezirk Gießen sowie im nordhessischen Regierungsbezirk Kassel ist der Privatschulsektor gewachsen, aber deutlich langsamer. Nach unserer neusten Erhebung hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler an allen Privatschulen zum Schuljahr 2020/21 auf rund 49.000 erhöht. Der Anteil der Privatschulen in Relation zur Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler beträgt damit mittlerweile 7,7 Prozent – 15 Jahre zuvor waren es noch 5,5 Prozent.

Sonderungsverbot im Grundgesetz 

Bedenklich ist das zu beobachtende Wachstum der Privatschulen, weil dieses mit einer zunehmenden sozialen Segregation einhergeht: Der Anteil von Kindern mit Eltern mit einem akademischen Abschluss fällt dort deutlich höher aus als an öffentlichen Schulen. Zudem leben Schülerinnen und Schüler, die Privatschulen besuchen, häufiger in Haushalten mit hohen Einkommen. (1)

Vor diesem Hintergrund ist gerade die dynamische Zunahme im Grundschulbereich besonders problematisch. Sie ist auch rechtlich äußerst fragwürdig, da das Grundgesetz in Artikel 7 Absatz 5 besonders hohe Anforderungen für deren Genehmigung vorsieht, denn für diese muss ein „besonderes pädagogisches Interesse“ vorliegen. Darüber hinaus gilt für die Genehmigung von allen privaten Ersatzschulen nach Absatz 4, dass diese nur zulässig ist, wenn die „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“. Es ist fraglich, ob die Entwicklung des Privatschulsektors noch mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist.

Häufig dürften Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil sie hier einen größeren Bildungserfolg erwarten. Empirische Befunde widersprechen dieser Erwartung allerdings: Wenn der Einfluss des familiären Hintergrunds – insbesondere Einkommen und berufliche Stellung der Eltern – berücksichtigt wird, dann bestehen bei den erworbenen Kompetenzen der Kinder nur geringe Unterschiede. (2)

Urteil des Bundesfinanzhofs

Die Frage, inwiefern der Träger einer Privatschule die Allgemeinheit fördert, auch wenn ein Schulgeld in erheblicher Höhe anfällt, beschäftigte in den letzten Jahren die Finanzgerichtsbarkeit. Der Anlass dafür war die Entscheidung eines Finanzamts aus dem Jahr 2014. Dabei ging es um eine internationale Schule als Ergänzungsschule mit Englisch als erster Unterrichtssprache. Das zuständige Finanzamt entschied, dass der Träger nicht mehr als gemeinnützig eingestuft wird. Dadurch entfiel für diesen die Befreiung von der Körperschaftssteuer, die für als gemeinnützig anerkannte Körperschaften vorgesehen ist. Darüber hinaus fiel damit die Möglichkeit weg, Sach- und Geldzuwendungen an den Träger steuermindernd anzusetzen. Daraufhin rief der Träger das Finanzgericht an, welches den Bescheid des Finanzamts bestätigte. Im Anschluss wurde diese Angelegenheit vor den Bundesfinanzhof gebracht, somit an das höchste Finanzgericht.

Der Entscheid des Bundesfinanzhofs erging am 26. Mai 2021. Er wies die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts als unbegründet zurück. (3) Es bleibt somit endgültig dabei, dass der nicht namentlich genannten Privatschule die Gemeinnützigkeit aberkannt wird.

Der Entscheid des Bundesfinanzhofs wurde inzwischen im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Damit ist er für die Finanzverwaltung maßgeblich und von allen Finanzämtern und Finanzgerichten bundesweit zu berücksichtigen. Der Bundesfinanzhof überprüfte das vorangegangene Urteil des Finanzgerichts und machte sich letztendlich dessen Argumentation zu eigen. In seiner Entscheidungsbegründung stellt er unmissverständlich fest, dass eine Förderung der Allgemeinheit im Sinner der steuerrechtlich maßgeblichen Abgabenordnung in diesem konkreten Fall nicht gegeben ist.

Der Träger einer Privatschule fördert demnach „mit dem Schulbetrieb nicht die Allgemeinheit, wenn die Höhe der Schulgebühren auch unter Berücksichtigung eines Stipendienangebots zur Folge hat, dass die Schülerschaft sich nicht mehr als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt.“ Eine Förderung der Allgemeinheit könne auch nicht „allein aufgrund des Angebots eines alternativen Schulmodells sowie eines weiteren Schulabschlusses angenommen werden.“ Ebenso wird das vorgebrachte Argument verworfen, das international ausgerichtete Schulangebot diene aufgrund der Förderung des Wirtschaftsstandorts der Allgemeinheit.

Schulgeld und Einkommen

Das 2014 erhobene Schulgeld spielt bei dieser Entscheidung eine wesentliche Rolle: Dieses lag zwischen 11.000 und 17.000 Euro im Jahr. Hinzu kam eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 400 Euro pro Jahr und eine einmalige Einschreibegebühr von 3.000 bis 7.000 Euro. Für Familien mit mehreren Kindern auf der Schule oder bei einem bestimmten Haushaltseinkommen konnte ein Nachlass in Höhe von 50, 75 oder 100 Prozent eingeräumt werden. Tatsächlich befreit wurde nicht mehr als rund ein Zehntel der Schülerinnen und Schüler.

Der Bundesfinanzhof stellt in seiner Begründung einen ausdrücklichen Bezug zwischen der Staffelung des Schulgeldes und der Einkommensverteilung her. Die monatlichen Kosten für den Besuch der Schule betrugen demnach zwischen 950 und 1.450 Euro. Demgegenüber verfügte im betreffenden Jahr ein Viertel der Haushalte in Deutschland über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von bis zu 1.500 Euro. Bei der Hälfte der Haushalte liege dieses bei bis zu 2.500 Euro:
„Vor diesem Hintergrund ist es angesichts der Stipendiatenquote von weniger als 10 % jedenfalls möglich, dass der Kreis der Schüler (…) sich nicht als Ausschnitt der Allgemeinheit, sondern als kleiner Kreis von Schülern wohlhabender Eltern darstellt.“

Aufgrund einer großen Anfrage der Fraktion der SPD von 2015 liegen detaillierte Angaben zur Ausgestaltung des Schulgeldes in Hessen vor (4). Viele Privatschulen erheben demnach ein monatliches Schulgeld im drei- bis vierstelligen Bereich, soziale Staffelungen und Stipendien sind oftmals nicht vorgesehen. Die große Anfrage liegt inzwischen einige Jahre zurück. Da sich jedoch weder hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben noch hinsichtlich der Schulaufsicht über die Privatschulen etwas Wesentliches geändert hat, dürfte dem noch immer so sein.

Der Befund von Marcel Helbig und Michael Wrase vom Wissenschaftszentrum Berlin ist daher nach wie vor zutreffend. Sie sprechen hinsichtlich des Sonderungsverbots von einem „missachteten Verfassungsgebot“. (5)

Gemeinnützigkeit fraglich

Die turnusgemäße Überprüfung der Gemeinnützigkeit findet alle drei Jahre statt. Es ist daher möglich, dass einer größeren Zahl an Privatschulen die bislang bestehende Gemeinnützigkeit abgesprochen wird. So dürfte beispielsweise die Frankfurt International School (FIS) ähnliche Voraussetzungen mitbringen wie die Schule, um die es in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs ging. Das Schulgeld startet den auf der Homepage der FIS veröffentlichten Angaben zufolge bei gut 20.000 Euro pro Jahr. Es können zwar Ermäßigungen in Abhängigkeit vom Einkommen eingeräumt werden, in welchen Ausmaßen diese tatsächlich gewährt werden, ist aber nicht ersichtlich. Genau das gegebenenfalls zu überprüfen, ist nun zweifelsohne die Aufgabe des zuständigen Finanzamts. Dieser wird es hoffentlich gewissenhaft nachkommen.


Kai Eicker-Wolf und Roman George

(1) Katja Görlitz, Katharina Spieß, Elena Ziege, Fast jedes zehnte Kind geht auf eine Privatschule – Nutzung hängt insbesondere in Ostdeutschland zunehmend vom Einkommen der Eltern ab, in: DIW Wochenbericht 51+52/2018.
(2) Klaus Klemm, Lars Hoffmann, Kai Maaz, Petra Stanat, Privatschulen in Deutschland, Berlin 2018, S. 42 ff.
(3) Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. Mai 2021, V R 31/19.
(4) Hessischer Landtag, Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Ersatzschulen, 2015, Drucksache 19/1632.
(5) Marcel Helbig, Michael Wrase, Übersicht über die Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots in den Bundesländern, WZB-Discussion Paper 2017-004.