Koalitionsvertrag: Lehrkräftebildung

In Hessen nichts Neues | HLZ Februar 2024

Der Koalitionsvertrag titelt: „Aus Überzeugung für beste Bildung“. In Bezug auf die Lehrkräftebildung ist dieser Anspruch von einer erstaunlichen Ignoranz der Kritik am Hessischen Lehrkräftebildungsgesetz (HLbG) und der aktuellen Ausbildungspraxis gekennzeichnet. Zur Erinnerung: Im Anschluss an das Gesetzgebungsverfahren wurde auf breiter Ebene moniert, dass die Novellierung ohne ernst gemeinte Partizipation der Betroffenen stattfand. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der hessischen Lehrkräftebildung zeigt sich in den oben genannten Passagen des Koalitionsvertrags besonders deutlich.


Bislang wird weder aus den Studienordnungen hessischer Universitäten noch aus den Ausbildungsgängen hessischer Studienseminare ersichtlich, wie hessische Lehramtsanwärterinnen und -anwärter in Theorie- und Praxisphasen auf die Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereitet werden sollen. Auch dem Koalitionsvertrag kann man nicht entnehmen, welche Mitglieder des Personals an inklusiv unterrichtenden Schulen in die multiprofessionelle Teamarbeit mit einbezogen werden, wie die Aufgabenbereiche verteilt werden, wo sich Verantwortungsbereiche überschneiden und welche Zeitkontingente für Koordination und Kooperation vorgesehen sind. Wenn dieser Anspruch kein Lippenbekenntnis bleiben soll, besteht hier dringender Konkretisierungsbedarf.


Die verbindliche Begleitung der Praxisphasen, die Vermeidung der unzulässigen Beschneidung von Studieninhalten durch zentralisierte Prüfungen und eine Angleichung des Studienumfangs von Grund- sowie Haupt- und Realschullehramtsstudiengang wären dringend angeraten. Hessen ignoriert nach wie vor die Empfehlung der KMK zur Einführung einer Mindeststudienzeit von acht Semestern plus Prüfungssemester. Leider wird auch eine Verbesserung der Ausbildung im Quereinstieg nicht konkretisiert. Hier sollen derzeit zwar alle notwendigen inhaltlichen Anforderungen vermittelt werden. Aber im Hinblick auf die Theorie-Praxis-Verzahnung, die sich durch mentorielle Begleitung insbesondere in Unterrichtsversuchen abbilden ließe, bleibt die Ausbildung im Quereinstieg fragmentiert. Auch die geplanten Maßnahmen zur Gewinnung von Quereinsteigerinnen und -einsteigern im Bereich MINT erscheinen fragwürdig – so sind nach wie vor bei bundesweiten Fortbildungen keine Abordnungsstunden für hessische Ausbilderinnen und Ausbilder möglich, da MINT in Hessen kein PRIO-Thema für Fortbildungen darstellt.


Zehn Jahre nach Beginn der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, deren erklärte Ziele die bessere Einbindung verlängerter Praxisphasen in das Lehramtsstudium bei gleichzeitiger Verzahnung aller Phasen der Lehrkräftebildung und der Integration neuer Querschnittsthemen wie Inklusion und Digitalisierung waren, formuliert dieser Passus eine Bankrotterklärung des wissenschaftlichen Anspruchs im hessischen Praxissemester! Anstatt Studierenden eine Reflexivierung ihrer Unterrichtserfahrungen zu ermöglichen, sollen sie in Zukunft unbegleitet den Lehrkräftemangel ausgleichen. Die GEW fordert daher auch für das hessische Praxissemester eine durchgehende universitäre und mentorielle Begleitung. Diese muss durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen der Praxislehrkräfte flankiert werden, damit die Praktikantinnen und Praktikanten in einer konstruktiven und unterstützenden Lernatmosphäre ihre ersten Unterrichtsversuche reflektieren können. Auch die im Koalitionsvertrag umrissenen Perspektiven zur Ausgestaltung der Ausbildung für die Mangellehrämter können als innovative Ideen für „beste Bildung“ an Hessens Schulen kaum punkten. Leider wurde die Chance zu einem echten Neuanfang in der Lehrkräftebildung, für den man eine grundlegende Novellierung des HLbG in den Blick hätte nehmen müssen, verspielt.
 

Auszug aus dem Koalitionsvertrag:

Wir verändern die Ausbildung der Lehrkräfte so, dass diese auf die sich wandelnde Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereitet werden. (S.16)


(…) wollen wir Dauer und Intensität der 1. Phase der Lehrkräfteausbildung für alle Lehrämter überprüfen. Die Qualität und die hohen Standards der Lehrkräfteausbildung dürfen nicht gesenkt werden. (S.17)


Wir begrüßen es, wenn Lehramtsstudierende während des Studiums Nebentätigkeiten nachgehen, die im Zusammenhang mit Praxiserfahrungen an Schulen stehen. Neben dem Einsatz als VSS-Kraft und dem Praxissemester mit seiner engen Kopplung an die universitäre Ausbildung prüfen wir daher die Einführung einer bezahlten Nebentätigkeit als studentische Lernbegleiter. (S.17)