Lehrkräftemangel

Entspannung an den Grundschulen in Sicht?

 

„Grundschul-Lehrermangel bald vorbei“ und „Bald zu viele Lehrkräfte für Grundschulen“ – so die überraschend optimistischen Schlagzeilen in den Medien Ende Januar. Bezug nehmen diese Titel auf eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Eine genaue Analyse der Studie und ihrer Annahmen lässt an dieser positiven Botschaft allerdings Zweifel aufkommen.


Die GEW Hessen stellte im vergangenen Herbst den von ihr ermittelten Lehrkräftemangel vor. Ausgehend vom Jahr 2021 werden demnach am Ende dieses Jahrzehnts in Deutschland fast 63.000 neu ausgebildete Lehrkräfte fehlen. Bis 2035 steigt der Fehlbetrag dann sogar zwischenzeitlich auf über 70.000. Ein besonders großer Mangel droht im Sekundarbereich I ohne Gymnasien, in Hessen entspricht das dem Lehramt an Haupt- und Realschulen.


Kurz nach der GEW publizierte die Kultusministerkonferenz (KMK) im Dezember ihre Modellrechnungen zum Lehrkräftebedarf und zum Lehrkräfteangebot. Die Ergebnisse fallen ähnlich alarmierend aus wie die der GEW-Berechnungen. In den Jahren 2023 bis 2035 übertrifft der Einstellungsbedarf das zu erwartende Lehrkräfteangebot um 68.000. In der Zusammenfassung heißt es: „In allen Lehrämtern lassen die Zahlen einen zum Teil erheblichen Bedarf erwarten. Die Differenzierung nach Lehramtstypen und der fachspezifische Bedarf unter Berücksichtigung der länderspezifischen Besonderheiten zeigen, dass das Problem nicht besetzbarer Stellen in allen Ländern zum Teil langfristig bestehen bleiben wird.“ Auch die KMK sagt besonders große Probleme für den Sekundarbereich I voraus.
 

Vom Mangel zum Überschuss?

Sowohl die GEW Hessen als auch die KMK prognostizieren eine Verbesserung der Lehrkräfteversorgung an den Grundschulen nach dem Jahr 2025, ohne dass das Problem kurzfristig ganz verschwinden wird. Dem widerspricht nun die neue, von Klaus Klemm und Dirk Zorn verfasste Studie der Bertelsmann-Stiftung. Danach wird bereits im kommenden Jahr die Zahl der neu ausgebildeten Lehrkräfte den Einstellungsbedarf übersteigen. Für den Zeitraum bis 2035 ermitteln Klemm/Zorn einen Lehrkräfteüberschuss von fast 46.000. Dieses Ergebnis basiert auf deutlich reduzierten Geburtenzahlen bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts.
 

Grundlage für diese Annahme ist der Rückgang der Geburten im Jahr 2022 und in den ersten acht Monaten des Jahres 2023. Im Jahr 2022 fielen die Geburten um 23.000 Kinder geringer aus, als dies in der aktuell gültigen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes angenommen worden ist (diese Bevölkerungsvorausberechnung liegt sowohl den GEW- als auch den KMK-Berechnungen zugrunde). Im Jahr 2023 waren es dann sogar 79.000 Kinder weniger, wobei diese Zahl auf Basis der Monate bis August hochgerechnet wurde. In ihren Berechnungen zum Lehrkräftebedarf gehen Klemm/Zorn davon aus, dass ab 2024 in jedem Jahr 79.000 Kinder weniger geboren werden, als dies in der Bevölkerungsprognose unterstellt worden ist. Aus einer fallenden Geburtenzahl resultiert logischerweise ein geringerer Bedarf an Grundschullehrkräften – die beiden Bildungsforscher kommen so auf ihr Ergebnis von 46.000 überschüssigen Lehrkräften.
 

Zweifelhafte Annahmen

Tatsächlich scheint die Annahme von dauerhaft geringeren Geburtenraten nicht überzeugend. So könnten die Geburtenzahlen in den beiden Jahren aufgrund von sich überlagernden Krisen (Coronakrise, Ukrainekrieg, Energiekrise) eingebrochen sein. Paare hätten dann ihren grundsätzlich vorhandenen Kinderwunsch nur aufgeschoben. Dann aber würde es sich um eine kurzfristige Veränderung handeln, die keine dauerhafte Auswirkung auf den Lehrkräftebedarf hat.
 

Natürlich beruhen Prognosen immer auf modellhaften Annahmen, die gegebenenfalls angepasst werden müssen. Aber eine gerade erfolgte kurzfristige Verschiebung als einen Trendbruch zu interpretieren, erscheint zweifelhaft oder doch zumindest erklärungsbedürftig. Angeführt werden von Klemm/Zorn lediglich die Ist-Werte der Jahre 2022 und 2023 im Vergleich zu den entsprechenden Vorausberechnungen. Eine Erklärung aber, warum sie von dauerhaft weniger Geburten ausgehen, liefern Klemm und Zorn nicht. Zuzustimmen ist gleichwohl der Schlussfolgerung, dass „überschüssige“ Lehrkräfte eingestellt werden sollten, um die Bildungsqualität zu verbessern – etwa im Rahmen des Ganztags und des Startchancenprogramms. Doch die Studie hat bereits jetzt die bildungspolitische Diskussion in eine problematische Richtung verschoben, denn sie hat auf schwacher empirischer Basis den Eindruck erweckt, das Problem des Lehrkräftemangels werde sich bald von selbst erledigen.