Arbeitspapier Privatschulen in Hessen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat einen ausführlichen Bericht zur Entwicklung der Privatschulen in Hessen vorgelegt. Die Landesvorsitzende, Birgit Koch, sowie die stellvertretende Vorsitzende, Karola Stötzel, stellten das Papier heute gemeinsam mit Kai Eicker-Wolf, einem der beiden Autoren, in Wiesbaden vor.
„Vieles hatten wir vermutet, aber in ihrer Klarheit haben uns die Befunde doch überrascht“, so fasste Birgit Koch die Ergebnisse des Berichts zusammen. „Es ist eine deutliche Zunahme der Zahl der Privatschulen und des Privatschulbesuchs auszumachen, wobei dies insbesondere für den Bereich der Grundschulen gilt. Regional ist der Anstieg vor allem im Regierungsbezirk Darmstadt und hier wiederum in der Stadtregion Frankfurt festzustellen.“
Neben Zahlen des Statistischen Bundesamtes und des Hessischen Statistischen Landesamtes haben Eicker-Wolf und Roman George, die finanz- bzw. bildungspolitischen Referenten der GEW Hessen, für ihren Bericht auch das sehr umfangreiche Material einer Großen Landtagsanfrage aus dem Jahr 2015 herangezogen.
Ein zentrales Ergebnis ihrer Auswertung ist, dass die privaten allgemeinbildenden Schulen in der Mehrheit hohe und zum Teil sehr hohe Schulgebühren von 300 Euro und mehr pro Monat verlangen. Dies ist nach Einschätzung von Koch sehr problematisch: „Zu den hohen Gebühren kommen in vielen Fällen weitere versteckte Kosten durch Aufnahmegebühren usw. hinzu. Außerdem sieht nur eine Minderheit der Schulen eine Schulgeldbefreiung vor. Es überrascht deshalb auch nicht, dass auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte zum Teil ein ziemlich deutlicher statistischer Zusammenhang zwischen hohen Einkommen auf der einen und der Verbreitung von Privatschulen auf der anderen Seite besteht.“
Privatschulen werden, so Koch weiter, offensichtlich vor allem von Kindern besucht, deren Eltern durchschnittlich besser verdienen, besser gebildet sind und einen höheren sozialen Status aufweisen. Hier sieht die GEW eine deutliche Diskrepanz zum so genannten Sonderungsverbot des Grundgesetzes (Art. 7, Abs. 4), das eine Sonderung von Kindern nach den Besitzverhältnissen der Eltern untersagt. Dieser Befund ist nach Auffassung von Karola Stötzel besonders bedenklich hinsichtlich der starken Zunahme privater Grundschulen in Frankfurt und dem Umland, wo inzwischen ein gutes Zehntel der Schülerschaft eine Privatschule besucht: „Der Grundschule kommt als ‚Schule für alle‘ eine besondere Bedeutung zu, da alleine in dieser Schulform grundsätzlich alle Kinder unabhängig vom jeweiligen sozialen Hintergrund gemeinsam unterrichtet werden. Dieser Rolle der Grundschule trägt das Grundgesetz dadurch Rechnung, dass es hier noch einmal höhere Hürden für die Genehmigung von privaten Ersatzschulen vorsieht.“
Koch und Stötzel bezweifelten deshalb, dass die Landesregierung ihrer Aufgabe in angemessenem Umfang nachkomme, die Entwicklung der Privatschulen sorgfältig zu beobachten und diese zu steuern. Birgit Koch erläuterte: „Die genannten besorgniserregenden Tendenzen werfen aus unserer Sicht die Frage auf, ob die Genehmigung von Privatschulen, ebenso wie die Schulaufsicht über die bestehenden Privatschulen, in den vergangenen Jahren mit der gebotenen Sorgfalt gehandhabt wurde. Letztendlich ist auch zu überprüfen, wie eine stärkere gesetzliche Regulierung des Privatschulwesens erfolgen kann, um bestehende Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir halten es für eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung, wenn Kinder aus wohlhabenden Familien sich schon mit dem Start der Schullaufbahn aus dem öffentlichen Bildungssystem verabschieden.“
Karola Stötzel wies abschließend darauf hin, dass die dauerhafte Unterfinanzierung des staatlichen Bildungssystems ein ausschlaggebender Faktor für den Privatschul-Boom sein dürfte: „Wohlhabende Eltern dürften ihre Kinder gerade deshalb auf private Schulen schicken, weil die öffentlichen Schulen zunehmend unattraktiv erscheinen. Wer genug Geld hat, versucht sich so einer unzureichenden personellen Ausstattung und maroden Schulgebäuden zu entziehen. Das aber ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar: Die öffentliche Hand muss das Bildungssystem endlich durchgreifend und nachhaltig verbessern. Leere Versprechen der Politik, mehr Geld für Bildung auszugeben, helfen nicht weiter. Es müssen gerade diejenigen höher besteuert werden, die es sich leisten können, sich aus dem öffentlichen Bildungssystem zu verabschieden – um auf dieser Basis die Lernbedingungen für alle Schülerinnen und Schüler zu verbessern!“