Koalitionsvertrag: Grundschule

Heimat, Dialekt und Blockflöte?! | HLZ Februar 2024

 

Die Situation vieler Grundschulen in Hessen ist desolat. Der Lehrkräftemangel ist dramatisch und die Kollegien müssen mitansehen, wie die Grundschule ihrem Bildungsanspruch nicht mehr gerecht werden kann. Der Bildungsauftrag der Grundschule geht weit über das im ersten Satz des Grundschulkapitels genannte Ziel, auf den Besuch der weiterführenden Schule vorzubereiten, hinaus. Das Lernen ist in den Dienst der Stärkung der kindlichen Entwicklung zu stellen. Es geht also um deutlich mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Kinder müssen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung begleitet werden.


Frank-Walter Steinmeier sagte beim Festakt „100 Jahre Grundschule“ 2019 in der Paulskirche: „In den Grundschulen unseres Landes werden die Grundlagen gelegt für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder. Und, nicht weniger wichtig: Hier werden die Weichen gestellt für die Zukunft unserer Demokratie.“ Wesentliche Ziele des Menschenrechts auf Bildung lässt der Koalitionsvertrag außer Acht. Weitergeführt wird die von der vorigen Landesregierung beschlossene zusätzliche Deutschstunde. Die Mathematikkompetenzen sollen analog zu den sprachlichen Vorlaufkursen gefördert werden. Frühkindliche Bildung in der Kita wird nicht als eigenständiger Wert zur Stärkung der kindlichen Entwicklung gesehen.


Kein Fortschritt, kein Tiefgang, aber viel rückwärts gerichtetes Gedankengut zeigt sich in den folgenden Punkten:
•    Es heißt, dass Grundschulen „weiterhin“ eine auskömmliche Ausstattung mit Ressourcen und gute Bedingungen für das dort tätige Personal benötigen. Das „weiterhin“ wirkt in Anbetracht der aktuellen Situation höchst beunruhigend.
•    Die Grundschulen im ländlichen Raum werden besonders erwähnt. Kein Wort findet sich hingegen zu den Problemlagen in den Ballungsräumen, etwa bei der Schaffung der benötigten Schulplätze.
•    Die im Koalitionsvertrag besonders betonte Vermittlung von Kenntnissen im Schwimmen, Fahrradfahren und im Straßenverkehr ist seit Jahrzehnten im Rahmenplan Grundschule detailliert verankert. Inzwischen fehlen jedoch die Lehrkräfte, die Schwimmbäder und Zeiten für erforderliche Übung.
•    Eine Kampagne mit der Bezeichnung „#hessenverliebt“ soll Schülerinnen und Schüler für das Land Hessen begeistern und Dialekte als Teil der regionalen Sprachkultur stärken. Unter diesem Hashtag finden sich bislang zahlreiche Datingportale.
•    Zur Stärkung der kulturellen Bildung soll ein Blockflötenprojekt mit Schulanfängerinnen und Schulanfängern starten. Dabei sollen Flöten und passendes Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden.


Auch hier nur Einfalt, doch Grundschulen wollen Vielfalt leben. Grundschullehrkräfte brauchen Zeit für Kinder, für Kooperation, für Reflexion und für die inklusive Schulentwicklung. Schritte zu einem inklusiven Bildungssystem sieht der Koalitionsvertrag ausdrücklich nicht vor. In ihrem professionellen Selbstverständnis werden Grundschullehrkräfte sich nicht beirren lassen. Das Bild, das Prof. Hans Brügelmann auf unserer Fachtagung 2020 entwarf, wird uns dabei leiten: „Die Grundschule braucht nicht eine ‚innere Sonderschule‘ – sondern eine Öffnung für die Vielfalt der Kinder und die besonderen Kompetenzen ihrer Lehrer*innen.“

 

Auszug aus dem Koalitionsvertrag:

Die Grundschule hat den Auftrag, allen Schülerinnen und Schülern die Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die sie für den Besuch und das Lernen an den weiterführenden Schulen benötigen. (…) Daher steht für uns die Stärkung der Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen im Vordergrund. Die strukturelle Deutschförderung in Kita und Schule werden wir stärken. Zur Stärkung der Bildungssprache Deutsch werden wir eine zusätzliche Deutschstunde in den Jahrgangsstufen 1 und 2 einführen. (S. 8)
 
Die Grundschule ist die Schulform, die die Gesellschaft zusammenführt. (…) Gerade im ländlichen Raum trägt die Grundschule dazu bei, ein Bewusstsein für die regionale Umgebung, Kultur und Sprache zu schaffen und dadurch die Identifikation mit der Heimat zu fördern. Die soziale Verwurzelung stärkt die Integration in die Gemeinschaft, lehrt die Übernahme von Verantwortung und fördert dadurch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das demokratische Zusammenleben. Mit einer Kampagne „#hessenverliebt“ wollen wir Schülerinnen und Schüler ganz in diesem Sinne noch mehr für unser Land begeistern und Dialekte als Teil der regionalen Sprachkultur stärken. (S. 8)
 
Alle Kinder müssen spätestens nach dem Ende der Grundschule in der Lage sein, ihren Schulweg selbstständig zu bestreiten; grundlegende Fähigkeiten wie Fahrradfahren und Schwimmen müssen vermittelt werden. (S. 8)