In mehreren Schulamtsbezirken haben in den letzten Wochen Dienstversammlungen der Leitungen oder von Lehrkräften der regionalen Beratungs- und Förderzentren (BFZ) stattgefunden, bei denen die in der schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung formulierte Absicht thematisiert wurde, „dass jeder Grundschule pro 250 Schüler mindestens eine Förderpädagogen-Stelle fest zugewiesen werden soll“ (S.88). Grundlage waren offensichtlich ausschließlich mündlich kommunizierte Erläuterungen des Hessischen Kultusministeriums (HKM) an die Schulämter. Die Folge war eine massive Verunsicherung der Kolleginnen und Kollegen insbesondere an den BFZ. Dies veranlasste den GEW-Landesvorstand zu einer Stellungnahme. Die HLZ veröffentlicht den Brief von Birgit Koch und Maike Wiedwald im Wortlaut, ebenso eine erste Einschätzung aus dem Hauptpersonalrat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In mehreren Schulamtsbezirken haben in den letzten Wochen Dienstversammlungen der Leitungen bzw. von Lehrkräften der regionalen Beratungs- und Förderzentren stattgefunden. Hintergrund hierfür sind offensichtlich die Planungen des Kultusministeriums, eine Absichtserklärung in der schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung umsetzen zu wollen. In der Koalitionsvereinbarung wird die Absicht formuliert, „dass jeder Grundschule pro 250 Schüler mindestens eine Förderpädagogen-Stelle fest zugewiesen werden soll“ (S.88).
Geleitet wurden diese Dienstversammlungen von Dezernentinnen und Dezernenten der Staatlichen Schulämter. Grundlage waren offensichtlich ausschließlich mündlich kommunizierte Erläuterungen des Hessischen Kultusministeriums (HKM) an die Schulämter. Ein Erlass, eine Verordnung oder zumindest eine schriftliche Absichtserklärung, wie dieser Prozess gestaltet werden soll, gibt es nicht. Aus den verschiedenen Dienstversammlungen liegen zudem widersprüchliche Aussagen vor. Auch die Informationen, die BFZ-Leitungen an ihre Kollegien weitergegeben bzw. interpretiert haben, weichen voneinander ab. Deshalb ist mittlerweile völlig unklar, was genau gesagt wurde und was bereits Interpretationen sind. Damit setzt das HKM seine Planlosigkeit und Desinformation in der „Inklusionspolitik“ fort. Eine solche Kommunikation ohne jegliche schriftliche Vorlage ist der Nährboden für Gerüchte. Unter den Kolleginnen und Kollegen sowohl in den allgemeinen Schulen als auch in den Beratungs- und Förderzentren macht sich große Verunsicherung breit, wie es mit der inklusiven Beschulung und ihrer eigenen beruflichen Situation weitergehen wird. Auch der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) hat bisher keine Informationen über die Pläne des HKM.
Dies alles führt zu vielen Gerüchten und Unterstellungen. Der GEW Hessen ist es wichtig, ihre Position darzustellen und mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen.
Inklusiver Unterricht braucht multiprofessionelle Teams
Inklusion kann nur gelingen, wenn Lehrerinnen und Lehrer unterschiedlicher Lehrämter und sozialpädagogische Fachkräfte in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten und die gemeinsame Arbeit mit Kindern mit und ohne Anspruch auf sonderpädagogische Förderung im Mittelpunkt steht. Diese Haltung hat die GEW Hessen immer wieder in Beschlüssen und Stellungnahmen bekräftigt. Dazu gehört es auch, dass Förderschullehrkräfte nicht als „Wanderlehrkräfte“ an mehreren Schulen mit wenigen Stunden eingesetzt werden dürfen, sondern dauerhaft und verlässlich mit einem großen Stundenanteil an einer allgemeinen Schule eingesetzt werden, so wie dies auch in der am 1.8.2019 in Kraft getretenen VOiSB vorgesehen ist. Auf diesem Weg wurden in letzter Zeit deutliche Fortschritte erreicht.
Alle Kolleginnen und Kollegen, die in einem solchen Team arbeiten, müssen einen Gewinn aus einer Zusammenarbeit von Lehrkräften unterschiedlicher Lehrämter und Beschäftigten anderer Professionen erfahren.
Sie brauchen die dazu dringend erforderliche Entlastung ihrer Arbeitszeit. Alle Beteiligten benötigen die notwendigen Zeitressourcen in Form von Koordinationsstunden.
Bei allen spezifischen Aufgaben sind die Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer Lehrerinnen und Lehrer, die – so der Wortlaut des Schulgesetzes – „erziehen, unterrichten, beraten und betreuen“. Deshalb gelten für sie alle Rechte und Pflichten von Lehrkräften. Dabei sind die konkreten Rahmenbedingungen zu beachten. So können Lehrkräfte, die zwischen mehreren Schulen pendeln, selbstverständlich keine Pausenaufsichten machen. Lehrkräfte in Doppelbesetzung und Kleingruppenunterricht sind vor allem keine Verfügungsmasse für Vertretungsunterricht. Viele Personalräte haben dies in Dienstvereinbarungen geregelt. Auch hierfür haben sich GEW-Personalräte aktiv eingesetzt.
GEW-Personalräte: Engagiert gegen Zwangsversetzungen
Die GEW Hessen hat sich in der Vergangenheit gegen die Politik des HKM ausgesprochen, alle Förderschullehrkräfte, also auch diejenigen, die zu einem früheren Zeitpunkt an einer allgemeinen Schule – damals unter den Bedingungen des Gemeinsamen Unterrichts – eingestellt wurden, auch gegen ihren Willen an ein BFZ zu versetzen.Die Gesamtpersonalräte und der HPRLL haben diese Kolleginnen und Kollegen im Rahmen ihrer Mitbestimmungsrechte unterstützt und vertreten.
Die GEW vertritt die Kolleginnen und Kollegen in allen Schulformen und Schulstufen in ihren spezifischen professionellen Interessen. Die GEW und die GEW-Personalräte wehren sich in allen Fällen gegen beabsichtigte Zwangsversetzungen und nehmen ihre Mitbestimmungsrechte bei Versetzungen und Abordnungen in enger Kooperation mit den Schulpersonalräten und den betroffenen Lehrkräften wahr. Dies gilt auch für die Lehrerinnen und Lehrer der Beratungs- und Förderzentren, die sich gegen Zwangsversetzungen zur Wehr setzen wollen. Mit einer solchen Zwangsversetzung wäre auch den Zielen der Inklusion und der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams nicht gedient.
Fachliche Anbindung an die Beratungs- und Förderzentren
Die GEW hat sich in den vergangenen Jahren stets dafür eingesetzt, dass neue Förderschullehrkräfte auch an allgemeinen Schulen eingestellt werden können. Dies wäre aus Sicht der GEW eine konstruktive Möglichkeit, die Absichtserklärung der Koalition umzusetzen. Dazu gehört auch die in der Koalitionsvereinbarung angekündigte Sicherstellung einer „fachlichen Anbindung“, so wie dies in den letzten Jahren auch für die Förderschullehrkräfte realisiert wurde, die weiterhin ihre Stammdienststelle an einer allgemeinen Schule haben.
Im Mittelpunkt der Verlautbarungen der GEW der letzten Jahre steht die Forderung an das HKM, ein Konzept und einen Maßnahmen-, Ressourcen- und Zeitplan für die Umsetzung der schulischen Inklusion vorzulegen. Stattdessen legt das HKM immer wieder Einzelmaßnahmen vor, die sich zum Teil widersprechen und nicht zielführend sind. Auch für jede einzelne Maßnahme erwartet die GEW vom HKM schriftliche und gut begründete Erklärungen anstelle ausschließlich mündlich kommunizierter, vielseitig interpretierbarer Absichtserklärungen. Außerdem sind die Beteiligungsrechte der Betroffenen und der Personalräte auf allen Ebenen zu wahren. Die Bedingungen, unter denen alle Kolleginnen und Kollegen in der inklusiven Beschulung arbeiten, müssen eine gute Kooperation aller Lehrkräfte ermöglichen und für alle transparent und nachvollziehbar sein. Die GEW verweist ausdrücklich auf das Mitbestimmungsrecht der Personalräte in personellen Angelegenheiten nach § 77 und § 91 Abs.4 HPVG.
Viele Förderschullehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte sind in der GEW aktiv. Die GEW schätzt die Profession und die Kompetenzen der Förderschullehrkräfte und sozialpädagogischen Fachkräfte. Auch deshalb hat sich die GEW Hessen dagegen ausgesprochen, das eigenständige Lehramt an Förderschulen abzuschaffen.
Die GEW vertritt Kolleginnen und Kollegen aller Professionen und aller Schulformen
Die GEW fordert die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention), die die Bundesrepublik Deutschland vor zehn Jahren ratifiziert hat.
Die GEW macht – wie kaum eine andere Organisation oder Interessenvertretung – konsequent deutlich, dass für die inklusive Bildung nach dem Wortlaut der Konvention „angemessene Vorkehrungen“ getroffen werden müssen, damit alle Beteiligten gute Lern- und Arbeitsbedingungen haben. Förderschulen werden überflüssig, wenn Inklusion gelingt und die Bedingungen geschaffen worden sind, die eine gute individuelle Förderung sicherstellen. Und genau hierfür setzt sich die GEW aktiv ein.
Damit Inklusion gelingt, müssen im Rahmen des von der GEW geforderten Maßnahmen- und Zeitplans die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden.
Birgit Koch und Maike Wiedwald