Politische Bildung ist in den letzten Jahren wieder verstärkt in das Zentrum politischer Auseinandersetzungen gerückt. Gesellschaftliche Dauerkrisen und deren Verschärfungen durch die Pandemie und auch durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind Teil einer tiefgreifenden Krise der Demokratie. Die Krise der Demokratie drückt sich nicht zuletzt aus im weltweiten Erstarken autoritärer bis faschistischer Bewegungen und Parteien, die schon länger globale Netzwerke aufbauen, deren Ausrichtung die Zerstörung demokratischer Teilhabe und Debatte ist. In diesem Rahmen wird politische Bildung angesprochen als Praxis des Demokratielernens und damit als Mittel gegen antidemokratische Einstellungen und Handlungsweisen. Hierbei spielen insbesondere außerschulische Programme wie „Demokratie leben“ eine wichtige Rolle. Gleichzeitig steht politische Bildung unter Druck, denn eine Strategie rechter und autoritärer Kräfte ist es, Programme und Akteure der politischen Bildung anzugreifen, zu delegitimieren und zu versuchen, ihnen ihre finanzielle Grundlage zu entziehen. Hinzu kommt das Verständnis von politischer Bildung als Prävention gegen „extremistische“ Entwicklungen.
Die vordergründig plausibel scheinende Annahme von politischer Bildung als „Extremismusprävention“ erweist sich als Ausdruck eines Problems, das in den dem Extremismus-Konzept zugrundeliegenden Annahmen wurzelt. Diese Annahmen prägen auch die Rolle, die politischer Bildung in der Bekämpfung von Rechtsextremismus zugesprochen wird, und sind mit einer Vorstellung von Demokratie verbunden, die von extremismustheoretischen Annahmen geleitet ist.
Das Hufeisen des Extremismus
Ein Problem rührt daher, dass es durchaus unterschiedliche Verwendungsweisen des Extremismusbegriffs gibt, die aber dennoch nicht strikt voneinander getrennt werden können. Generell durchgesetzt wurde der Extremismusbegriff in der Praxis des Verfassungsschutzes in den 1970er Jahren, der, nicht zuletzt als Reaktion auf die neuen linken Bewegungen, den Begriff „radikal“ ersetzte. Gespeist aus alten totalitarismustheoretischen Vorstellungen wurde behördlich eine demokratische Normalität festgelegt, von der aus Abweichungen markiert und staatlichen Sanktionen unterworfen werden konnten. Die Diffundierung des Begriffs Rechtsextremismus in die wissenschaftliche Forschung bis zur Etablierung der Rechtsextremismusforschung ist dabei innerhalb der Wissenschaft durchaus von Unbehagen und kritischen Auseinandersetzungen um die Brauchbarkeit und (Un)Schärfe des Begriffs begleitet.
Die Problematik und Unschärfe ergibt sich aus der normativen Vorstellung von Demokratie, die verwoben ist mit der sicherheitspolitischen Perspektive exekutiver Behörden, es gebe eine „normale“ demokratische Mitte, die von extremen Rändern aus angegriffen werde.
Als Maßstab für diese Einteilung dienen Begriffe wie „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, „verfassungsfeindlich“ oder „extremistisch“. Sinnbildlich dafür steht das sogenannte Hufeisenmodell: In der Mitte stehen Parteien und Akteure des demokratischen politischen Spektrums, während sich zu den beiden Enden hin auf der einen Seite linksextremistische und auf der anderen Seite rechtsextreme Strömungen sammeln. Dabei nähern sich die beiden Enden aneinander an. Zentrales Bestimmungselement ist dann nicht der Unterschied von links und rechts, sondern der „Gegensatz zwischen extremistisch und demokratisch“, wie es der bedeutende Vertreter dieser Theorie Eckhard Jesse formuliert. Der Extremismus sei in allen seinen Spielarten die „Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat“, der eine „Äquidistanz“ gegenüber jeglichem Extremismus einhalten müsse.
Neben dieser staatszentrierten Demokratievorstellung rekurriert die zweite wichtige Formel der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor allem auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerG) zum Verbot der SRP 1952. Sarah Schulz wies nach, dass das BVerfG diese Formel aus der strafrechtlichen Diskussion übernommen hatte und sie im Kontext des Antitotalitarismus und Antikommunismus der 1950er Jahre möglichst unbestimmt gelassen hatte.
Durch Staatszentriertheit, Unbestimmtheit und strafrechtliche Prägung wird diese Vorstellung von Demokratie, die mit Hufeisen- und Extremismusmodell transportiert wird, entscheidend verengt auf die bestehende staatliche Ausformung. Andere Demokratiemodelle oder Ideen von Demokratisierung können so auch schnell unter Extremismusverdacht fallen, während gleichzeitig rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden systematisch aus dem Blick genommen werden. Diese Problematik des Extremismusbegriffs ist auch bei einer reflektierten Verwendung des Begriffs „Rechtsextremismus“ nicht einfach abzulegen, sondern schwingt immer wieder mit. Insbesondere seine sicherheitsbehördlichen und politischen Implikationen haben erhebliche Auswirkungen auf die politische Bildung, der wiederum eine wichtige Rolle im antiextremistischen Kampf zugeteilt wird.
Mit der neuen Bundesregierung und insbesondere der Ernennung von Nancy Faeser (SPD) zur Innenministerin deutet sich eine Verschiebung in der Innenpolitik an. Bereits in ihrer ersten Rede im Bundestag bezeichnete sie den „Rechtsextremismus als die größte Gefahr für die Demokratie“. Der am 15. März 2022 vorgestellte Aktionsplan adressiert die größten Herausforderungen in der Bekämpfung rechter antidemokratischer Bewegungen und Ideologien und benennt auch das Problem rechter Akteure in staatlichen Behörden.
Aktionsplan gegen rechts
Aber auch dieser Aktionsplan ist von der Extremismustheorie geprägt. Extremistinnen und Extremisten werden als außerhalb der Gesellschaft gedacht, als wären antisemitische oder rassistische Imaginationen etwas, das sich außerhalb der Gesellschaft befinden würde:
„Das Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz soll auf den Bereich Verschwörungsideologien ausgeweitet werden. Hier sollen diejenigen Hilfe erhalten, die sich aus dem Umfeld organisierter Verschwörungsanhänger etwa der Corona-Leugner lösen wollen und hierbei Unterstützung brauchen.“
Diese Externalisierung grundiert auch den im April erschienenen Lagebericht Antisemitismus des Verfassungsschutzes, der Antisemitismus nur bei Rechts- und Linksextremisten und bei Islamisten verortet und in dem die demokratische Normalgesellschaft ein Blindfleck bleibt.
In diesem Rahmen wird – neben dem Verfassungsschutz – die politische Bildung als Prävention gegen Extremismus adressiert. Damit wird der Aktionsplan in die Reihe extremismuspräventiver Programme wie „Demokratie leben!“ gestellt, die ihrerseits durch die Bereitstellung vieler Fördergelder eine massive Aufwertung non-formaler politischer Bildung bedeuten. Gleichzeitig aber wurde in den letzten Jahren politische Bildung durch Einbettung in die Extremismusprävention in einen sicherheitspolitischen Rahmen gesteckt, der dazu führt, dass politische Bildung in Widersprüche gerät.
Die Sozialwissenschaftlerin Julika Bürgin hat in ihrem Buch über „Extremismusprävention als polizeiliche Ordnung“ (HLZ 11/2021) herausgearbeitet, dass der aus der Kriminalistik übernommene Präventionsgedanke demokratietheoretisch problematisch ist und dass politische Bildung als Prävention in einen Gegensatz zu ihren eigenen Grundsätzen geraten kann.
„Eigene Interessen zurückstellen, andere Perspektiven verstehen und Konflikte aushandeln – all dies muss eingeübt werden.“ Diese Vorstellung der damaligen Familienministerin Giffey (SPD) in ihrem Grußwort zum Handbuch Extremismusprävention des BKA ist der genaue Gegensatz zur Grundidee politischer Bildung, Menschen in die Lage zu versetzen, eigene Interessen zu erkennen, im politischen Rahmen zu verorten und dafür auch einzutreten. Diese Problematik findet sich auch im Aktionsplan wieder:
„Prävention gegen Extremismus beginnt mit einer offenen, fairen und respektvollen Diskussions- und Streitkultur. Gesellschaftliche Debatten sind jedoch zunehmend von Polarisierung, Spaltung und gezielter Desinformation geprägt.“
Diese Gegenüberstellung folgt dem extremismustheoretischen Demokratieverständnis, wonach politische Bildung dazu beitragen soll, dass alle auf das Bestehende verpflichtet werden. Die Kritik bestehender Verhältnisse, die Aufklärung über deren gesellschaftliche Grundlagen und die Erfahrbarmachung möglicher anderer Demokratiekonzepte als zentrale Elemente politischer Bildung werden so verhindert. Politische Bildung verbleibt in einem sicherheitspolitischen Rahmen, der ihr in letzter Konsequenz widerspricht und dazu führt, dass sie den Kampf gegen menschenfeindliche und autoritäre Ideologien und Praxen nur unzureichend führen kann.
Die Benennung von rechts als größter Gefahr für die Demokratie ist begrüßenswert. Dasselbe gilt für viele notwendige Maßnahmen, die im Aktionsplan angedeutet werden. Politische Bildung sollte aber aus dem sicherheitspolitischen Rahmen gelöst werden und eigene Maßstäbe und Begriffe im Kampf für Demokratie setzen und entwickeln.
Daniel Keil
Daniel Keil ist Gesellschaftswissenschaftler und habilitiert derzeit an der Universität zu Köln über die heterogene Rechte in der politischen Krise der EU.