Grundschule - wo geht die Reise hin?

Zur Fachtagung „Grundschulprofession verstehen und aufwerten“

„Grundschulprofession verstehen und aufwerten“ war der Titel der Fachtagung, zu der sich am 4. Februar über 50 Kolleg*innen im DGB-Haus versammelten, ihr Ankommen begleitet von den Klängen unseres A13-Songs. Neben einer gerechten Bezahlung geht es in Zeiten des Lehrkräftemangels um den Erhalt der Profession, um Grundschulbildung für eine demokratische Gesellschaft in einer Schule für alle Kinder. Um Reflexion unserer Profession, darum sie weiterzuentwickeln und Pädagogik gegen technokratische Steuerung zu schützen.

In seinem Vortrag „Grundschuldidaktik als Förderpädagogik“ machte uns Prof. Dr. Hans Brügelmann den Unterschied deutlich zwischen „der eher technischen Differenzierung von oben gegenüber einer Individualisierung von unten“. Es gehe um Diversität und nicht um Behinderung oder sonderpädagogischen Förderbedarf. Er betonte „die Grundschule braucht nicht eine „innere Sonderschule“, sondern eine Öffnung des Unterrichts für die Vielfalt der Kinder – und die besonderen Kompetenzen ihrer Lehrer*innen“.

Brügelmann sprach über das, was wir täglich tun. „Wenn ein Kind sagt ‚ich gingte‘, ist das falsch, aber erfreulich!“ Nicht Oberflächenrichtigkeit gelte es zu bewerten, sondern zu interpretieren, was im Kind vorgeht. Die Kinder dürfen nicht schreiben, wie sie wollen, sondern wie sie können! Er spiegelte uns tiefe Einsicht an uns vertrauten Beispielen. Fortwährend ging uns ein Licht auf und erhellte die nachfolgenden Diskussionen, in denen wir uns zu drei Aspekten unserer Profession austauschten.

Im Forum „Spannungsfeld zwischen Fördern und Auslesen“ wurde die Lehrpersönlichkeit als „superwichtig“ eingeschätzt, um „Nischen zu suchen in einem selektiven Schulsystem“, um „Freiräume bei der Beurteilung auszuschöpfen“ und wie Brügelmann es ausdrückte mit kleinen Dingen „ein Systemproblem für Kinder erträglicher zu machen“.

„Teamarbeit“, Titel des zweiten Forums, findet für Grundschullehrkräfte mit ihrer hohen Stundenzahl meist nur als außerunterrichtliche Verpflichtung statt. Viel Team im Unterricht ist nicht. Bei einer halben Stelle „UBUS-Kraft“ pro Schule hat ein Großteil der Klassen keine sozialpädagogische Unterstützung. Sonderpädagogische Unterstützung in nennenswertem Umfang gibt es nur für Kinder mit erheblichem Förderbedarf. Das Etikettierung-Ressourcen-Dilemma ist nicht gelöst und die Schulen im ländlichen Raum sind annähernd frei von Teamarbeit. Teamteaching zweier Grundschullehrkräfte wäre toll, kommt aber aufgrund des Lehrkräftemangels nicht vor. „Wo findet in meiner Schule Reflexion von inklusiven Werten statt“, fragte sich eine Teilnehmerin. Raum, Zeit und Kultur für den Austausch fehlen. 

Thema des dritten Forums war „Förderschullehrkräfte in den Grundschulen“, wobei die Amtsbezeichnung „Förderschullehrkraft“ einen großen Teil des Dilemmas in sich trägt. „Die vorweggenommene Entscheidung für eine spezifische Population von Schüler*innen“ sah auch Prof. Dr. Heike Tiemann als ein strukturelles Hindernis für inklusive Bildung. Tiemann referierte am Nachmittag zu Diversitätsorientierung in der Ausbildung, diskutierte aber bereits interessiert mit über die hessischen Verhältnisse. Jede Grundschule mit mehr als 250 Kindern soll eine Sonderpädagog*in fest ins Kollegium bekommen. Einhellig war, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung sei, allerdings ein „halbherziger, der nur ein Anfang sein dürfe“, wie ein Kollege formulierte. Die Trennung in „mein Kind, dein Kind“, so eine Kollegin sei hinderlich. Andere fanden drastischere Worte für die Steuerung der Inklusion durch die Beratungs- und Förderzentren (BFZ). Gut läuft es, wenn die Sonderpädagog*innen Unterrichtsfächer übernehmen und sich dadurch auf Augenhöhe mit den Grundschullehrkräften befinden. Dann können wir uns gemeinsam beraten, statt einer „Herabwürdigung der Grundschulpädagogik“ durch Belehrung nach Kriterien der BFZ. „Zweierlei Kinder, zweierlei Lehrkräfte, zweierlei Bezahlung“ - so wird die Zusammenarbeit strukturell behindert.

Tiemann verdeutlichte in ihrem Vortrag, dass Inklusion Querschnittsaufgabe in der Lehrer*innenbildung sein und die Didaktik jedes Faches durchdringen muss. Nur so könne man die Defizitorientierung der Sonderpädagogik überwinden. Sie verwies dabei auf internationale Beispiele.

In der Schlussrunde erkannten wir, wie wichtig die Brücke ist, die die Lehrer*innenbildung in die Zukunft schlägt. Wir würdigten die schwierige Situation des Systemwechsels und betonten dabei, dass die Grundschule die Sonderpädagog*innen willkommen heißt. Aus deren Fachgruppe  berichtete eine Kollegin, dass die Förderschullehrkräfte zerrissen seien. Martina Schmerr vom GEW-Hauptvorstand legte uns ans Herz die „Würde der GEW“ zu wahren und unseren Beschlüssen treu zu bleiben. Brügelmann gab uns mit, immer wieder zu schauen, wo wir in 10 Jahren stehen wollen. Dies solle uns leiten.

Danke an alle Teilnehmer*innen dieses ertragreichen Tages, dessen Erkenntnisse die Fachgruppe Grundschulen weiter verarbeiten wird!

Susanne Hoeth