Keine Wertschätzung für Grundschulen

Wie der Kultusminister dem Lehrkräftemangel entgegentreten will

HLZ 7-8/2020

Ende April verkündete das Hessische Kultusministerium (HKM) ein ganzes Paket von Maßnahmen, die dem Lehrkräftemangel an Grundschulen begegnen sollen. Eine umfassende Darstellung und die Kritik der GEW findet man in der HLZ 6/2020. Hier noch einmal ein kurzer Überblick über die geplanten Maßnahmen und den aktuellen Stand bei Redaktionsschluss der HLZ Mitte Juni:

1.) Erwerb eines zusätzlichen Lehramts 

Auch für das nächste Schuljahr wurden erneut Stellen für arbeitslose Kolleginnen und Kollegen mit dem Lehramt für Gymnasien oder für Haupt- und Realschulen ausgeschrieben, die im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung das Lehramt an Grundschulen erwerben wollen. 

2.) Gleichstellung mit dem Lehramt 

Für Grundschulen soll der Quereinstieg vereinfacht werden. Derzeit haben nur Personen mit einem Masterabschluss, aus dem sich zwei Unterrichtsfächer ableiten lassen, die Möglichkeit, im Rahmen einer dreijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung die Gleichstellung mit dem Lehramt zu erlangen. Zukünftig soll dies auch für Personen mit einem anderen akkreditierten Hochschulabschluss möglich sein, aus dem sich mindestens eines der Fächer Deutsch, Mathematik, Sport, Musik oder Kunst ableiten lässt. Das Programm soll im Schuljahr 2021/22 beginnen.

3.) Einstellungen auf der Rangliste 

Kolleginnen und Kollegen mit gymnasialem Lehramt, die sich bei der Bewerbung auf der Rangliste bereit erklären, im Rahmen einer Teilabordnung mindestens vier Jahre an einer Grundschule zu unterrichten, sollen gegenüber den Bewerberinnen und Bewerbern, die eine solche Erklärung nicht abgeben, bevorzugt eingestellt werden. Bei Redaktionsschluss war noch nicht absehbar, in welchem Umfang es zu Absprachen zwischen Gymnasien und Grundschulen kommt. Die GEW hält Konflikte für unvermeidbar, da die Lehrkräfte am Gymnasium eingestellt werden und sich dort mit mindestens 9 Stunden als Beamte „bewähren“ sollen. Die bessere Bezahlung (A13) und die bei entsprechendem Einsatz niedrigere Pflichtstundenzahl sind auch ein Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen, die ein zusätzliches Lehramt erwerben und sich wirklich auf die Arbeit der Grundschule „einlassen“ wollen.

4.) Zwangsabordnung an Grundschulen

Schulen mit gymnasialem Bildungsgang sollen im neuen Schuljahr verbindliche Vorgaben für „verpflichtende Abordnungen von Lehrkräften zur Deckung des Einstellungsbedarfs an Grundschulen“ erfüllen. Inzwischen wurde allen Gymnasien und Gesamtschulen eine konkrete Abordnungsquote auferlegt. Auch hier ist mit heftigen Konflikten zu rechnen, wenn Lehrkräfte für eine solche Abordnung „ausgedeutet“ werden, möglicherweise auch deshalb, weil ihre Fächer als „entbehrlich“ gelten. Dass Schulen, die ihre „Schulquote“ erfüllen, als Ausgleich eine „unbefristete Einstellungsmöglichkeit“ in Fächern ihrer Wahl bekommen, ist für jede zwangsabgeordnete Lehrkraft eine zusätzliche Klatsche, da sie an ihrer Stammschule so bereits „ersetzt“ wird. 

Inwieweit die Grundschulen einen entsprechenden Bedarf zur Abdeckung der Pflichtunterrichts anmelden, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Die GEW geht davon aus, dass sich viele Grundschulen lieber auf bewährte Vertretungskräfte verlassen als Unterricht durch zwangsabgeordnete Lehrkräfte erteilen zu lassen. Aber auch einvernehmliche Abordnungen, die mit der Bereitschaft verbunden sind, sich auf die Arbeit der Grundschule „einzulassen“, sind nur ein Notnagel und kein Ersatz für die Einstellung ausgebildeter Grundschullehrkräfte. Deshalb ist in dem Beschluss des Landesvorstands von einer „weiteren Überbelastung“ und einem „Motivationsabbau“ in den Grundschulkollegien die Rede.

Aus der Stellungnahme der GEW 

Erneut bekräftigt die GEW die Forderung „A13 für Grundschullehrkräfte“:

„Erhebliche Spannungen entstehen auch durch die unterschiedliche Besoldung nach A12 für ausgebildete Grundschullehrkräfte und für die zu Grundschullehrkräften weitergebildeten Lehrkräfte mit einem anderen Lehramt und nach A13 für alle anderen Lehrkräfte mit Lehramt. (…) Deshalb fordert die GEW Hessen die Landesregierung auf, endlich die Besoldungs- und Arbeitszeitdiskriminierung zu beenden und eine unabdingbare Grundlage zu schaffen, dass die Probleme der personellen Unterversorgung konstruktiv angegangen werden können.“

Die Maßnahmen zur Abordnung von Gymnasiallehrkräften sind auch ein Ausdruck „der Unkenntnis und mangelnden Wertschätzung der Grundschulen“. Dass Gymnasiallehrkräfte nicht im Anfangsunterricht eingesetzt werden sollen, führe den Beschäftigten den Grundsatz „Kleine Kinder, kleines Gehalt“ einmal mehr vor Augen. Die „Verdrängung“ ausgebildeter Grundschullehrkräfte aus höheren Klassen konterkariere das Klassenlehrerprinzip.

In regionalen Onineveranstaltungen warb das HKM mit blumigen Verheißungen um Akzeptanz für die verschiedenen Maßnahmen. So sei das Verfahren zur verpflichtenden Abordnung an Grundschulen aus der „Perspektive der Grundschule“ eine Chance „für eine Stärkung der aufeinander aufbauenden bildungsetappenübergreifenden Ausrichtung der schulischen Arbeit“. So euphemistisch-verquast wurde schon lange nicht mehr über die Auslese nach der vierten Klasse gesprochen. Und wie viel Wertschätzung für Grundschullehrkräfte steht hinter dem Hinweis, dass die Kinder durch die verpflichtende Abordnung von Gymnasiallehrkräften „eine ausgeweitete Vielfalt im Lehrpersonal kennenlernen“ können?


Harald Freiling, HLZ-Redakteur