Grundschule geht anders

VERA3 und Co.: Vergleichen, messen, quoppen?

Aus: HLZ 4/2018

Als unangenehme Begleiterscheinung des Frühlings müssen die 3. Klassen ab dem 16. April 2018 wieder an vier Tagen die alljährlichen Vergleichsarbeiten schreiben. Sie sind nicht mehr ganz so umfangreich wie früher, geben sich einen inklusiven Anstrich und sogar den Zeitpunkt dürfen Schulen innerhalb einer Dreiwochenfrist selbst bestimmen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass viele Grundschullehrkräfte die VERA-Arbeiten für unsinnig halten. Der Widerspruch zwischen inklusiver Bildung, Unterricht in heterogenen Lerngruppen und auf homogene Lerngruppen bezogenen vergleichenden Standards bleibt bestehen. Lernstandserhebungen werden als Steuerungsinstrumente eingesetzt, die kindliche Entwicklungs- und Lernprozesse trivialisieren. Es zählt nur, was man messen kann, und der Bildungsbegriff wird damit erheblich eingeengt.

Zu VERA3 gesellt sich nun Quop

Noch nicht davon gehört? Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium (HKM), empfahl „diese neue Form der Lernstandserhebungen“ den Schulen in einer Presseerklärung vom 9. Februar 2018 „ganz ausdrücklich als Mittel zur individuellen Förderung der Talente unserer Schülerinnen und Schüler in Hessen“. Quop ist eine internetgestützte Lernverlaufsdiagnostik. Alle zwei bis drei Wochen bearbeiten Kinder Tests in Lesen oder Mathematik am Computer. Ausgedacht hat sich dies Elmar Souvignier, Psychologieprofessor an der Uni Münster, umgesetzt wird es von der Softwareentwicklerfirma hfp aus Kelkheim. Quop ist ein Kunstwort, erdacht von einer Werbeagentur.

Pro „quoppendem“ Kind kostet die Teilnahme 90 Cent im Monat. Das HKM hat mit dem Anbieter einen Pauschalvertrag abgeschlossen. Die Software spuckt Kurven, Tabellen und Diagramme für die Lehrkraft und Lernkurven für das Kind aus. Wer über die durch Quop erhobenen Daten verfügen kann und was damit geschieht, sind spannende Fragen für Lehrkräfte und Eltern. Selbst wenn mehrere PCs im Klassenraum vorhanden wären oder eine zweite Lehrkraft, die mit einer Gruppe in den Computerraum gehen könnte, gäbe es sinnvollere Arbeiten am PC als „quoppen“. Kinder könnten beispielsweise selbstgeschriebene Geschichten bearbeiten und so anderen Kindern als Lesetexte zugänglich machen.

Wollen wir, dass Kinder lesen, damit ihre Lernkurve steil nach oben zeigt, oder wollen wir, dass Kinder das Lesen als etwas begreifen, das ihnen die Welt erschließt? Wollen wir Kinder miteinander in Kooperation bringen oder in Konkurrenz? Wollen wir, dass Kinder auf Wettbewerb mit sich selbst, auf Lernkurven und andere Belohnungssysteme gedrillt werden? Oder wollen wir tiefer greifende Erkenntnisprozesse im Dialog mit anderen fördern? Begreifen wir Unterricht als kleinschrittiges Lernprogramm oder als Bildungsprozess der kindlichen Persönlichkeit?

„Das Lernen orchestrieren“ nennt es der Index für Inklusion, „Lernen am gemeinsamen Gegenstand“ die entwicklungslogische Didaktik von Georg Feuser: hohe Ansprüche, die einem Angst machen könnten, denn sie sind unter den gegebenen Bedingungen in großen Klassen, mit hoher Unterrichtsverpflichtung und ohne multiprofessionelle Zusammenarbeit, die diesen Namen verdient, nur ansatzweise einzulösen. Aber sollen wir ihn deshalb aufgeben?

Versuchen wir uns an den Anforderungen und konzipieren unseren Unterricht so, dass Kinder möglichst oft in Kooperation miteinander und voneinander lernen können! Nehmen wir dieses Prinzip als Motor für unsere Unterrichtsentwicklung und freuen uns über die Lernerfolge der Kinder! Auch wir Lehrkräfte lernen täglich dazu und hätten gerne mehr Zeit für Kooperation, um im kollegialen Austausch miteinander zu reflektieren, wie wir das Lernen fördern können. Damit ist nicht die von oben gepriesene „Koordination im Jahrgangsteam“ gemeint, die Unterrichtsmaterialien und Klassenarbeiten gleichschalten soll.

Unterricht in heterogenen Lerngruppen erfordert mehr didaktisches Geschick, als nach erhobenen Lernständen Lernschritte in kleinste Portionen aufzuteilen und Arbeitsblätter auf verschiedenen Niveaus bereitzustellen. Ansätze zur Unterrichtsentwicklung sollten an die Gedankenwelt der Kinder anknüpfen, für die jeweiligen Lerngruppen angemessen sein und individuelle Lernbedürfnisse berücksichtigen. Für inklusive Schulentwicklung bedarf es wissenschaftlicher Begleitung und Unterstützung.

Wir werden nicht müde, immer wieder deutlich zu machen, wie es gehen könnte und wie nicht. Kein VERA, kein Quop! Wir wollen gute Pädagogik und Unterrichtsqualität mit gut ausgebildeten Grundschullehrkräften ermöglichen und mit „A13 für alle“ eine gute Grundschulbildung auch in der Zukunft sicherstellen! Auch in diesem Jahr stellt die GEW den hessischen Grundschulen Postkarten mit einer Leseempfehlung für die GEW-Broschüre „Kritik an VERA3“ zur Verfügung, die man an das Kultusministerium und andere Verantwortliche schicken kann, um ihnen die gesammelten Argumente hessischer Grundschulen gegen ständiges Vermessen und für eine gute Grundschulbildung nahezubringen.

Grundschule geht anders!

Susanne Hoeth

Mitglied im Vorsitzendenteam der Landesfachgruppe Grundschule der GEW Hessen