Foto v.l.: Kai Eicker-Wolf, referent Finanzpolitik, Birgit Koch, Vorsitzende, Karola Stötzel, Stellv. Vorsitzende der GEW Hessen | Pressekonferenz 2018, Wiesbaden
Bundesweit steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die keine öffentliche Schule besuchen, sondern eine als Ersatzschule anerkannte Privatschule. Dies gilt auch für Hessen. Dies ist besonders alarmierend, da für Hessen besondere Zweifel bestehen, ob das im Grundgesetz verankerte Sonderungsverbot eingehalten wird. (1) Nach Artikel 7 Absatz 4 GG dürfen Privatschulen keine „Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ vornehmen. In einer ausführlichen Expertise, die am 7. März auf einer Landespressekonferenz vorgestellt wurde, untersucht die GEW Hessen, wie sich die Zahl der Privatschulen und der sie besuchenden Kinder und Jugendlichen im Bereich der allgemeinbildenden Schulen in Hessen entwickelt hat. Dabei greifen wir auf Zahlen zurück, die von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder unter www.bildungsmonitoring.de bereitgestellt werden (2).
Der folgende Artikel konzentriert sich auf die Entwicklung der Grundschulen.
Die regionale Entwicklung verläuft in den drei Regierungsbezirken Darmstadt, Gießen und Kassel sehr unterschiedlich. Der Stadt Frankfurt kommt als Großstadt eine besondere Bedeutung zu. Außerdem betrachten wir die Stadtregion Frankfurt, der die Stadt Offenbach sowie mehrere Landkreise im Umland zugerechnet werden.
Die Gesamtzahl der Privatschulen hat sich in Hessen seit dem Schuljahr 2005/06 von 163 auf 237 und damit um 45 Prozent erhöht. Schulen mit mehreren Schulformen werden, wie in der Schulstatistik üblich, mehrfach gezählt. Besonders stark fällt die Zunahme im Regierungsbezirk Darmstadt und in der Stadtregion Frankfurt aus. Mit einem Plus von 39 Schulen ist der Anstieg im Grundschulbereich besonders auffällig. Auch hier konzentriert sich der Zuwachs auf die Stadtregion Frankfurt.
Auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in Hessen Privatschulen besuchen, weist eine deutliche Aufwärtsbewegung auf. Die Steigerung um 7.630 Kindern und Jugendliche entspricht einem Anstieg von etwa 20 Prozent. Dabei ist die Zunahme im Regierungsbezirk Darmstadt mit 6.727 Personen (+ 28 Prozent) deutlich größer als in den anderen beiden Regierungsbezirken. In der Stadtregion Frankfurt und in Frankfurt liegen die prozentualen Zunahmen mit 40 bzw. 57 Prozent noch einmal deutlich über der Steigerung im weiter gefassten Regierungsbezirk Darmstadt.
Sowohl bei der Zahl der Schulen als auch bei der Schülerzahl betrifft der Zuwachs vor allem die privaten Grundschulen: Das Plus von 4.538 Personen macht rund 60 Prozent des Zuwachses aller Schulen aus. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler hat sich somit seit dem Schuljahr 2005/06 fast verdoppelt. Auch hier ist die Entwicklung im Regierungsbezirk Darmstadt mit einem Plus von 4.000 Kindern und Jugendlichen, davon gut 3.000 in der Stadtregion Frankfurt, besonders ausgeprägt.
Auch der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die Privatschulen besuchen, unterschiedet sich zwischen den Regionen. Am höchsten liegt der Anteil im Schuljahr 2016/17 mit knapp 10 Prozent in der Stadt Frankfurt, am geringsten mit gut fünf Prozent im Regierungsbezirk Gießen. Im Zeitverlauf hat sich der Anteil der Privatschulen allerdings auch in Nord- und Mittelhessen deutlich erhöht, da die Gesamtschülerzahl im hier betrachteten Zeitraum in diesen Regionen zurückgegangen ist. Der Anteil der Privatschulen ist also hessenweit gewachsen, auch wenn der Anstieg in Südhessen am markantesten ausfällt. Hinsichtlich der verschiedenen Schulformen ist insbesondere das starke Gewicht der privaten Grundschulen in Frankfurt auffällig: Während hessenweit gut 4 Prozent der Grundschulkinder eine Privatschule besuchen, sind es in Frankfurt deutlich über 10 Prozent.
Es gibt empirische Hinweise, dass Privatschulen insbesondere von Kindern aus Familien mit einem höheren Einkommen, Eltern mit Abitur und einer hohen beruflichen Stellung besucht werden und sich die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft an Privatschulen mithin von der an staatlichen Schulen deutlich unterscheidet. Mit dem Anstieg der Zahl von Schülerinnen und Schülern, die in Hessen Privatschulen besuchen, haben sich bereits Weishaupt und Kemper befasst. Nach ihren Ergebnissen korreliert die Besuchsquote von privaten Grundschulen unter anderem mit der wirtschaftlichen Stärke von Landkreisen und kreisfreien Städten. Dabei gehen Weishaupt und Kemper zu Recht davon aus, dass zwischen der jeweiligen regionalen wirtschaftlichen Stärke und der Zahl der Hocheinkommensbezieherinnen und -bezieher ein Zusammenhang besteht. (3)
Ein statistisch zuverlässigeres Kriterium für den Zusammenhang zwischen hohen Einkommen und dem Besuch von Privatschulen würden allerdings regionale Zahlen von Personen liefern, denen hohe Einkommen zufließen. Tatsächlich stellt das Hessische Statistische Landesamt entsprechende Zahlen bereit, die für eine statistische Analyse verwendet werden können: So steht die absolute Zahl der Personen mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 125.000 Euro auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte zur Verfügung. Es handelt sich dabei um die reichsten 3,5 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen. In dieser Einkommensklasse dürfte ein Privatschulbesuch für Eltern, auch wenn höhere Gebühren erhoben werden, mithin finanziell kein Problem darstellen.
Um zu überprüfen, inwiefern es zwischen dem Anteil der Privatschulen an allen Schulen bzw. der Privatschulen besuchenden Schülerinnen und Schüler an der Gesamtschülerschaft einerseits und dem Anteil der Hocheinkommensbezieherinnen und -bezieher mit einem so definierten Hocheinkommen andererseits einen statistischen Zusammenhang gibt, haben wir Korrelationskoeffizienten berechnet. Der Korrelationskoeffizient ist ein Maß für die Stärke eines linearen Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalen und kann einen Wert von maximal 1,0 annehmen. Je höher der Wert, desto stärker ausgeprägt ist der jeweilige statistische Zusammenhang. Die Korrelationswerte lassen auf das Bestehen eines regionalen Zusammenhangs von Hocheinkommensbezieherinnen und -beziehern auf der einen und dem Besuch von privaten Schulen auf der anderen Seite schließen. Deutliche Korrelationen mit Werten zwischen 0,5 und 0,8 bestehen bei den Schulen insgesamt sowie bei Schülerinnen und Schülern, die Grundschulen besuchen. Dabei fallen die Werte höher aus, wenn nur die Landkreise ohne die kreisfreien Städte zugrunde gelegt werden.
Die Korrelationskoeffizienten steigen sowohl für alle Schulen als auch für die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler an, wenn nur Schulen berücksichtigt werden, die im Durchschnitt mehr als 160 Euro bzw. mehr als 300 Euro Schulgeld pro Monat verlangen. Auch bei dieser Abgrenzung fallen die Werte höher aus, wenn die kreisfreien Städte ausgeklammert werden. Außerdem treten jetzt auch starke Korrelationen auf: Für die Schulen ergeben sich hohe Korrelationskoeffizienten bei beiden Schulgeldgrenzen in Höhe von 0,9, und für die Zahl der Schülerinnen und Schüler erreicht der Koeffizient bei einem Schulgeld ab 300 Euro einen Wert von 0,8. Dies kann als Hinweis interpretiert werden, dass Privatschulen insbesondere von Schülerinnen und Schülern aus einkommensstarken Haushalten besucht werden. Oder umgekehrt: Privatschulen siedeln sich offensichtlich bevorzugt in Regionen mit einer hohen Zahl von einkommensstarken Haushalten an.
Gesellschaftliche Spaltung
Das deutsche Bildungssystem zeichnet sich sowieso schon dadurch aus, dass der Bildungserfolg stark durch die soziale Herkunft determiniert ist. Dieser Effekt wird durch die Zunahme von Privatschülerinnen und Privatschülern vermutlich verstärkt: Privatschulen besuchen vor allem Kinder, deren Eltern einen höheren sozio-ökonomischen Status aufweisen. Von den Privatschulen versprechen sich die Eltern dann wiederum ein besseres Bildungsangebot. Dieser Prozess korrespondiert mit einer abnehmenden sozialen Mobilität und einer generell steigenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Deutschland. Ob Privatschulen tatsächlich das versprochene bessere Bildungsangebot liefern, muss zwar bezweifelt werden, es befördert aber zweifellos bereits bestehende gesellschaftliche Spaltungsprozesse, wenn unterschiedliche Lebenswelten auch in der Institution Schule nicht mehr miteinander in Berührung kommen. Dies gilt besonders für die Grundschule als „Schule für alle“.
Daneben stellt sich auch die Frage, inwiefern die Expansion von Privatschulen die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Bildungssystems gefährdet. So stehen alleine die öffentlichen Schulen in der Pflicht, das Menschenrecht auf inklusive Bildung zu gewährleisten. Zudem obliegt auch die gesellschaftliche Herausforderung der Integration und der Sprachförderung quasi ausschließlich dem öffentlichen Schulsystem. Wenn sich insbesondere in den Ballungszentren, wo sich zudem auch die Armutsproblematik konzentriert, ein relevanter Anteil der Elternschaft aus dem öffentlichen Schulsystem zurückzieht, verschlechtern sich für die staatlichen Schulen die Chancen, den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden.
Dr. Kai Eicker-Wolf, Referent Finanzpolitik | Dr. Roman George, Referent Bildungspolitik
(1) Michael Wrase/Laura Jung/Marcel Helbig (2017): Defizite der Regulierung und Aufsicht von privaten Ersatzschulen in Bezug auf das Sonderungsverbot nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, WZB-Discussion Paper P 2017-003
(2) Für eine ausführliche Darstellung siehe Kai Eicker-Wolf/Roman George (2018): Ein Beitrag zur wachsenden sozialen Ungleichheit: Die Entwicklung des Privatschulbesuchs in Hessen seit dem Schuljahr 2005/06, Finanzpolitisches Arbeitspapier der GEW Hessen Nr. 3, www.gew-hessen.de
(3) Horst Weishaupt/Thomas Kemper (2015): Die Entwicklung privater Grundschulen in Hessen, in: SchulVerwaltung Hessen/Rheinland-Pfalz, 5/2015